Armutsbekämpfung
Es kommt auf Glaubwürdigkeit an
Das Beispiel der reichen Nationen Europas lehrt, dass die demokratische Auseinandersetzung über Staatseinnahmen und -ausgaben zu Kompromissen führt, die der gesellschaftlichen Stabilität und Legitimität dienen. Allerdings lässt sich das Beispiel fortgeschrittener Volkswirtschaften nicht ohne Weiteres auf benachteiligte Weltgegenden übertragen. Experten aus Lateinamerika betonen, dass ihre Region sich in vielen Hinsichten von der EU unterscheide. Sie verweisen unter anderem auf
– das vierfach höhere Durchschnittseinkommen in Europa,
– die weitaus größere Kluft zwischen hohen und niedrigen Einkommen in Lateinamerika und die
– größere ethnische Vielfalt ihres Kontinents mit mehr als 600 verschiedenen Volksgruppen.
Während in der EU der Staat typischerweise an die 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beansprucht, liegt die entsprechende Quote für Lateinamerika deutlich niedriger. Im armen Guatemala etwa sind es nur rund 13 Prozent, in El Salvador 14 Prozent. José Luis Machinea von der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (ECLAC) weist zudem darauf hin, dass in dieser Weltregion Steuereinnahmen nicht zur Umverteilung von Einkommen genutzt würden. Anders als in Europa gebe es in Lateinamerika weder „Sozialstaaten noch eine Tradition der sozialen Sicherung“.
Lateinamerikanische Volkswirtschaften stützen sich ihm zufolge vor allem auf Rohstoffe und niedrige Löhne. Europa dagegen setze auf High-Tech-Produkte, hohe Bildungsniveaus und teure Arbeitskräfte. Lateinamerika müsse ökonomisch aufholen, um auch sozial Anschluss zu finden.
Dass die Armutsquote seit Beginn des Jahrzehnts von 44 Prozent um rund zehn Punkte gefallen ist, wertet er als gutes Zeichen. Er und andere Fachleute aus der Region äußerten sich Mitte März bei einer Tagung, die InWEnt zusammen mit dem Entwicklungsministerium in Berlin veranstaltete, um den Europa-Lateinamerika-Gipfel in der peruanischen Hauptstadt Lima im Mai vorzubereiten.
Das Gastgeberland Peru hat in den vergangenen Jahren Fortschritte erzielt. Laut José Arista Aribaldo, dem stellvertretenden Finanzminister, ist die Armenquote zwischen 2000 und 2006 um vier Punkte auf 44,5 Prozent gefallen. Aus seiner Sicht müssen Regierungen die Mittel, die sie haben, sinnvoll einsetzen. Früher habe der peruanische Staat sich mit 82 sozialpolitischen Programmen verzettelt. Heute konzentriere sich die Regierungen auf nur noch 26 Programme. Außerdem stimmten sich verschiedene Ministerien und Behörden besser untereinander ab.
Unumstritten ist, dass Beschäftigung wichtig ist, um die Armut zu bekämpfen. Arbeit schafft Einkommen – und Einkommen bieten die Basis für Steuereinnahmen. Allerdings reicht Wachstum im Privatsektor nicht aus, um soziale Politik zu ermöglichen. Denn selbst wenn die breite Mehrheit der Bevölkerung genug Geld verdient, um Steuern zu zahlen, wird sie dazu nur bereit sein, wenn sie darauf vertraut, dass diese Mittel nicht verschwendet werden.
Die internationale Organisation „Transparency International“ betont deshalb die Folgen von Korruption im gesamten Staatsapparat. Diese sei in Lateinamerika der Hauptgrund dafür, dass die Akzeptanz von Steuern sehr gering sei. Zu viele Menschen hätten den Eindruck, der Staat sei nicht für sie da und sie selbst gehörten nicht wirklich zu der Gesellschaft.
„Wenn es keine soziale Kohäsion gibt, kann das die Demokratie in erhebliche Schwierigkeiten bringen“, lautete denn auch die Warnung von Heidemarie Wieczorek-Zeul, der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, auf der Berliner Tagung. Sie betonte, Entwicklungsländer bräuchten funktionierende Steuersysteme und stimmige Sozialpolitik, wenn die UN-Millenniumsziele der Armutsbekämpfung erreicht werden sollen. (eli/dem)