Wertschöpfungsketten

Frauen, Klima und Schokolade

Ernährungssicherheit ist eines der wichtigsten Themen der globalen entwicklungspolitischen Agenda. Die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erklärt, weshalb die Stärkung lokaler Wertschöpfungsketten entscheidend ist, um Hunger weltweit zu beenden.
Erntehelferinnen auf einer Kakaoplantage in Côte d‘Ivoire. picture-alliance/dpa/Christophe Gateau Erntehelferinnen auf einer Kakaoplantage in Côte d‘Ivoire.

Was hat Wertschöpfung mit Entwicklungszusammenarbeit zu tun? Ganz einfach: Wenn die Menschen in den Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas Agrarrohstoffe wie Soja, Palmöl, Kakao oder Kaffee anbauen, die anschließend unverarbeitet exportiert werden, dann haben sie oft wenig davon. Sie arbeiten hart auf den Feldern, doch erhalten nur einen Bruchteil des Gewinns. Denn die Gewinne entstehen größtenteils bei der Weiterverarbeitung. Sie landen bei den international agierenden Konzernen – und nicht bei den Menschen im Globalen Süden.

Wenn die Landwirtinnen und Landwirte hingegen Kakao oder Kaffee nicht nur anbauen, sondern auch weiterverarbeiten, dann wird Wert geschaffen. In Form von zusätzlichem Einkommen. In Form von Arbeitsplätzen. Und in Form von besserer Ernährung, weil dann weniger Nahrungsmittel importiert werden müssen. Ich bin davon überzeugt, dass die Entwicklungspolitik lokale Wertschöpfung stärken muss.

Wert schöpfen durch die Stärkung von Frauen

In der Sahel-Region treiben Hunger und Armut viele Menschen in die Arme von Terrorgruppen. Weil die Terroristen ihnen eine Einnahmequelle versprechen, die ihnen ansonsten fehlt. Um dem Hunger und der Perspektivlosigkeit im Sahel entgegenzuwirken, braucht es eine nachhaltige Landwirtschaft und eine höhere lokale Wertschöpfung. Also klimaresistente Anbaumethoden, Produktivitätssteigerungen, eigene Verarbeitung und bessere Vermarktung der Produkte. Aber wie sieht das ganz praktisch aus?

In Burkina Faso beispielsweise werden 138 000 Kleinbäuerinnen und Kleinbauern durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit darin unterstützt, Methoden zum Boden- und Wasserschutz anzuwenden. Dadurch können sie ihre Felder widerstandsfähiger gegen den Klimawandel machen und auch bei Dürren und Starkregen eine zuverlässige Ernte einfahren. Außerdem beraten wir gemeinsam mit unseren Partnern vor Ort landwirtschaftliche Kleinunternehmen dazu, wie sie so produzieren können, dass mehr Geld bei ihnen verbleibt.

Sabine Nana beispielweise hat ein Unternehmen, das pro Tag zwei Tonnen Maniok zu Couscous verarbeitet. Um ihr Unternehmen wachsen zu lassen, nahm Sabine an Schulungen teil, die durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit gefördert werden. Sie lernte, einen Businessplan zu entwickeln, wurde in Unternehmensführung geschult und eignete sich verbesserte Techniken an, um ihren Maniokteig haltbar zu machen. Inzwischen bildet Sabine selbst junge Frauen aus und begleitet sie bei ihren Unternehmensgründungen.

Sabine beliefert mittlerweile die Kantinen von 300 Grundschulen mit Couscous. Seit 2019 konnte sie ihren Jahresumsatz von 120 000 Euro auf 300 000 Euro steigern. Und während sie ursprünglich 25 Frauen beschäftige sind es heute doppelt so viele. Mit diesem Einkommen sind ihre Mitarbeiterinnen wirtschaftlich unabhängig, können ihre Familien ernähren und ihre Kinder zur Schule schicken.

Die höhere Wertschöpfung lohnt sich also nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sozial. Sie stärkt Frauen und bietet Kindern bessere Zukunftsperspektiven. Und sie trägt zur Sicherheit der Menschen vor Ort und hier in Deutschland bei, weil sie dem Terrorismus den Nährboden entzieht.

Wert schöpfen durch klimaresilienten Anbau

Wie im Sahel ist der Klimawandel auch in vielen anderen Teilen der Welt einer der Haupttreiber von Hunger und Armut. Überschwemmungen, Dürren und Stürme zerstören landwirtschaftliche Flächen und zwingen Menschen dazu, ihre unfruchtbar gewordene Heimat zu verlassen.

So ging es auch Suma Begum in Bangladesch. Nachdem sie bei einer Flut ihr Zuhause verlor, ist sie mit ihrer Familie geflohen. In der informellen Siedlung, in der sie nun lebt, gibt es jedoch nur wenige Möglichkeiten zum Geldverdienen. Deshalb hat Suma an einem Fortbildungsprojekt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit teilgenommen.

