Kreditwesen

Neue Herausforderungen

Vietnams führende Mikrofinanzinstitution TYM will eine voll­wertige Bank werden und Finanzdienstleistungen für Frauen im ganzen Land voranbringen. Von Duong Thi Ngoc Linh und Jörg Teumer
Bauarbeiter haben keine soziale Absicherung: ­Anstreicher in Hanoi. Dembowski Bauarbeiter haben keine soziale Absicherung: ­Anstreicher in Hanoi.

TYM verschafft 100 000 armen Frauen mit niedrigem Einkommen einfachen Zugang zu Krediten von bis zu 30 Millionen Dong (rund 1400 Dollar). Die Frauen investieren das Geld in kleine Unternehmen, um ihre Familien ernähren zu können. Diesbezüglich ähnelt dieses Mikrofinanzinstitut (MFI) vielen anderen im Ausland.


TYM gehört der Vietnamesischen Frauenunion (VWU), einer zivilgesellschaftlichen Organisation an, die der regierenden Kommunistischen Partei nahesteht. Ihre Aufgabe ist es, die soziale und wirtschaftliche Lage ihrer Kundinnen zu verbessern. Sie bietet auch schlichte, aber sichere Sparbücher. TYM-Kundinnen sind zudem für den Fall versichert, dass sie selbst oder Familienmitglieder sterben oder ins Krankenhaus müssen. Zudem können sie an verschiedenen Veranstaltungen und Fortbildungen teilnehmen.

Inzwischen betreuen fast 400 TYM-Mitarbeiter engagiert und zunehmend professionell ihre Kundinnen. Die Mitarbeiter sind hochmotiviert, denn sie arbeiten in ihren Heimatgemeinden. Anders als bei vielen Geschäftsbanken spielt bei TYM nicht allein der Gewinn eine Rolle, sondern auch die Qualität der Beratung und der Dienstleistungen. Dieses MFI unterstützt berufliche Bildung und bietet gezielte Unterstützung für Kleinstunternehmen.

Die Dachorganisation will langfristig TYM zu einer Sparkasse nach deutschem Modell machen (siehe Kasten) – mit Ausrichtung auf Frauen. Das Ziel ist finanzielle Inklusion in dem Sinne, dass alle Zugang zu Finanzdienstleistungen erhalten.

Die Vietnamesen sind belastbare, kluge und unternehmerische Menschen. Ihre Geschichte prägen Kämpfe gegen Invasoren. Seit die kommunistische Regierung 1986 wirtschaftliche Reformen einläutete („Doi Moi“), ist die Volkswirtschaft rasant gewachsen. Vor 25 Jahren war Vietnam noch eines der ärmsten Länder der Welt. Heute gilt es laut Weltbank als Land mit niedrigem mittlerem Einkommen: Das jährliche Bruttosozialprodukt liegt bei etwa 1250 Dollar pro Kopf.


Regierungshandeln

Das Mikrofinanzwesen hat zu dieser Entwicklung beigetragen, wobei die Regierung eine große Rolle spielte. In den frühen 1990er Jahren hat die staatliche Bank für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung eine Abteilung eingerichtet, die Kleinkredite zu niedrigen Zinsen vergab. Dieser Zweig wurde später zur Vietnamesischen Bank für Sozialpolitik (VBSP), die weiterhin dem Staat gehört und inzwischen etwa 7 Millionen Menschen mit günstigen Krediten versorgt.

Die VBSP hat nicht nur für ihre Kunden große Bedeutung, sondern auch für das Finanzsystem und die Wirtschaft allgemein. Eigenen Angaben zufolge hat die Bank mehr als 3 Millionen Menschen aus der Armut geholfen und viele weitere Millionen dabei unterstützt, ihre Wohnsituation zu verbessern, die Kinder zur Schule zu schicken oder Arbeit zu schaffen.


Zudem vergeben andere staatliche Banken und die genossenschaftsähnlichen People‘s Credits Funds ebenfalls Kredite an einkommensschwache Haushalte. Auf dem Papier ist die Reichweite von 10 Millionen bis 12 Millionen Kreditnehmern enorm.

