Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Wissensaustausch

Kompetent für die Zukunft

Wissen ist Macht. Das Wissen, wer etwas wissen könnte, wie Wissen entsteht, wie es anzuwenden und umzusetzen ist, macht kompetent und ist zugleich eine Voraussetzung für Veränderung. Wer Ziele erreichen will, muss Veränderungen bewusst und zielgerichtet steuern können, Kompromisse herbeiführen, Konsens schaffen und Allianzen eingehen. Um Strukturen zu beeinflussen und Organisationen oder gar Systeme zu verändern, brauchen Akteure Fachwissen und Führungsqualitäten.


[ Von Brigitta Villaronga ]

Die Alumni von InWEnt wissen, welche Kompetenzen sie brauchen. Nachdem sie an Programmen teilgenommen haben, nutzen viele die Möglichkeit, sich mit anderen Fach- und Führungskräften auszutauschen und Kontakte zu knüpfen. In Lateinamerika werden seit 2004 auf Initiative des Regionalbüros in Lima systematisch kooperative Netzwerke aufgebaut. Sie sind regional verknüpft und gehören zu einem Alumni-Netzwerk (RE@L), das ganz Lateinamerika umspannt.

Im Wesentlichen geht es um gemeinsames Lernen. Bestehendes Wissen wird gepflegt und ausgetauscht, neue Einsichten werden gewonnen und Kompetenzen erworben. Die Kooperation in Netzwerken, der Aufbau von Sozialkapital und die Stärkung von Institutionalität dienen letztlich auch Regierungsführung und Demokratie.

Ehemalige Teilnehmer aus staatlichen Organisationen, Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft interagieren in so genannten horizontalen „communities of practice“. Interaktion und Horizontalität seien wesentlich in einer Demokratie, zitiert María Victoria Alvarez aus Kolumbien die Thesen des spanischen Intellektuellen Vicente Verdús. Die Alumna hat eine Leitungsposition beim Rechnungshof in ihrer Heimatstadt Medellín aufgegeben, weil sie davon überzeugt war, andernorts mehr bewirken zu können. Heute erarbeitet die Kommunikationswissenschaftlerin unter anderem virtuelle Trainingskurse für InWEnt und beteiligt sich an Dialog- und Netzwerkprozessen.

Vom Konkurrenten zum Kooperationspartner

Indem sie Wissen und Erfahrungen austauschen und zugänglich machen, tragen die ehemaligen Teilnehmer von InWEnt-Programmen zur Demokratisierung von Wissen bei. So verändert sich auch die Sicht auf ihr Gegenüber: Mitwettbewerber werden zu Kooperationspartnern. In horizontalen Konstellationen sind mehr kollektive Akteure und Individuen eingebunden als in vertikalen. Komplexe Probleme sind durch Horizontalität nachhaltiger zu lösen.

Es werden aber nicht nur neue Kontakte und Netzwerke aufgebaut, sondern auch Vertrauen. Das ist besonders wichtig, denn daran fehlt es in vielen Entwicklungsgesellschaften. Ohne Vertrauen ist eine gelebte Demokratie jedoch nicht möglich. Gerade in Ländern, in denen der Staat nicht für die physische und soziale Sicherheit des Einzelnen sorgt, fehlt das Vertrauen zueinander, zu staatlichen Institutionen und ins System. Ohne Rechtsstaatlichkeit keine Demokratie.

Sozialkapital kann sich nur auf Basis von Vertrauen entwickeln. Eine Gesellschaft, der es an diesem Kapital mangelt, krankt an sich selbst, auch wenn die Wirtschaft trotz Krise weiterwächst. Wie aber entstehen interpersonales Vertrauen und gesellschaftliche Kooperation?

Neben Bildung sind gesellschaftliche Werte, soziale Traditionen und Erfahrungen von Gemeinschaft und gemeinschaftlicher Kooperation enorm wichtig. Formale politische Institutionen sind instabil, wenn ihnen der gesellschaftliche Unterbau einer demokratiefreundlichen Zivilkultur und soziales Vertrauen fehlen.

Besonders wichtig sind Netzwerke, die über Schichten und Ethnien hinweg Brücken schlagen. Verfassungen, politische Institutionen, Parteien und Verbände können kurzfristig konstruiert, gegründet und organisiert werden. Demokratische Werte aber, Vertrauen und Zusammenarbeit in der Gesellschaft lassen sich nicht am Reißbrett von Sozialingenieuren entwerfen. Sie werden vielmehr durch langfristiges zivilgesellschaftliches Engagement gelernt, verinnerlicht und als Sozialkapital akkumuliert.

Sobald informelle Normen Vertrauen, bürgerliches Engagement und zivile Selbstorganisation die Kommunikation einer Gesellschaft prägen – etwa in Form sozialer Netzwerke –, stabilisiert die Gesellschaft ihrerseits staatliche Herrschaftsformen und politische Institutionen der Demokratie.

