Reform im öffentlichen Sektor
Wessen Dienst?
[ Von Alan C. Robles ]
„Der Verwaltungsapparat ist oft arrogant, unnahbar, willkürlich und korrupt“, meint Clarita Carlos von der Universität der Philippinen und verweist auf eine Studie, nach der „fast 50 Prozent der Regierungsausgaben durch Korruption verlorengehen“. Auch ausländische Beobachter beklagen die Situation. Peter Wallace etwa, ein politischer Risikoanalyst in Manila, beschreibt die philippinische Bürokratie als „langsam und umständlich“. Und das World Economic Forum warnt vor der ineffizienten Bürokratie als Hindernis für wirtschaftliche Aktivitäten im Land.
Um einen Vergleich des philippinischen öffentlichen Dienstes mit anderen südostasiatischen Ländern gebeten, antwortete die ehemalige Leiterin der Civil Service Commission (CSC) Karina Constantino-David: „Am besten lässt sich das so beschreiben: Nach Verhältnissen wie in Thailand, Singapur, Malaysia, Brunei und in gewissem Maße Vietnam kann ich mir nur die Finger lecken.“ Die Probleme des Staatsdienstes – Korruption, Ineffizienz, Politisierung, Unausgewogenheiten bei Stellenbesetzungen und Gehältern – gibt es in allen Bürokratien der Welt. Die Philippinen zeichnet allerdings aus, dass diese Probleme seit Generationen fortbestehen – trotz aller Versuche, sie zu lösen.
Wie das Büro für wirtschaftliche Planung des philippinischen Senats (SEPO) bemerkt, „stand die Reorganisation der Verwaltung auf der Agenda jeder Regierung seit den 1940er Jahren“. In der Tat ist es schon fast ein Ritual, dass jeder neue Präsident den Bürokratieproblemen den Kampf ansagt – mit Worten wie etwa „Reform“, „rekonstruieren“ und seit kurzem auch „neu erfinden“. Trotzdem bestehen viele Probleme fort: Politisierung und Widerstand gegen Dezentralisierung ebenso wie die hartnäckig anhaltende Korruption.
Irrationale Gehälter
Ein Beispiel ist die Gehaltsreform. Statt etwa Gehaltserhöhungen mit einzelnen Gruppen des öffentlichen Dienstes zu verhandeln, gewährten laut David viele Präsidenten Rundumerhöhungen von etwa 1000 Pesos für jeden Mitarbeiter: „Wenn Sie also 3000 Pesos verdienen und Ihr Chef 20 000, bekommen Sie eine Erhöhung von 33 Prozent, er aber nur fünf Prozent.“ In Davids Worten: „Die Gehälter sind nicht nur niedrig, sie sind irrational.“ Das Ergebnis dieser Politik seien „gut bezahlte Hausmeister, Wächter und Gärtner, die ewig im Staatsdienst bleiben, weil sie nirgendwo anders so gut bezahlt werden“. Derzeit verdienen Mitarbeiter im öffentlichen Dienst auf der untersten Ebene 20 Prozent mehr als in vergleichbaren Jobs in der mittelständischen Privatwirtschaft. Regierungsmitarbeiter und Manager aber bekommen 30 bis 70 Prozent weniger als ihre Kollegen außerhalb des Staatsdienstes.
Reformen folgen in der Regel einer alten Routine: reduzieren und restrukturieren. Das basiert auf der Annahme, die Bürokratie sei „aufgebläht“. Aber trotz der Kürzungs- und Entschlackungsattacken über Jahre ist der Verwaltungsapparat unerbittlich gewachsen. Während die Bevölkerung nach SEPO-Zahlen von 1960 bis 1997 um 160 Prozent wuchs, vergrößerte sich der Verwaltungsapparat um 282 Prozent. 1970 gab es einen Verwaltungsmitarbeiter pro 90 Filipinos. 2001 lag das Verhältnis bei eins zu 50. In demselben Jahr stand einer von fünf philippinischen Arbeitnehmern im Staatsdienst.
Dass Politiker ständig von Reorganisation und Rationalisierung reden, offenbart nach Meinung von David, dass sie das Wesen der Bürokratie nicht verstehen. Wie das Congressional Planning and Budget Department betont, ist „Bürokratie keine monolithische Einheit. Sie besteht aus dutzenden Organisationen, die sich mit einer großen Bandbreite an gesellschaftlichen Problemen befassen, inklusive Gesundheit, Bildung, Wohnen, Währung, Sicherheit, Gesetz und Ordnung, Umwelt sowie Unterstützung oder Regulierung der Industrie und anderer Produktionssektoren“. Dabei sei einzuräumen, dass Mitarbeiter und Manager dieser Organisationen „unterschiedliche Grade an Effizienz, moralischen Standards und Arbeitsethik“ aufweisen.
