Fachliteratur

Wer heute nicht träumt

Für den Wandel zu einer nachhaltigen Gesellschaft reicht es nicht, die Wirtschaft durch neue Technologien grüner zu machen. Doch in der Literatur werden vor allem diese ökonomischen Ansätze diskutiert – und weniger, wie eine erstrebenswerte Vision aussieht.


Von Johanna Bergmann

Die Begriffe „Green Economy“, „Green New Deal“ oder „Green Growth“ haben die Nachhaltigkeitsdebatte der letzten Jahre bestimmt. Diese Konzepte sind meist auf die Wirtschaft reduziert: Sie konzentrieren sich darauf, wie Technologien den Ressourcenverbrauch vom Wirtschaftswachstum entkoppeln können. Aktuelle Publikationen jedoch legen dar, dass dies nicht ausreicht. In diesem Aufsatz werden deshalb Vorschläge zu drei weiteren wichtigen Aktionsfeldern exemplarisch vorgestellt.

Eine Frage der Phantasie

Viele Publikationen weisen auf die Bedeutung von Visionen hin. Leggewie und Welzer (2009) führen aus, dass „eine politische Gesellschaft, die auf ihre gravierenden Zukunftsprobleme eine angemessene Antwort finden will, ... um die Frage nicht herum [kommt], wie die Welt in zehn oder 25 Jahren aussehen soll“. Welzer und Wiegandt (2011) zufolge brauchen wir Bilder und Geschichten über die Attraktivität einer nachhaltigen Welt, um Menschen dafür zu begeistern – um sie dazu zu bringen, ihr Leben zu ändern, und ihnen die Angst zu nehmen. Der Sammelband enthält Visionen international renommierter Wissenschaftler zu verschiedenen Lebensbereichen.

Auch in der fiktiven Literatur finden sich mittlerweile einige ökologische Utopien. So entwarf „Ecotopia“ (Callenbach 1974) eine gesamtgesellschaftliche Zukunfts­vision, die zwar merklich in den Ideen und technischen Möglichkeiten der 1970er Jahre verhaftet ist, uns aber ein durchaus interessantes Bild einer grünen Gesellschaft vor Augen führt. „Das Tahiti-Projekt“ (Fleck 2008) dagegen beschreibt eine Welt, die mit heute verfügbaren Technologien durchaus realisierbar ist – vorausgesetzt, dass die institutionellen Rahmenbedingungen stimmen. Zu derartigen fiktiven sowie wissenschaftlichen Visionen muss eine breite gesellschaftliche Diskussion organisiert werden. Denn wer heute nicht träumt, lebt morgen wie gestern.

Grenzen des Wachstums

Das Konzept der Green Economy wird oft kritisiert, weil es an der Idee des Wirtschaftswachstums festhält: Die Green Economy strebt vor allem Effizienzgewinne im Ressourcenverbrauch an. Kritikern zufolge werden diese jedoch immer durch Wachstumseffekte, so genannte Rebound-Effekte, kompensiert. Einige Wissenschaftler sind daher überzeugt, dass es in einer endlichen Welt kein unendliches Wachstum geben kann. Die Stimmen werden immer lauter, die einen Übergang zu einer nicht auf Wachstum basierenden Wirtschaftsweise fordern.

Der britische Ökonom Tim Jackson (2009) postuliert in seinem Bestseller, dass sich die westlichen Industrienationen durch weiteres Wachstum über die planetaren Grenzen der Verträglichkeit bewegen würden. Bislang gibt es Jackson zufolge zwar kein belastbares Modell für eine Ökonomie ohne Wachstum, er macht jedoch Vorschläge für dessen Entwicklung. Jackson fordert eine klare Vision, mutigere Politik und eine strapazierfähige Strategie. Drei Maßnahmen hält er für entscheidend für den gesellschaftlichen Wandel – man müsse
– Obergrenzen für den Ressourcenverbrauch und Umweltschäden festlegen,
– das Bruttoinlandsprodukt durch einen ehrlicheren Wohlstandsindikator ersetzen sowie
– die gesellschaftliche Logik verändern, um sie aus ihrem zwanghaften Konsumdenken zu befreien.

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltfragen (WBGU 2011) weist darauf hin, dass eine Postwachstumsökonomie erhebliche Änderungen erfordere, wendet sich aber nicht gänzlich vom Wachstumsmodell ab (siehe auch Artikel auf S. 322). Zwar zweifelt der WBGU am Erfolg einer Entkopplungsstrategie, da nicht belegt sei, ob der Rebound-Effekt überwunden werden könne. Dennoch gibt er zu Bedenken, dass in der globalisierten Welt wohl kaum ein einzelner Staat auf Wirtschaftswachstum verzichten würde. Sollte dies dennoch geschehen und sich so das Wachstum in den Industrieländern verlangsamen, könne sich dies auch negativ auf die Wirtschaftstätigkeit in Entwicklungsländern auswirken.

