Südasien

Anhaltende Entfremdung

Vor vier Jahren fand Sri Lankas Bürgerkrieg nach 26 Jahren sein blutiges Ende. Hoffnungen auf langfristigen Frieden wirken allerdings verfrüht. Die strukturellen Konflikt­ursachen bestehen fort – und die Regierung gebiert sich zunehmend autoritär.
Als singhalesische Staatsdoktrin ist der Buddhismus schon lange nicht mehr gewaltfrei: Skulpturenhandel in der Nähe der Ostküstenstadt Trincomalee im Jahr 2010. Boethling/Lineair Als singhalesische Staatsdoktrin ist der Buddhismus schon lange nicht mehr gewaltfrei: Skulpturenhandel in der Nähe der Ostküstenstadt Trincomalee im Jahr 2010.

Es war ein blutiger Konflikt zwischen der sri-lankischen Regierung und den Tamil Tigers of Eelam (LTTE). Er kostete schätzungsweise 100 000 Menschen das Leben. Davon starben 40 000 in den letzten Kriegsmonaten. Die Tigers führten zeitweilig in den von ihnen kontrollierten Nord- und Ostprovinzen ein autoritäres und menschenverachtendes Regime. Sie rekrutierten Kindersoldaten und Selbstmordattentäter, sie ermordeten moderate tamilische Politiker und erpressten Schutzgelder und sie vertrieben Muslime und Singhalesen aus ihrem Herrschaftsgebiet.

Im Mai 2009 fand der Bürgerkrieg ein grauenvolles Ende, bei dem Hunderttausende Zivilisten zwischen die Fronten gerieten. Die Vernichtung der Tigers durch die sri-lankischen Streitkräfte fand dennoch breite Zustimmung, nicht nur bei den Singhalesen, die mit 75 Prozent die Mehrheit der Bevölkerung stellen, sondern auch bei Muslimen (sieben Prozent der Bevölkerung) und Tamilen (18 Prozent). Als die Waffen endlich schwiegen, waren die Hoffnungen auf Frieden und Demokratie groß. Einiges wurde seither erreicht. Nach Angaben des zuständigen Ministeriums wurden eine halbe Million Kriegsvertriebene im Norden und weitere 250 000 im Osten wieder angesiedelt. Fast alle der 12 000 LTTE-Kämpfer, die nach Regierungsangaben bei Kriegsende gefangen genommen wurden, sind rehabilitiert – darunter auch 600 Kindersoldaten. Im September 2011 hob die Regierung auch den 1983 verhängten Ausnahmezustand auf, verschärfte aber zugleich die Anti-Terrorismus-Gesetzgebung.

Um Stabilität und Versöhnung zu erreichen, setzt die Regierung auf Wachstum. Seit Kriegsende boomt die Wirtschaft: Sri Lanka verzeichnete 2011 mit 8,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) das höchste Wirtschaftswachstum in Südasien, 2012 betrug es immerhin noch 6,4 Prozent. Der Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur in den ehemaligen Kriegsgebieten und die soziale Entwicklung des Landes schreiten voran.

Die Voraussetzungen sind nicht schlecht. Im Human Development Index des UNDP (United Nations Development Program), der neben der Wirtschaftsleistung auch Bildungserfolge und Lebenserwartung misst, schneidet Sri Lanka seit langem gut ab. 2012 erreichte es Platz 92 von 197 Ländern und war damit anderen Ländern der Region weit voraus.

 

Heiliges Land

Trotz dieser Fortschritte fühlen sich hinduistische Tamilen und andere religiöse Minderheiten noch immer diskriminiert. Im Selbstverständnis vieler Singhalesen ist Sri Lanka ein heiliges Land des Buddhismus. Singhalesen sehen sich gern als auserwähltes Volk. Der triumphale Sieg der sri-lankischen Armee über die Tamil Tigers hat den singhalesisch-buddhistischen Na­tionalismus noch verstärkt.

Die tamilische Minderheit fordert bereits seit der Unabhängigkeit Sri Lankas (damals noch Ceylon) von der britischen Kolonialmacht im Jahr 1948 politische Rechte. Bisher wurden alle Regierungen von Singhalesen dominiert, und keine von ihnen hatte den politischen Willen, Tamilen Teilhabe zu gewähren. Die territoriale Integrität Sri Lankas galt den Amtsträgern immer als höchstes Gut – und ein starker, zentralistischer Staat als Garant der Einheit. In dieser Sicht sind Minderheiten, die politische Rechte einklagen, eine Bedrohung.

Seit Generationen sind die verschiedenen Bevölkerungsgruppen tief gespalten. Polarisierung und Misstrauen haben nach dem Krieg nicht abgenommen, sondern die Entfremdung der Minderheiten hat zugenommen. Dazu trägt bei, wie mit der Vergangenheit umgegangen wird:

  • Am 18. Mai, dem Jahrestag des Kriegsendes, wird der gefallenen Soldaten gedacht, nicht der unzähligen zivilen Opfer.
  • Bis heute bestreitet die Regierung, dass die Armee tamilische Zivilisten tötete. Eine vom Militär eingesetzte Disziplinarkommission, die mögliche Verfehlungen Armeeangehöriger untersuchen sollte, kam im Februar 2013 zu dem Schluss, allein die LTTE sei verantwortlich für den Tod von Zivilisten.
  • Kürzlich begann die Regierung mit der Realisierung des Projekts „Sandahiru Seya“ (die triumphierende Stupa), das die Errichtung monumentaler buddhistischer Tempel in allen neun Provinzen vorsieht. Das Verteidigungsministerium versteht sie als „Anerkennung der von Armee und Polizei gebrachten Opfer im Kampf gegen den skrupellosen LTTE-Terrorismus“.