Dort hat sie gelernt, wie sie zu Hause Gemüse anbauen kann – nicht nur in ihrem Vorgarten, sondern auch in Säcken, auf dem Dach, an der Hauswand oder im Hinterhof. Dadurch kann Suma sich und ihre Familie versorgen. Und das überschüssige Gemüse verkauft sie in der Nachbarschaft oder auf dem Markt. Mit dem Gewinn nimmt Suma an einem Sparprogramm teil, um Arztbesuche und Schulgelder zu bezahlen.

Ihr Beispiel zeigt, dass innovative und klimaresiliente Anbaumethoden es den Menschen ermöglichen, trotz der zunehmenden Erderhitzung ein verlässliches Einkommen zu erwirtschaften. So brauchen sie in Krisenfällen weniger Unterstützung und fliehen seltener in andere Länder, um ihre Existenz zu sichern.

Wert schöpfen durch Schokolade

Neben Gemüse kann auch Schokolade dazu beitragen, Menschen eine bessere Zukunftsperspektive zu bieten. Rechnerisch isst jeder und jede Deutsche im Jahr durchschnittlich neun Kilogramm Schokolade. Aber nur die wenigsten dürften wissen, dass von einer Tafel Schokolade oft nur sechs Cent bei den Kakaobäuerinnen und -bauern ankommen.

Davon können sie nicht leben. Und durch klimawandelbedingte Ernteausfälle, wie zuletzt in Ghana und in der Côte d‘Ivoire, wird ihre Situation noch verschärft. Damit sich das ändert, engagiert sich das Bundesentwicklungsministerium – zusammen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Unternehmen und der Zivilgesellschaft – in der Multi-Stakeholder-Initiative „Forum Nachhaltiger Kakao“. Die Mitglieder des Forums haben sich das Ziel gesetzt, dass bis 2030 mindestens 90 Prozent der Kakaobäuerinnen und -bauern ein existenzsicherndes Einkommen erzielen.

In einem Gemeinschaftsprojekt des Forums Nachhaltiger Kakao in der Côte d‘Ivoire vermitteln lokale Partner moderne Anbaumethoden, die die Erträge steigern. Sie unterstützen die Bauern dabei, neben Kakao auch andere Nutzpflanzen anzubauen, um so ihr Einkommen zu diversifizieren. Sie fördern die Verarbeitung von Nebenprodukten der Kakaofrucht, z. B. die Erzeugung von Erfrischungsgetränke aus dem Fruchtfleisch oder Düngemittel aus den Schalen. Und sie legen den Fokus dabei besonders auf Frauen, weil sie nachweislich mehr von ihrem Einkommen in die Ernährung und Ausbildung ihrer Kinder investieren, als Männer es tun.

Doch das reicht nicht aus. Einkaufende Unternehmen in Europa müssen für faire Preise und Konditionen für die Menschen in ihren Lieferketten sorgen. Es ist deshalb ein wichtiger Schritt, dass die neue EU-Lieferkettenrichtlinie die Konzerne zukünftig dazu verpflichtet, ihre Einkaufspraktiken zu verbessern. Auch wenn die Vorschriften noch nicht in Kraft sind, erwarte ich von Handel und Industrie, dass sie schon jetzt mit der Umsetzung beginnen. Das ist nicht nur moralisch richtig, sondern auch gut fürs Geschäft: Wer fair handelt, hat einen Marktvorteil.

Wert schöpfen wirkt

Die genannten Beispiele aus dem Sahel, Bangladesch und der Côte d‘Ivoire zeigen, dass sich Hunger und Armut durch eine höhere lokale Wertschöpfung wirksam bekämpfen lassen. Doch als Weltgemeinschaft brauchen wir auch strukturelle Veränderungen. Es müssen mehr Länder, mehr internationale Organisationen, mehr private und mehr zivilgesellschaftliche Akteure gemeinsam daran arbeiten, dass alle Menschen weltweit ausreichend gesunde Nahrung haben.

Eine Gelegenheit dafür bietet die Hamburg Sustainability Conference (HSC), die das Bundesentwicklungsministerium am 7. und 8. Oktober 2024 gemeinsam mit der Stadt Hamburg, der Umweltstiftung Michael Otto und den Vereinten Nationen ausrichtet. Dort bringen wir führende Köpfe aus Politik, Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft aus der ganzen Welt zusammen. In einem vertrauensvollen und partnerschaftlichen Austausch wollen wir dort diskutieren, wie wir die Agenda 2030 wieder auf Kurs bringen können.

Svenja Schulze ist Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
https://www.bmz.de/de