Schnellere Politik

Auf dem Weg zur grünen Gesellschaft halten viele Autoren eine Reform der Demokratie und der politischen Institu­tionen für nötig. Dem WBGU zufolge muss der Staat mehr Gestaltungsmöglichkeiten erhalten, während gleichzeitig die Partizipationsmöglichkeiten für Bürger ausgebaut werden sollen. Der Staat solle sich selbst verbindliche Regeln aufstellen: den Klimaschutz zum Staatsziel erklären, ein langfristiges Klimaschutzgesetz erlassen und das klimapolitische Mainstreaming der Staatsorganisationen umsetzen. Für die Bürger wiederum solle das Verbandsklagerecht ausgeweitet werden und häufiger Ombudsleute zur außergerichtlichen Streitschlichtung eingesetzt werden. Es sei zentral, die Öffentlichkeit und Wissenschaft in die politische Entscheidungsfindung einzubeziehen.

Neben einer Erneuerung der Demokratie von oben setzen Leggewie und Welzer auf eine Transformation „von unten“: Die Bürger sollen sich in einer Art „außerparlamentarischen Opposition (APO) 2.0“ organisieren. Mit einer Reihe sozialpsychologischer Argumente begründen die Autoren, warum die „Meta-Krise“ (das Zusammenwirken mehrer Krisen mit der Gefahr eines Systemzsammenbruchs) nur durch eine Re-politisierung der Bürgergesellschaft überwunden werden könne – denn staatliche Reformen sorgten nicht ohne Weiteres für ein Umdenken und neue Werte in der Gesellschaft. Es bleibt jedoch fraglich, ob eine Massenbewegung, wie Leggewie und Welzer sie beschreiben, ohne eine vorherige Reform der Demokratie rechtzeitig entstehen kann. Oder ob sie erst zustande käme, wenn die Probleme bereits zu groß geworden wären, um die Gefahren noch zu bekämpfen. Doch auch eine umfassende Reform der Demokratie wird kaum ohne den massiven Druck der Öffentlichkeit zustande kommen. Letztlich ist es wahrscheinlicher, dass sich beide Prozesse bedingen und gegenseitig verstärken.

Masterplan für den grünen Wandel

Selbstverständlich wären wir selbst mit einer gemeinschaftlichen Vision, einem nicht-wachstumsbasierten Wirtschafts­modell und erweiterten Partizipations­möglichkeiten für die Bürger noch nicht in einer nachhaltigen Welt angekommen. Die vorgestellten Publikationen enthalten eine Fülle weiterer Vorschläge, auf die hier nicht eingegangen werden kann. Alle vorgestellten Werke sind lesenswert und bieten gute Ansatzpunkte zu weiteren Überlegungen.

Leider sprechen sie jedoch Konfliktlinien oft nur unzureichend oder gar nicht an, und es bleibt offen, wie sich Blockade­haltungen in der internationalen Gemeinschaft auflösen lassen. Außerdem gehen sie nicht darauf ein, was die Gestaltung einer nachhaltigen Lebensweise in Industrieländern für die Entwicklungsländer oder das internationale Machtgefüge bedeutet. Zudem wird oft nicht plausibel genug dargestellt, wie wir den Übergang zu einer nachhaltigen Lebensweise trotz der geringen einschlägigen Erfolge in den vergangenen zwei Jahrzehnten, in denen die Herausforderung schon überdeutlich war, rechtzeitig schaffen können. Ebenso wenig wird erklärt, wie man die Skeptiker im eigenen Land und weltweit schnell genug mit ins Boot holt.

Eine positive Ausnahme bildet das Gutachten des WBGU. Schon aufgrund seines Umfangs könnte man es als Masterplan auf dem Weg in die Nachhaltigkeit bezeichnen. Der WBGU begründet seine optimistische Grundhaltung detailliert und macht Vorschläge zur Beschleunigung des Wandels. Zudem geht er auf Konfliktlinien ein. Von der Entwicklungspolitik fordert er unter anderem, dass sie sich über die Armutsreduzierung hinaus das Ziel eines klimaverträglichen Wachstums setzen müsse. Gerade die Stadt- und Raumplanung solle mittels einer globalen Ausbildungs­initiative gestärkt werden.

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