ASEAN
„Geflüchtete können viel zur Aufnahmegesellschaft beitragen“
Wie ist die Lage für Geflüchtete und Vertriebene in der Asien-Pazifik-Region?
Geflüchtete erhalten keinen ausreichenden Schutz. Nur 20 von 45 Ländern haben die Flüchtlingskonvention der UN unterzeichnet; von den zehn Mitgliedsstaaten des Verbands Südostasiatischer Nationen (ASEAN) sind es nur die Philippinen und Kambodscha. Selbst Länder, die die Konvention unterzeichnet haben, halten sich oft nicht an ihre Prinzipien. Kambodscha beispielsweise schickt Schutzsuchende oft in die Länder zurück, aus denen sie geflüchtet sind. Australien bricht permanent seine internationalen Verpflichtungen, indem es Boote auf dem Meer abfängt und Flüchtlinge außerhalb seiner Grenzen für unbestimmte Zeit festsetzt. Es verschlimmert die Lage, dass viele Staaten keine nationalen Gesetze oder Pläne haben, um Geflüchtete zu schützen. Manche Länder haben Vorbehalte gegen andere internationale Menschenrechtsgesetze und -abkommen. Es fehlt fast überall ein rechtlicher Status für Geflüchtete und Staatenlose. Das führt dazu, dass sie unter Einwanderungsgesetze fallen und als „illegale Immigranten“ behandelt werden. Vor allem Flüchtlinge in Städten leben deswegen in ständiger Furcht, verhaftet, unbefristet eingesperrt oder deportiert zu werden. Sie haben auch kein Recht zu arbeiten.
Im asiatisch-pazifischen Raum werden Flüchtlinge scheinbar zunehmend inhaftiert. Warum?
Weltweit herrscht ein Narrativ vor, in welchem Geflüchtete, Asylsuchende und Vertriebene mit nationaler Sicherheit und nicht mit Schutzbedarf und Menschenrechten in Verbindung gebracht werden. Einige Regierungen – wie Australien – nutzen sogar Haft als ein Mittel zur Abschreckung. Alle Studien zeigen jedoch, dass dies nicht funktioniert. Hinzu kommt, dass die wirklichen Ursachen der erzwungenen Migration gar nicht angesprochen werden, wie etwa Konflikte, Verfolgung und Diskriminierung. Ein Beispiel dafür ist Myanmar, wo die Verweigerung der Staatsbürgerschaft, Rassismus und religiöse Diskriminierung zur massenhaften Vertreibung von Rohingya (siehe Ridwanul Hoque und Ashraful Azad in E+Z/D+C e-Paper, Schwerpunkt) und anderen ethnischen Minderheiten wie den Karen, Karenni und Shan geführt hat.
Welche Auswirkungen hat die Inhaftierung von Migranten?
Sie hat schwere Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit der Menschen. Die Folgen sind gut dokumentiert: psychische Krankheiten, Zunahme von Selbstmordversuchen, schlechter physischer Zustand sowie Todesfälle in Haft. Ein Bericht zeigt, wie die Bedingungen und die Kürzungen in der Gesundheitsversorgung im australischen System der Offshore-Haft zu erhöhter Selbstmordrate unter den Geflüchteten führen. Was Kinder angeht, hat die Inhaftierung und das Auseinanderreißen von Familien negative Auswirkungen auf ihre Entwicklung und endet häufig in Selbstverletzungen und Selbstmordgedanken. Kinder sind speziell gefährdet bezüglich sexueller und physischer Gewalt sowie Trauma. Migranten zu inhaftieren verletzt Menschenrechte, aber es hält keinen Flüchtling davon ab, sein Land zu verlassen.
Was kann APRRN dagegen unternehmen?
Wir versuchen, den Regierungen klarzumachen, dass Geflüchtete keine Last sind, sondern dass sie viel zur Aufnahmegesellschaft beitragen können; vorausgesetzt, sie werden integriert und bekommen Arbeitsgenehmigungen. In Thailand hat APRRN zusammen mit einer Koalition einheimischer Menschenrechts- und Kinderrechtsorganisationen auf Akteure und Entscheider eingewirkt, bis sie eine Absichtserklärung unterzeichneten, um die Inhaftierung von Kindern zu beenden. Außerdem arbeiten APRRN und seine Partner mit der Regierung an einem Pilotprojekt bezüglich „Alternativen zur Haft“ („Alternatives to Detention“, ATD).
Welche Alternativen zur Haft gibt es?
ATDs für Kinder und Erwachsene können viele Formen haben, wie etwa gemeinschaftliches Wohnen; Pflegefamilien für unbegleitete asylsuchende Kinder; temporäre oder permanente Aufenthaltsgenehmigungen oder ein rechtlicher Status, der Flüchtlinge vor Inhaftierung schützt. Es ist ein billigerer, effektiverer und humanerer Weg, um Migration zu managen als Haft. ATDs sind bis zu 80 Prozent billiger als Haft, und es geht den Migranten bei diesen Maßnahmen viel besser.