Frustrierte Ambitionen
Experten sind sich einig, dass es unter den 1,5 Millionen Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes nicht an Hingabe und Engagement fehlt. „Es gibt Edelsteine und Juwelen auf nationaler und lokaler Ebene“, sagt Alex Brillantes, der Dekan des National College of Public Administration and Governance an der Universität der Philippinen. Und die ehemalige CSC-Vorsitzende David versichert: „Die meisten Leute im Staatsdienst wollen ehrlich sein, sie wollen ihre Augen nicht vor Korruption und Unehrlichkeit verschließen. Aber sehr oft tun sie es.“ Die Ursache sei das größte Problem: Politisierung. Denn die obersten Posten – etwa 10 000 – würden alle vom Präsidenten besetzt. Zwar überprüfe die Civil Service Commission (CSC) hunderttausende Staatsdiener jedes Jahr – aber bei den vom Präsidenten ernannten Mitarbeitern hat sie nichts zu sagen (siehe Kasten).
Diese politischen Ernennungen missachten die regulären Qualifikationsanforderungen und übergehen langjährige Mitarbeiter. Demoralisierung und Angst sind die Folge. Denn in einer Klientelwirtschaft, in der Kontakte wichtiger sind als Qualifikationen, „lernen die Leute in der Regierung, still und politisch zu sein“, sagt David. Im öffentlichen Dienst gelte daher: „Es ist egal, wenn du falschliegst, solange du weder dem Bürgermeister, dem Kongressabgeordneten noch wichtigen Kommunalpolitikern auf die Füße trittst.“
Laut David sind die Filipinos mit ihrer Verwaltung hauptsächlich wegen ihrer Ineffizienz unzufrieden. Anreize für Verbesserungen fehlen aber, solange die Vorgesetzten von Klientelstrukturen gestützt werden. Stattdessen bräuchten sie Leistungsanreize.
David beklagt einen Mangel an echter politischer Führung. Statt eine langfristige Richtung vorzugeben, „ändern die Verantwortlichen die Namen alter Projekte oder legen kurzfristige Projekte auf, die den Namen des neuen politischen Führers tragen“.
Auch als David noch Vorsitzende des CSC war, hat sie sich nicht gescheut zu sagen, dass sich die Klientelwirtschaft unter Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo verschlimmert hat – genau der Präsidentin, die sich die Verwaltungsreform besonders auf die Fahnen geschrieben hat . Die Executive Order 366 etwa sollte bestimmte Mitarbeiter ermutigen, freiwillig auszuscheiden; außerdem sollten verschiedene Abteilungen auf „Strukturreformen“ hin untersucht werden. Vom Reformprogramm der Regierung hält Brillantes aber wenig: „Es ist nur ein weiteres Beispiel für die wohl bekannte Rhetorik von „reorganisieren, anpassen, überflüssige Mitarbeiter entlassen.“
In der Geschichte verwurzelt
Überhaupt haben Geschichte und politische Kultur die öffentliche Verwaltung zu dem gemacht, was sie ist. Eine erste prägende – wenn auch unerfreuliche – Bürokratie-Kostprobe erhielten die Filipinos von den spanischen Kolonisatoren. Für Jose N. Endriga, der früher die nationale philippinische Verwaltungshochschule leitete, ist das herausragende Merkmal der spanischen Kolonialregierung „eine große Diskrepanz zwischen idealistischen Gesetzestexten und der tatsächlichen repressiven und gewaltsamen Praxis“. Über drei Jahrhunderte habe eine unberechenbare, korrupte und exklusive Kolonialregierung vier Dinge weitergegeben:
– die Vorstellung, alles müsse strikt von Manila regiert werden,
– langsames Arbeiten in der Verwaltung, das am besten mit dem spanischen Ausdruck „obedezco pero no cumplo“ (ich gehorche, aber erfülle meine Aufgabe nicht) zusammengefasst ist,
– ein tiefes Misstrauen in die Regierung seitens der indigenen Bevölkerung und
– die Idee, es sei patriotisch, die Arbeit der Verwaltung zu untergraben.