Während überall im Land Moscheen, Kirchen und hinduistische Tempel verfallen, sprießen Buddha-Statuen nur so aus der Erde. Für die Minderheiten ist das ein Affront. Auch archäologische Ausgrabungen antiker buddhistischer Stätten in ehemaligen LTTE-Gebieten erleben die hinduistischen Tamilen als Provoka­tion, denn die Forschungsergebnisse dienen dazu, den Anspruch der Singhalesen auf ganz Sri Lanka zu legitimieren. Viele befürchten eine „Singhalesierung“ des Nordens und Ostens.

Der Menschenrechtsrat der UN hat Sri Lanka bereits zweimal aufgefordert, Kriegsverbrechen aufzuklären. Die Regierung hat auf internationalen Druck hin 2010 eine Lessons Learned and Reconciliation Commission eingesetzt. Diese empfahl die Einsetzung einer unabhängigen Ermittlungskommission, um vor allem das Schicksal der vielen Verschwundenen zu klären. Auch empfahl sie eine Reform der Institutionen, die Menschenrechte schützen sollen. Ein im Juli 2012 verabschiedeter Aktionsplan der Regierung ignorierte jedoch diese Empfehlungen. Darüber hinaus bereitet die wachsende Bedeutung des von Singhalesen dominierten Militärs in Sri Lanka den Minderheiten Unbehagen (siehe Kasten).


Religiöse Minderheiten

In den letzten Monaten kam es verstärkt zu antimus­limischer Hetze, meist angefacht von rechtsradikalen buddhistischen Mönchen. Sie fordern das Verbot der Burqa und des Verkaufs von nach muslimischem Brauch („halal“) zubereiteten Lebensmitteln. Es gab wiederholt Übergriffe auf Moscheen und Geschäfte von Muslimen.  

Auch christliche Kirchen wurden Ziel von Attentaten. Aus Sicht der Radikal-Buddhisten bedrohen Muslime und Christen die Einheit des buddhistisch-singhalesischen Staates. Ähnlich wie Indiens Hindu-Chauvinisten klagen sie über eine angebliche, statistisch unbelegte überdurchschnittliche Geburtenrate der Muslime und mutmaßliche Zwangskonvertierungen zum Christentum (siehe Interview mit Pater Painadath in E+Z/D+C, 2013/05, S. 209).

Präsident Mahinda Rajapaksa hat zu Mäßigung und Toleranz aufgerufen. Allerdings ist seine Sri Lanka Freedom Party bekanntermaßen mit den radikalen Mönchen eng verbunden.

Die jüngsten Entwicklungen tragen also zu einer weiteren Entfremdung der Minderheiten vom sri-lankischen Staat bei. Ihre Teilhabe und Mitsprache in Politik und Gesellschaft scheinen nicht gewünscht. Zugleich kam es seit Ende des Krieges zu einer Zentralisierung der politischen Macht, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf die Probe stellt. In diesem Kontext wird die Minderheitenfrage zugunsten der Machtkonsolidierung der Regierung Rajapaksa ausgespielt, ohne dass die Ursachen des Bürgerkriegs angegangen werden.


Autoritäre Tendenzen

Der Sieg über die Tamil Tigers hatte dem 2005 gewählten Präsidenten Rajapaksa große Popularität beschert. Bei den Parlamentswahlen 2010 erzielte die von ihm geführte Koalition United People´s Freedom Alliance (UPFA) die absolute Mehrheit. Die UPFA regiert zudem in sieben von neun Provinzen. Per Verfassungsänderung schaffte das Parlament 2010 die Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten ab. Dieser hat seither auch weitgehende Kontrolle über Verwaltung, Polizei und Justiz. Das Parlament nimmt seine Funk­tion kaum wahr, und mit der Amtsenthebung der obersten Richterin Shirani Bandaranaike im Januar 2013 wurden der Unabhängigkeit der Justiz auf höchster Ebene Grenzen gesetzt.

Dass angesichts der erdrückenden Übermacht der Exekutive die Grundrechte bedroht sind, liegt auf der Hand. Dissens ist unerwünscht, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten werden bedroht. Auch nach Kriegsende gibt es Fälle von willkürlicher Haft, Folter und Verschwinden. Das Vertrauen in staatliche Institu­tionen ist schwach – nicht nur bei den Minderheiten. Die Erosion des Rechtsstaats und die Verfestigung des Autoritarismus bieten ungünstige Voraussetzungen für einen langfristigen Frieden.

Die Nordprovinz, die noch unter der Verwaltung der Zentralregierung steht, soll im Oktober einen Provinzrat wählen. Provinzräte wurden 1987 unter anderem mit dem Ziel ins Leben gerufen, der tamilischen Minderheit politische Rechte zu verschaffen. Wegen des Bürgerkrieges konnten die Räte jedoch nicht konstituiert werden. Bevor es nun zur Wahl kommt, möchte die Regierung in Colombo noch schnell eine Gesetzesänderung zur Beschränkung der – ohnehin geringen – Befugnisse der Provinzräte durchsetzen. Damit wäre eine wichtige Möglichkeit vertan, die Hauptursache des Bürgerkriegs anzugehen: Die mangelnde politische Repräsentation der Tamilen.

 

Bettina Meier lebt in Berlin und hat für die Friedrich-Ebert-Stiftung und für Transparency International in Sri Lanka gearbeitet. In diesem Beitrag äußert sie ihre persönliche Meinung.
bettina_meier1@gmx.de