Die VBSP nimmt fünf bis acht Prozent Zinsen pro Jahr. Das ist etwa die Hälfte dessen, was Geschäftsbanken verlangen und ein Drittel von dem, was nichtstaatliche MFI wie TYM fordern. Das zwingt die MFI, ihre Zinsen so niedrig wie möglich zu halten. Tatsächlich fordern vietnamesische MFI im Durchschnitt nur die Hälfte dessen, was entsprechende Institute in Indien, Kambodscha und auf den Philippinen nehmen. Weil staatliche Mikrokredite trotzdem günstiger sind, wachsen nichtstaatliche MFI in Vietnam nicht so schnell wie in anderen asiatischen Ländern. Derzeit erreichen sie etwa 700 000 Menschen – gerade mal fünf Prozent der armen und einkommensschwachen Familien des Landes.

Abgesehen davon, dass sie nichtstaatliche MFIs klein halten, hat die staatlich subventionierte Kreditpolitik auch andere große Nachteile. Wenn die Kreditaufnahme zu einfach wird, zieht das auch Leute an, die die Darlehen nicht bedienen können und scheitern. Außerdem fangen Familien an, Kredite für Konsumgüter zu verwenden statt für produktive Investitionen.

Die Regierung unterstützt die VBSP jährlich mit 150 bis 200 Millionen Dollar. Folglich hat die VBSP kaum Anreize, die Ersparnisse der Armen zu mobilisieren. Das jedoch hätte zwei Vorteile:

  •  Dank der Zinsen hätten die Kunden mehr von ihren Ersparnissen, und
  •  es würde Kapital eingesammelt, welches die Bank für Darlehen für produktive Investitionen nutzen könnte.

Es wäre besser, die Regierung würde mehr Geld für Schulen, Gesundheit und Infrastruktur aufbringen, statt den Wettbewerb im Mikrofinanzsektor zu verzerren.


Nichtstaatliche ­Stärken

Trotz der harten staatlichen Konkurrenz werden TYM und andere Mikrofinanzinstitute immer beliebter – nicht zuletzt wegen ihres ganzheitlichen Ansatzes. Bei TYM sind Kunden von Anfang an „Mitglieder“. Sie bekommen Kredite, wenn sie diese brauchen, nicht wenn die Regierung frisches Geld in den Markt wirft. TYM schult Mitglieder in Finanzangelegenheiten und prüft sorgfältig, ob sie Kredite bedienen können. Alle Mitglieder werden zu Sparsamkeit ermahnt, damit sie Eigenkapital aufbauen und damit später höhere Darlehen erhalten können.

Die Rückzahlungsquote bei TYM ist mit 99,9 Prozent ausgezeichnet. Generell ist der Geschäftssinn in Vietnam sehr ausgeprägt und die Rückzahlungsmoral entsprechend groß. Allerdings ist die Loyalität der TYM-Mitglieder zu ihrem Institut besonders stark. Sie sind auch bereit, für TYM-Dienstleistungen extra zu zahlen. Auf dieser Basis und dank effizienten Betriebs mit strikter Kostenkontrolle macht TYM seit 15 Jahren Gewinn. Dieser wird in die Expansion des Geschäfts investiert.

Bis 2005 galten MFI-Aktivitäten in Vietnam als karitativ, so dass der Staat sich nicht dafür interessierte. Das änderte sich, weil die Asiatische Entwicklungsbank und andere Geberorganisationen das Mikrofinanzwesen international propagieren.

Die Regierung erließ 2005 und 2007 Verordnungen zur Mikrofinanzierung, und 2010 wurden Mikrofinanzparagraphen in das revidierte Bankengesetz aufgenommen. Dennoch haben bisher nur drei MFIs offizielle Lizenzen erhalten; TYM war die erste. Weitere Anwärter scheinen wenig interessiert – vermutlich, weil die Anforderungen sehr hoch sind.

Die Zentralbank State Bank of Vietnam (SBV) hat die Aufsicht. Ihre Lizenzabteilung hat sicherlich beste Absichten und kennt, dank exzellenter technischer Hilfe aus Geberländern, auch die internationale Praxis. Ein Gesetz zu verfassen und es umzusetzen sind aber zwei verschiedene Dinge.

Die SBV hat mehr als 60 Niederlassungen im ganzen Land. Ihre lokalen Beamten scheinen mit den MFI jedoch überfordert zu sein. Beispielsweise waren sie erstaunt, dass die schlichten Niederlassungen von TYM weder gepanzerte Geldtransporter noch hochentwickelte Software verwenden, um Transaktionen in Echtzeit zu verfolgen. Derlei ist angesichts der kleinen Summen, um die es bei TYM geht, nicht nötig und würde die Kosten unverhältnismäßig in die Höhe treiben. Und für kleinere MFI mit etwa 10 000 Kunden wären solche Anschaffungen erst recht nicht sinnvoll.