1898 besiegten die USA Spanien und ersetzten die Kolonialherrscher vor Ort. Zwei Jahre später führten die Amerikaner mit dem Civil Service Act einen öffentlichen Dienst ein, der effizient und leistungsorientiert und politisch neutral sein sollte. Faktisch aber dominierte die Regierung den Verwaltungsapparat sehr stark. In dieser Tradition stehe auch das heutige Verwaltungssystem, meint Brillantes: „Das System ist so stark vom Präsidenten dominiert, dass man fast von einer Diktatur sprechen kann.“ Außerdem hat sich das System niemals von der „traditionellen Politik“ befreit, nach deren Vorstellung die öffentliche Macht nur zum Wohle einiger weniger Familien und ihrer Kumpane existiere. In seinem Buch „Eine Anarchie der Familien“ nennt der Historiker Alfred McCoy das „die Subversion des öffentlichen Wohls im Dienst familiären Wohlstandes“. Sie führte dazu, dass die Menschen die Regierung als Ausbeutungssystem wahrnehmen.
Laut Risikoanalyst Wallace „sind die Filipinos sehr subjektiv, es ist sehr schwierig für sie, zurückzustehen und die Dinge nicht von einem emotionalen Standpunkt aus zu betrachten“. Genau das aber sollte die staatliche Bürokratie tun: jeden gleich behandeln. Der CSC-Vorsitzende Saludo hingegen behauptet, es sei möglich, einen Staatsapparat mit viel Personenbezogenheit, Gruppenethik und Familie zu haben, der trotzdem gut funktioniert. Er räumt ein, dass die zentrale Rolle von Personen ein Charakteristikum der Philippinen ist, das Gleiche gelte aber auch für Asien, Lateinamerika oder Spanien.
Gute Vorbilder nötig
Eines ist klar: Eine wirkliche Reform muss die politischen Führer, die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und die Öffentlichkeit einbeziehen. Der auf Regierung spezialisierte Wissenschaftler Brillantes argumentiert, dass ein Wandel der Bürokratie „von oben“ kommen müsse und Fortschritt „eine Frage des politischen Willens“ sei. Die Demoralisierung sei häufig eine Folge davon, dass die Vorgesetzten die Regeln des öffentlichen Dienstes nicht respektierten: „Wichtig sind aber gute Vorbilder auf der Führungsebene.“ Zudem müssten die lokalen Regierungen schneller aufgewertet werden. Denn die „Frontlinien“ der Verwaltung seien in den Provinzen, während das „imperiale Manila“ aber noch größtenteils die Geschicke leite und 86 Prozent der öffentlichen Gelder kontrolliere. Deswegen hofft Brillantes, dass „unser nächster Präsident Sympathie für Dezentralisierung und lokale Governance haben wird“.
Gleichzeitig müssten interne Reformen der Verwaltung die Leistungsethik fördern. Brillantes beklagt, dass Arbeitsergebnisse traditionell daran gemessen werden, „wie viele Meetings und wie viele Briefe“ auf den Weg gebracht werden. Der Ansatz sei eher prozess- als zielorientiert. Letztlich ist der Prozess leichter zu bewerten. Brillantes begrüßt den Versuch, ein „Konzept zur Bewertung der Performance der Organisation“ zu schaffen, um diese Frage anzugehen.
Notwendig ist überdies die Reform des Zivilrechts. Sinnvoll wäre es, auch den Beschäftigten im öffentlichen Dienst zu erlauben, sich gewerkschaftlich zu organisieren, damit sie selbstbewusster auftreten könnten, meint Brillantes. Stattdessen sei die Verwaltungskultur von Gehorsam geprägt. Nach Ansicht der früheren CSC-Vorsitzenden David sind die Verwaltungen anderer südostasiatischer Staaten den Philippinen voraus, weil „sie echte Anerkennung erfahren“. Im Vergleich dazu seien die philippinischen Präsidenten und Gesetzgeber faul.
Den Vorschlag des Kongresses, die Aufsicht über den öffentlichen Dienst zu verschärfen, hält David nicht für sinnvoll. Besser sei, die schon erarbeiteten Verwaltungsreformgesetze zu beschließen. Dazu gehörten etwa ein überarbeiteter Civil Service Code, sowie ein Government Compensation and Classification Act. Ermutigend sei, dass der Kongress die Career Executive System Bill vorwärts treibe, die die Macht des Präsidenten, Mitarbeiter zu ernennen, einschränken würde.
Brillantes appelliert an die Bürger, ihre Stimme zu erheben: „Wir müssen lernen, unsere Rechte durchzusetzen, wir sind selbst unser schlimmster Feind.“ Schließlich existiere der Beamtenapparat nun einmal. „Wenn man nicht in die Berge gehen oder das Land verlassen will, muss man mit der Bürokratie zusammenarbeiten.“