Bildung
Das Sein neu erlernen
Eine Bildungsreform ist kein spektakulärer Prozess, ihr Effekt kann jedoch von großer Tragweite sein. Die Anhänger der Bildung für Nachhaltige Entwicklung zählen auf dieses Potential. Die Koalition aus Pädagogen, Politikern und Akademikern erstrebt eine radikale gesellschaftliche Veränderung und hofft, dass eine besser informierte Öffentlichkeit sich den gemeinsamen Herausforderungen stellt, bevor es zu spät ist.
Das Konzept sieht Bildung als Grundlage eines nachhaltig ausgerichteten Lebensstils. Ursprünglich bezog sich der Begriff Nachhaltige Entwicklung lediglich auf die Umwelt, heute aber steht er für eine ganzheitliche Entwicklungsvision, die sowohl umwelttechnische Methoden als auch humanitäre Belange, wie etwa die Gleichstellung der Geschlechter, Menschenrechte und Gesundheitsfragen thematisiert.
Außerhalb von Expertenkreisen ist das Konzept für viele zu abstrakt. Genau darum geht es aber bei Bildung für Nachhaltige Entwicklung: Themen, die nachhaltige Entwicklung voranbringen, sollen in alle Bildungsbereiche einbezogen werden – vom Vorschulalter bis in die Hochschulbildung – und so ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit zu schaffen. Weil globale Nachhaltigkeit von weltweiter Beteiligung abhängt, ist Bildung für Nachhaltige Entwicklung in internationale Initiativen eingebunden, die sich der Universalbildung verschrieben haben, etwa mit Bildung für Alle oder dem zweiten UN-Millenniumsziel.
Im Kern verlangt Bildung für Nachhaltige Entwicklung eine weltweite ethische Umorientierung. Anders als in der traditionellen leistungsorientierten Bildung legt sie den Fokus auf den Menschen selbst und nicht auf seine Leistungsstärke. Die Lehrmethoden setzen Schwerpunkte im Bereich Ethik, Kreativität und kritisches Denken; transdisziplinäre Projekte fördern Fähigkeiten, die im Kampf gegen komplexe und vielschichtige Probleme wie den Klimawandel notwendig sind.
Graça Machel sieht in der aktuellen Rezession den Beweis für die dringende Notwendigkeit Nachhaltiger Bildung: „Ein wachsender moralischer Bankrott hat einen wirtschaftlichen Bankrott ins Rollen gebracht. Wenn wir nicht entschieden handeln, werden unsere Kinder die schweren Folgen der Unverantwortlichkeit einer anderen Generation erleiden müssen.” Das sagte sie kürzlich auf der Bonner UNESCO-Konferenz zur Halbzeit der UN-Dekade Bildung für Nachhaltige Entwicklung. Auch Umweltprobleme, so die ehemalige mosambikanische Bildungs- und Kulturministerin, hätten ihren Ursprung in einem grundlegenden Wertemangel.
Mehr als 900 Vertreter von Regierungen, Forschungseinrichtungen und Zivilgesellschaft aus mehr als 150 Ländern diskutierten in Bonn den bisherigen Fortschritt und planten die zweite Dekadenhälfte. Etliche kritisierten den Mangel an politischem Willen und berichteten von zahlreichen Unklarheiten. Viele Lehrer etwa sehen in Bildung für nachhaltige Entwicklung eine zusätzliche Belastung der Lehrpläne und keinen neuen ganzheitlichen Ansatz. Eine Studie in 22 arabischen Ländern zeige, dass das Konzept oft mit Umweltbildung verquickt werde, meinte Abdel Moneim Osman. Dabei würden jedoch die wirtschaftlichen und sozialen Aspekte außer acht gelassen.
Der Leiter der Bangladescher NRO Centre for Mass Education in Science, Muhammad Ibrahim, schilderte die Grenze des Konzepts Bildung für Nachhaltige Entwicklung und seiner moralischen Ziele: Aus Wissen resultiert nicht notwendigerweise Handeln. Der Erfolg des Konzepts hängt an der Fähigkeit jedes einzelnen Lehrers, Wandel über die Grenzen der Klassenzimmer hinaus anzuregen. Will Swanson