Wachsende moralische Ressourcen

Soziales Kapital hilft, das in vielen jungen Demokratien existierende „Hobbes’sche Equilibrium“ von Misstrauen und vertikaler sozialer Abhängigkeit aufzulösen. Denn „moralische Ressourcen“ – wie soziales Vertrauen und gemeinschaftliche Kooperation – erschöpfen sich nicht, wenn sie gebraucht werden, sondern wachsen dadurch. So leitet sich der Begriff „Sozialkapital“ ab: Je größer das gesellschaftliche Vertrauen, desto wahrscheinlicher die soziale Kooperation, die wiederum das Vertrauen der Teilnehmenden steigert.

Soziales Vertrauen speist sich somit aus zwei einander verstärkenden Quellen: Wechselseitigkeit und kooperative Netzwerke. In demokratischen Ordnungen steigert akkumuliertes soziales Kapital die Stabilität, Effizienz und Qualität der Demokratie. Je mehr Sozialkapital angesammelt wurde, desto eher ist also zu erwarten, dass sich demokratische Ordnungen konsolidieren. Auch externe Akteure, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Good Governance und Entwicklung fördern, können hier wichtig sein – und zwar besonders dort, wo Humanressourcen (ökonomisch) und persönliche Fähigkeiten (sozial) wichtige Rollen spielen.

Der Ökonom Amartya Sen und die Philosophin Martha Nussbaum halten diese „capabilities“ für den Kern eines selbstbestimmten Lebens, einer „guten Gesellschaft“ und einer nachhaltigen Demokratisierung. Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit, wie etwa InWEnt, können hier ihre Stärken ausspielen. Der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel vom Wissenschaftszentrum Berlin vermutet, dass diese durch das Training sozialer Kompetenzen, Förderung sozialen Vertrauens unter den Multiplikatoren unterschiedlicher Gruppen, und indem sie kooperative Netzwerke initiieren und unterstützen, mehr zu Entwicklung, Wohlfahrt und Demokratie beitragen, als Großprojekte von IMF und Weltbank.“

Das lässt sich auch empirisch nachweisen. Die theoretische Basis dafür liefern Amartya Sens Überlegungen zur Bedeutung persönlicher Fähigkeiten („capabilities“) oder Robert Putnams Betonung der nachhaltigen Wirkung von kooperativen Netzwerken und Sozialkapital.

Wechselseitiger Austausch

Alvaro Montes, ein ehemaliger InWEnt-Teilnehmer aus Kolumbien, Telemoderator und Koordinator des virtuellen InWEnt-Bildungsportals für Lateinamerika, unterstreicht das: „Viele Mitglieder dieser lebendigen Alumnigemeinschaft sind aktiv an der Produktion von Sozialkapital beteiligt und wünschen sich mehr Demokratie in Lateinamerika – auf lokaler Ebene und darüber hinaus. Oft sind es kleine Initiativen, aber mit der Zeit wird daraus ein dichtes Geflecht.“

Xinia Cerdes, Teletutorin der Fernuniversität UNED in Costa Rica, einer Partnerorganisation von InWEnt für den Aufbau von E-Learning-Kapazitäten in der Region, sagt: „Demokratie kennt keine Landesgrenzen, nur ideologische Begrenztheit. Das Mitteilen von Wissen, Erfahrung, Träumen und Optionen auf allen Abstraktionsebenen ist eine heikle Angelegenheit, die nur über Netzwerke funktionieren kann.“ So entsteht Wissen, das auf andere Weise nie hervorgebracht worden wäre, Individuen und Institutionen, die sonst kaum miteinander in Kontakt gekommen wären, wachsen durch den Austausch.

María Rosa Gamarra aus Bolivien, Mitglied des fachlichen Netzwerks EducAL (E-Learning in Lateinamerika) unterstreicht Cerdes´ Aussage: „Eine Demokratie ist dann nachhaltig, wenn sie legitim, stabil und effektiv ist. Sie muss aus einem feinen Geflecht von Aktionen bestehen, die unterschiedliche Akteure auf mehreren Ebenen durchführen, und die Ziel und Zweck zugleich sind.“

Lateinamerika ist heute die demokratischste und ungleichste Weltregion zugleich. In einer Phase der „post-Transition“, auf der Suche nach einer eigenen (demokratischen) Persönlichkeit, ist derzeit viel möglich. Das Pendel kann hin zu mehr „echter Demokratie“ ausschlagen, genauso aber auch zu einer „versteckten Autokratie“. Vernetzung, Austausch und gegenseitige Stärkung von Fach- und Führungskräften aus so unterschiedlichen Ländern wie Costa Rica, Bolivien, Kolumbien oder Uruguay können demokratische Strukturen in der Region bei der Umsetzung von Veränderungs¬prozessen besonders wirkungsvoll fördern.