Kommentar

Keine perfekte Kandidatin

Die neue IWF-Chefin kommt wieder aus Frankreich. Das wäre nicht so, hätten die Schwellenländer einen eigenen, überzeugenden Kandidaten vorgeschlagen.


Von Hans Dembowski

Der Euro ist die Währung von 17 souveränen Staaten inklusive einiger der größten Volkswirtschaften der Welt. Die Europäische Währungsunion ist eine ­besondere Konstruktion – und obendrein fragil. Jetzt, wo die Eurozone mit drama­tischen globalen Konsequenzen auseinanderzubrechen droht, schadet es sicher nicht, eine europäische Politikerin an der Spitze des Internationalen Währungsfonds zu haben. Der IWF muss schließlich eine wichtige Rolle bei der Lösung der Finanzkrise spielen. Da kann es helfen, dass seine Spitze die komplizierte Europapolitik versteht.

Davon abgesehen war Christine Lagarde nicht die perfekte Kandidatin für diesen Job. Sie ist Juristin, nicht Ökonomin. Ihr fehlt die Ausbildung, die normalerweise und zu Recht für den makroökonomisch wichtigsten Posten weltweit erwartet wird. Sie stammt aus Frankreich, genau wie ihr blamierter Vorgänger Dominique Strauss-Kahn, der nach dem Vorwurf der Vergewaltigung in New York zurücktrat, und wie Michel Camedessus, der den Fonds von 1987 bis 2000 leitete. Es ist nicht einzusehen, warum ein einziges Land so lange Zugriff auf dieses wichtige Amt haben sollte. Obendrein liefen dort im Juni Ermittlungen, die Lagarde wegen einer Entscheidung, die sie als Finanzministerin traf, noch vor Gericht bringen könnten. Zu ihren Gunsten ist aber zu erwähnen, dass niemand ihr persönliche Bereicherung vorwirft.

Angesichts dieser Schwächen war es von europäischen Politikern anmaßend, schon kurz nach Strauss-Kahns Rücktritt auf Lagarde als Nachfolgerin zu bestehen. Sie beleidigten damit alle Länder, die früher auf IWF-Hilfe angewiesen waren. Als Indonesien, Argentinien oder Mexiko den IWF brauchten, wurde natürlich keiner ­ihrer Staatsbürger IWF-Chef. Im Gegenteil hieß es damals, es sei wichtig, dass das IWF-Management nicht in ihre Finanzmiseren verstrickt war.

Jahrelang war offiziell Konsens, dass kein Land und keine Weltregion ein Recht darauf hat, den IWF-Chef zu stellen. Es hieß, der nächste Managing Director werde auf der Basis von Leistung in offenem Wettbewerb ausgewählt. Folglich murren jetzt Beobachter aus Schwellenländern darüber, dass eine Französin einem Franzosen folgt.

Zum Schmollen haben sie aber keinen Grund. Ihre Regierungen hatten die Chance, einen überzeugenden eigenen Kandidaten zu präsentieren, und haben sie nicht genutzt. In der Politik geht es aber nicht nur darum, was man nicht will, sondern darum, Kompromisse zu erreichen. Der jüngste Zank um die IWF-Spitze hat abermals bewiesen, dass die neuen Riesen der Welt wenig verbindet – ab­gesehen von ihrer Abneigung gegen die ­Dominanz der alten Mächte, die ohnehin schwindet.

Agustin Carstens aus Mexiko war kein überzeugender Kandidat. Der konservative Ökonom hat in Chicago studiert, der Hochburg monetaristischer Orthodoxie. Es ist kaum vorstellbar, dass er Strauss-Kahns unkonventionelle makroökonomische Politik fortgesetzt hätte, von der die meisten Experten sagen, sie habe geholfen, die globale Finanzkrise in den Griff zu bekommen und eine weltweite Depression zu verhindern. Mexikos Regierung ist zudem so eng mit den USA verbündet, dass Carstens den großen ­asiatischen Schwellenländern wie ein weiterer westlicher Kandidat vorgekommen sein muss.

Der frühere UNDP-Administrator Kemal Dervi wäre ein interessanter Kandidat gewesen. Er kennt sich mit Finanzkrisen und Entwicklung aus. Er war türkischer Finanzminister, als sein Land 2011 IWF-Geld brauchte, und setzte damals ein stringentes Strukturanpassungsprogramm durch, das zu schneller wirtschaftlicher Erholung und jahrelang hohen Wachstumsraten führte. Dervi wurde aber nicht für die IWF-Spitze nominiert. Seine Chancen wären wohl auch nicht gut gewesen. China, Indien und andere hätten kaum einen Kandidaten aus einem NATO-Land, das EU-Mitglied werden will, unterstützt.

Lagardes Nominierung kann vielleicht noch anders interpretiert werden – als stillschweigendes Eingeständnis der Schwellenländer, dass die Eurokrise wirklich gefährlich ist und dass diejenigen, die den Karren in den Dreck gefahren haben, ihn am ehesten wieder herausziehen können.

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