Was könnte ASEAN als eine zwischenstaatliche Organisation tun, um die Situation für Geflüchtete in seinen Mitgliedsländern zu verbessern?
ASEAN muss sich von ihrem Prinzip der Nichteinmischung und nationaler Souveränität verabschieden und anerkennen, dass Vertreibung und erzwungene Migration regionale Probleme mit potenziell destabilisierenden Auswirkungen sind, die deswegen regionale Kooperation benötigen. Die ASEAN-Erklärung zum Schutz der Rechte von Arbeitsmigranten (Declaration on the Protection and Promotion of the Rights of Migrant Workers) von 2007 konzentriert sich ausschließlich auf Arbeitsmigranten und erwähnt Flüchtlinge oder Asylsuchende nicht einmal. ASEAN sollte ein regionales Rahmenkonzept und eine gemeinsame Flüchtlings- und Asylpolitik sowie Handlungsanweisungen entwickeln, welche Schritte unternommen werden müssen, wenn aufgrund interner Probleme in einem Mitgliedsstaat die Menschen in die Nachbarstaaten fliehen. Solche Regeln könnten dazu beitragen, auch in der Zukunft die Eskalation von Konflikten und ethnisch oder religiös begründeten Spannungen zwischen Staaten abzufedern.
Was halten Sie für die dringlichsten Herausforderungen in der Region bezüglich Migration?
Abgesehen von der Inhaftierung von Migranten möchte ich drei Flüchtlingsgruppen hervorheben, die alle aufzeigen, wie notwendig dauerhafte Lösungen sind:
- Die erste findet sich in Thailand entlang der Grenze zu Myanmar, wo 100 000 Karen, Karenni und kleinere Gruppen anderer ethnischer Minderheiten aus Myanmar seit 30 Jahren in neun vorläufigen Lagern für Vertriebene leben.
- Eine andere ethnische Minderheit, die Chin, flohen aus Myanmar nach Indien und Malaysia. Die Chin stehen einer unsicheren Zukunft gegenüber, weil das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR den Prozess der Aufhebung ihres Flüchtlingsstatus’ begonnen hat, aufgrund der Annahme, dass sie keinen internationalen Schutz mehr benötigen.
- Und im August 2017 war die Welt Zeuge der Massenflucht von mehr als 700 000 Rohingya von Myanmar nach Bangladesch. Auslöser war der Ausbruch von Gewalt in Myanmars Rakhine-Staat. Die Rohingya sind eine Bevölkerungsgruppe, die von der burmesischen Regierung nicht als Bürger anerkannt wird, weswegen sie staatenlos sind. Mehr als 900 000 von ihnen leben nun in Cox’s Bazar in Bangladesch, das eines der dichtbesiedeltsten und jetzt auch größten Flüchtlingslager der Welt ist.
Diese Flüchtlingsgruppen haben eines gemeinsam: Die betreffenden Staaten haben sich mit den zugrunde liegenden Ursachen der Vertreibung noch nicht umfassend beschäftigt.
Wie kann APRRN den allgemeinen Trend beeinflussen?
Durch gemeinsame Interessensvertretung und Lobbying zielt APRRN darauf, mehr Rechte für Geflüchtete auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene durchzusetzen. Auf nationalem Level wollen wir lokale zivilgesellschaftliche Akteure und nationale Netzwerke stärken, damit sie mit regionalen Gremien wie ASEAN verhandeln können.
Sehen Sie auch positive Entwicklungen?
In Thailand arbeiten APRRN und seine Partner zusammen mit der Regierung an der Entwicklung und Umsetzung des Pilotprojekts „Alternativen zur Haft“. Die Regierung hat sich öffentlich dazu verpflichtet, ein nationales System für das Management von Geflüchteten und Asylsuchenden zu entwickeln. In Malaysia nimmt die NGO SUKA Society – ein Mitglied von APRRN – an einer Arbeitsgruppe mit Regierungsmitgliedern teil, um auf praktischer Ebene zu entscheiden, wie unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Aufnahmegesellschaft untergebracht werden können. In Südkorea wurde 2013 ein umfassendes Flüchtlingsgesetz verabschiedet, und in Taiwan hat APRRNs Arbeit mit Richtern und der Nationalen Einwanderungsbehörde zu einem Entwurf für ein Flüchtlingsgesetz geführt; wenn es verabschiedet wird, sind Geflüchtete dann rechtlich anerkannt.
Sussi Prapakranant ist Programmleiterin beim Asia Pacific Refugee Rights Network (APRRN). Sie lebt in Bangkok, Thailand.
sussi@aprrn.info
http://aprrn.info/
LINK
Amnesty International and Refugee Council of Australia report, 2018:
https://www.amnesty.org/en/documents/asa34/9422/2018/en/