TYM jedoch will wachsen. Dieses MFI erkennt an, dass die Vorschriften dazu da sind, die ökonomisch schwachen Kunden zu schützen. Anforderungen, die heute übertrieben scheinen, können auch bald angemessen sein.

In einem Schwellenland wie Vietnam wächst die Nachfrage nach Finanzdienstleistungen nicht nur, sie wird auch vielfältiger. Kleine MFI sind immer weniger in der Lage, den Wünschen gerecht zu werden. Gewiss wird es in Zukunft auch weiter vor allem um Kredite gehen, aber die Produktpalette muss insgesamt stärker diversifiziert und flexibler werden.

Bei finanzieller Inklusion geht es um mehr als um Kredite. Derzeit haben lediglich 25 Prozent der Vietnamesen ein eigenes Bankkonto. Menschen vom Land, die in den Städten arbeiten, müssen aber Geld nach Hause in die Dörfer transferieren können. Die Regierung spricht sich für Banküberweisungen aus. Es gibt immer mehr Kredit- und Debitkarten, und auch das Netzwerk der Bankautomaten wächst. Die Finanzinstitute müssen auch Erspartes wirksamer mobilisieren. Bisher heben die meisten Menschen ihr Geld ab, sobald es auf dem Konto ist.

Es gibt aber weit mehr Möglichkeiten für Fortschritt. Bislang wurde nie ernsthaft versucht, mobiles Banking einzuführen – und das, obwohl es pro Kopf in Vietnam 1,3 Handys gibt. Der informelle Sektor ist riesig: 80 Prozent der Erwerbstätigen sind selbständig oder arbeiten informell ohne Vertrag. Die meisten Landwirte, Bauarbeiter und Verkäufer etwa haben keine Krankenversicherung, Lebensversicherung oder Altersabsicherung. Das Versicherungsgeschäft muss sich in Vietnam erst etablieren.

Wenn umfassende finanzielle Inklusion gelingen soll, bedarf es einer Vielzahl von Anbietern. Die Regierung muss ihre Rolle annehmen, insbesondere indem sie reguläre Beschäftigung und den Aufbau sozialer Sicherungssysteme fördert sowie Raum für private Initiativen schafft.

TYM will zu dem halben Dutzend nichtstaatlicher MFIs gehören, die voraussichtlich eine bedeutende Rolle im aufstrebenden modernen Finanzsektor spielen werden. Das Spitzenmanagement will die Kundenzahl bis 2017 verdoppeln und ihnen ein breites Angebot an angemessenen, bedarfsgerechten finanziellen und nichtfinanziellen Dienstleistungen bieten. Die Dachorganisation VWU hat eine Strategie verabschiedet, die TYM bis 2020 zu einer Sparkasse für Frauen machen soll. Würde es TYM gelingen, nur die Hälfte der 15 Millionen VWU-Mitglieder als Kundinnen zu gewinnen, hätte sie das schon erreicht.

Die größten Herausforderungen sind wahrscheinlich Personalfragen. Bislang sind TYM-Mitarbeiter hervorragende Sozialarbeiter, die sich auch mit Krediten auskennen. Künftig werden sie Finanzberater und Kundenmanager sein müssen. Viele Abläufe sind bereits computerisiert, aber längst nicht alle. Es bedarf also massiver Investitionen. In jedem Fall muss TYM ohne Subventionen auskommen – also profitabel arbeiten.

Je größer und professioneller TYM wird, desto mehr Bedenken werden über Kommerzialisierung und Abweichen von der ursprünglichen Zielsetzung aufkommen. Das Management wird aber dafür sorgen, dass der Kontakt zur Basis nicht verlorengeht. Langfristig will es in ganz Vietnam umfassende finanzielle Inklusion voranbringen.

Duong Thi Ngoc Linh ist Generaldirektorin des vietnamesischen Mikrofinanzinstituts TYM. Die KfW unterstützt TYM im Auftrag der deutschen Bundesregierung.

Joerg Teumer ist Repräsentant der Sparkassenstiftung für internationale Kooperation (SBFIC) in Vietnam und berät TYM. joerg.teumer@gmx.de

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