Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Strukturwandel

Die Supermarktrevolution

Supermarktketten sind in Entwicklungsländern auf dem Vormarsch. Sie bringen moderne Angebote, effiziente Logistik und höhere Produktstandards, aber auch Konzentrations- und Verdrängungsprozesse im Einzelhandel und bei Zulieferern. Es ist daher wichtig, den Prozess entwicklungspolitisch zu gestalten. Das wurde bislang verschlafen.
Supermarkteingang in Dhaka. dem Supermarkteingang in Dhaka.

Supermarktketten erobern Lateinamerika, Asien und Afrika. In einigen Regionen, etwa in Lateinamerika, hat die Revolution des Einzelhandels schon vor Jahrzehnten begonnen. Hier wird er heute von Supermärkten, Discountern und vergleichbaren Geschäftsformaten dominiert. In anderen Regionen, etwa in Afrika, ist ihr Vormarsch derzeit in vollem Gange, und einige wenige Länder, unter ihnen Indien, stehen noch ganz am Anfang der großen Umwälzung.

Dabei gibt es erhebliche Unterschiede in der Art der Durchdringung. In Latein­amerika sind große nationale Ketten entstanden, die sich heute international aufstellen. In anderen Regionen bestimmen transnationale Großkonzerne wie WalMart oder Carrefour den Prozess. In Subsahara-Afrika sind Ketten aus Südafrika besonders stark, aber auch Supermärkte aus Kenia und Botswana stoßen ins benachbarte Ausland vor. Die Großhandelskette Metro ist Deutschlands einziger Global Player (siehe auch Philip Bacac in E+Z/D+C 2014/06, S. 240).

Der Vormarsch der Supermärkte hat weitreichende Auswirkungen auf die Gesellschaften. Supermärkte treten in Konkurrenz zum traditionellen Einzelhandel. Erhebliche Marktanteile verlagern sich von kleinen „Tante-Emma-Läden“ und vom informellen Straßenhandel auf die Supermärkte. Da Letztere weitaus produktiver organisiert sind, schaffen sie den gleichen Umsatz mit weitaus weniger Personal. Kleinhändler verlieren ihre Lebensgrundlage. Solche Prozesse sind unvermeidbarer Teil des Strukturwandels. Dass besser organisierte Geschäftsmodelle weniger produktive ablösen, ist Teil des technologischen Fortschritts und positiv zu bewerten, wenn die Menschen, die verdrängt werden, in andere produktive Bereiche wechseln können.

In den meisten reichen Industrieländern fand die Modernisierung des Einzelhandels statt, ohne massive Massenarbeitslosigkeit zu verursachen. Die Eigentümer und Angestellten kleiner Läden hatten mindestens eine Generation Zeit, um ihre Geschäftsmodelle anzupassen oder in andere Berufe zu wechseln.

In vielen Entwicklungsländern ist die Situation anders. Die „Supermarktisierung“ verläuft quasi im Zeitraffer, wenn weltweit agierende Handelsketten in informelle Einzelhandelsmärkte eindringen. Anpassung ist kaum möglich, zumal die Produktivitätskluft zwischen einem informellen Kleinhändler und einem WalMart gigantisch ist. Und es gibt zumeist weder gute Beschäftigungsalternativen noch Umschulungen oder andere Anpassungshilfen. Unter diesen Bedingungen kann es zu äußerst problematischen Verdrängungseffekten kommen. 

Ähnliches gilt für die lokalen Zulieferer. Wo vorher kleine Einzelhändler geringe Warenmengen bei lokalen Bauern und Gewerbebetrieben einkauften, sind jetzt die WalMarts und Co., deren Einkaufsabteilungen containerweise normierte und zertifizierte Ware einkaufen – bei nationalen Großunternehmen oder im Ausland. Der gleiche Strukturwandel findet also in den Lieferketten statt: hohe Produktivität, Konzentration und Verdrängung. 

Natürlich haben die Supermärkte viele Vorzüge. Konsumenten lieben deren breites Warenangebot, die bequemen Einkaufsbedingungen und die aufgrund der Massenumsätze oft niedrigen Preise. Zulieferer, die einen Vertrag mit Supermärkten erhalten, können sich ihrerseits modernisieren und ihren Absatz stabilisieren. Lokale Unternehmen können Arbeitsorganisation und neue Technologien (zum Beispiel Barcodes) übernehmen und ihrerseits produktiver werden. Auch achten Supermärkte meist auf höhere und garantierte Qualitätsstandards, und sie geben Impulse für die Markendifferenzierung – etwa, indem sie ökologische oder fair gehandelte Marken einführen.

Vor allem große Ketten wie WalMart oder Tesco haben sich überdies Nachhaltigkeitsziele gesetzt, die transparent und ernsthaft umgesetzt werden, zum Beispiel in Bezug auf Recyclingquoten. Supermärkte tragen zur Nahrungsmittelsicherheit bei, indem sie den Anteil verdorbener Lebensmittel durch effizientere Lieferketten senken; andererseits vernichten sie aber auch Nahrungsmittel, die nicht makellos sind, und verführen zur ungesundem Junk-Food.  

Insgesamt sind die gesellschaftlichen Wirkungen also sehr stark und sehr vielfältig. Die Herausforderung liegt darin, die Transformation des Einzelhandels so zu gestalten, dass die Härten der Anpassung minimiert und die Modernisierungsgewinne maximiert werden. Sich den offensichtlich am Markt überlegenen modernen Geschäftsmodellen des Einzelhandels als Regierung grundsätzlich zu widersetzen und den Markt abzuschotten, wäre unklug. Es würde gering produktive Handelspraktiken zementieren, mit hohen Preisen für die Konsumenten, geringen Einkommen für die Händler und hohen Verlustraten bei verderblichen Waren.

In einer gemeinsamen Studie des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) und der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) (Altenburg et al., 2016) plädieren wir daher für schrittweise, aktiv gestaltete Anpassungsstrategien, bei denen die Lernprozesse nationaler Akteure im Mittelpunkt stehen. Die Studie zeigt Dutzende konkrete Handlungsmöglichkeiten auf. Zunächst tun Supermärkte bereits freiwillig viel für nachhaltige Entwicklung, allerdings vor allem in ihren Filialen in reichen Ländern, in denen die Konsumenten entsprechenden Druck machen. Dazu zählen zum Beispiel: Kooperationen mit Tafeln, Abteilungen mit ökologisch zertifizierten oder regionalen Produkten, Verzicht auf Plastiktüten sowie festgeschriebene Unternehmensziele in Bezug auf CO2-Ausstoß, Reduzierung von Verpackungsmüll oder Verwendung von Recyclingmaterialien. Regierungen in Entwicklungsländern könnten die Vergabe von Lizenzen für neue Filialen daran koppeln, dass die Unternehmen entsprechende Leistungen für die Gesellschaft erbringen. Sie könnten diejenigen Unternehmen, die sich hier besonders hervortun, durch öffentliche Preisverleihungen würdigen und ihnen damit einen Imagevorteil verschaffen. Sie könnten anbieten, lokale Zulieferer auszubilden, finanziell zu unterstützen, kostenlos zu zertifizieren und vieles andere mehr.


Qualifikation als Zulieferer

Internationale Geber können hier in vielfältiger Weise unterstützen. So hat die GIZ in einer Entwicklungspartnerschaft mit Metro in Vietnam lokale kleinbetriebliche Fleisch- und Fischproduzenten darin unterstützt, sich als Zulieferer zu qualifizieren. Regierungen können außerdem regulatorische Auflagen machen, die den lokalen Kleinhandel vor übermäßiger Konkurrenz schützen, zum Beispiel indem sie Ladenschlusszeiten regulieren oder die Filialgröße in den Innenstädten begrenzen. Interessant ist, dass regulatorische Auflagen dieser Art in Industrieländern – einschließlich den auf freie Marktwirtschaft pochenden USA – wesentlich konsequenter genutzt werden als in Entwicklungsländern.

Insgesamt zeigt die Studie, dass diese Art aktiver strukturpolitischer Gestaltung in Entwicklungsländern kaum irgendwo stattfindet. Eine der wenigen positiven Ausnahmen ist Südafrika. Viele Länder, darunter fast ausnahmslos die lateinamerikanischen, haben ihre Märkte weitgehend bedingungslos für die internationalen Supermarktketten geöffnet und unternehmen kaum etwas, um die Branche zu gestalten. Manche asiatischen Länder, allen voran Indien, bremsen den Marktzutritt ausländischer Einzelhandelsketten durch massive bürokratische Auflagen, die sie mit den unerwünschten Verdrängungseffekten begründen, haben aber keine Positivstrategie für einen modernen inklusiven und nachhaltigen Einzelhandelssektor. Manche Länder ergreifen punktuell Maßnahmen, indem sie zum Beispiel landwirtschaftliche Zulieferbetriebe unterstützen.

Frappierend aber ist: Die Untersuchung fand kein einziges Land, das eine explizite Strategie hat, um die Supermarktrevolution systematisch entwicklungspolitisch zu gestalten. Dies hat sicher damit zu tun, dass eine solche Strategie Koordination quer zu den Zuständigkeiten erfordert: Stadtplaner, Wettbewerbshüter, Wirtschaftsförderer, Konsumentenschützer und viele andere müssten einbezogen werden. Es gibt keine natürliche Zentralstelle zur Koordinierung einer nationalen Anpassungsstrategie.

Ebenso überraschend: Auch die internationalen Geber haben das Thema nicht auf dem Radar. Einige wenige Agenturen, wie die US-Behörde für internationale Entwicklung USAID und die GIZ, haben Einzelmaßnahmen im Programm, etwa im Bereich der Zertifizierung. Trotz der massiven Auswirkungen der Supermarktrevolution und der vielfältigen politischen Gestaltungsoptionen hat kein einziger Geber ein Konzept zum Umgang damit. Besonders problematisch ist die Politik der Weltbank-Tochter International Finance Corporation (IFC), die Supermärkte und Shopping Malls in Entwicklungsländern finanziert, ohne die Sekundärwirkungen überhaupt zu thematisieren.


Tilman Altenburg ist Leiter der Abteilung „Nachhaltige Wirtschafts- und Sozialentwicklung“.
tilman.altenburg@die-gdi.de

Literatur
Altenburg, T., et al., 2016: Making retail modernisation in developing countries inclusive. A development policy perspective. Bonn: DIE Discussion Paper 2/2016.
https://www.die-gdi.de/uploads/media/DP_2.2016.pdf