Entwicklungspolitik
Erfahrungswissen
Die Argumentation von ODA-Skeptikern enthält typischerweise folgende Punkte:
- Entwicklungspolitik wurde vor 70 Jahren erfunden, um Armut zu beenden. Da Armut fortbesteht, muss die Politik gescheitert sein.
- Entwicklungshilfe ist gut gemeint, aber sie macht Empfängerländer abhängig und träge – und korrumpiert obendrein die Eliten.
Beides ist zwar nicht völlig falsch, aber deutlich übertrieben. Zunächst sei darauf hingewiesen, dass die Menschheit deutliche Fortschritte gemacht hat (siehe E+Z/D+C e-Paper 2018/04, S. 11). 1970 lebten 60 Prozent von 3,6 Milliarden Erdenbürgern in extremer Armut. 2011 galt das für 14 Prozent von nunmehr 7 Milliarden Menschen. In den vergangenen Jahrzehnten verzeichneten Statistiker zudem beachtliche Erfolge bei Schulbesuch, dem Kampf gegen Kindersterblichkeit oder dem Zugang zu sicherem Trinkwasser. Zu behaupten, dass liege nur an ODA, wäre absurd. Genauso absurd ist es aber, zu sagen, sie habe Länder auf dem Weg zu diesen Zielen, denen sie selbst verpflichtet ist, behindert.
Manche Länder haben Entwicklungshilfe mit großem Erfolg genutzt – Südkorea zum Beispiel. In den 1960er Jahre entsprach der Lebensstandard dort dem afrikanischer Länder. Heute gehört Südkorea der OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development), dem Dachverband reicher Nationen, an. Schon lange bekommt Südkorea keine Entwicklungshilfe mehr, gehört aber mittlerweile selbst zur Gebergemeinschaft. ODA hat das offensichtlich nicht verhindert.
ODA-Skeptiker wählen gern Länder wie die Zentralafrikanische Republik oder Niger, wo vieles in der Tat schiefgelaufen ist, als Beleg dafür, dass Entwicklungshilfe Gift sei. Gesellschaftliche Desaster sind aber nicht monokausal. Und wenn ODA Gift ist, wie ist dann zu erklären, dass viele Länder diese Mittel mit gutem Erfolg verwenden? Das gilt beispielsweise auch für Bangladesch, Ghana und Ruanda.
Entwicklungsprofis betonen gern, ihr Geschäft sein nicht Entwicklungshilfe, sondern Entwicklungszusammenarbeit. Dieser Begriff passt, wenn denn alle Beteiligten ihre jeweilige Verantwortung übernehmen. Dann werden ehrgeizige Vorhaben möglich – etwa der Aufbau einer modernen Steuerverwaltung. Leider wird aber nicht jeder Akteur seiner Verantwortung gerecht, und selbst gut konzipierte Vorhaben können an Korruption scheitern.
Wenn ODA wirklich nur der Bekämpfung von Armut und ihrer Ursache dienen würde, wäre alles einfacher. Die Realität aber ist komplexer, weil die Entwicklungspolitik letztlich ein Teil der Außenpolitik ist. ODA-Mittel dienen manchmal geostrategischen Zielen, der Sicherung der Rohstoffzulieferungen oder der Begrenzung von Flüchtlingsströmen.
Die Erfahrung lehrt, dass Entwicklung nur gelingt, wo im Land selbst Verantwortung übernommen wird. Auf sich gestellt, können Geberregierungen in weit entfernten Ländern wenig bewirken. Sie brauchen lokale und nationale Partner – und dann sollten sie auch deren Prioritäten berücksichtigen und deren Institutionen ernst nehmen. 2015 wurde das in der Paris Declaration on Aid Effectiveness als internationaler Konsens festgeschrieben.
Eigentlich sollten Geberregierungen also nur mit den Regierungen von Entwicklungsländern zusammenarbeiten, wenn diese verantwortungsvoll agieren. Das ist aber leichter gesagt als getan. Die größte Herausforderung ist, dass humanitäre Hilfe besonders dort gebraucht wird, wo die Amts- und Regierungsführung versagen. Wo die Dinge gut laufen, wird sich ein Land allmählich aus dem ODA-Bezug herausarbeiten, wie das Südkorea gelang. Wo aber Katastrophen zuschlagen, wächst die Not so sehr, dass die internationale Gemeinschaft nicht tatenlos zuschauen kann. Folglich müssen sich Geberregierungen immer wieder mit Ländern beschäftigen, in denen die nationale Verantwortung gerade nicht wahrgenommen wird. Besonders problematisch sind gescheiterte Staaten.
Der ehemalige britische Entwicklungsminister Andrew Mitchell sagte gern, jedes Pfund, das in die ODA fließe, bringe Ergebnisse. Solche Sprüche mögen politisch nützlich sein – sie sind aber dennoch Unfug. Bei ODA geht es um Risikoinvestitionen. Manche bringen Ergebnisse, andere floppen.
Manche ODA-Kritiker urteilen, die reichen Länder seien nicht für das Leid der armen Welt verantwortlich und deshalb gebe es keinen Grund, Entwicklungshilfe zu leisten. Der Wohlstand der reichen Nationen beruhe nicht auf der Ausbeutung der armen. Auch daran ist etwas dran. Wer in Frankfurt oder San Francisco shoppen geht, nutzt nicht die Armut afrikanischer oder asiatischer Kleinbauern aus. Richtig ist sicherlich, dass Textilarbeiterinnen in Bangladesch ausgebeutet werden – allerdings wären sie ohne ihre Jobs noch schlechter gestellt. Deshalb rufen Solidaritätskampagnen auch nicht zum Boykott auf.
Auf verschiedene andere Weisen leben reiche Nationen aber doch auf Kosten der armen. Die Kritiker spielen herunter, was die im Industrie-Maßstab betriebene Überfischung der Meere bewirkt. Sie übersehen geflissentlich, dass sich das Gesundheitswesen vieler Industrieländer auf Ärzte und Pflegekräfte aus Entwicklungsländern stützt. Diese fehlen in ihrer Heimat, worunter die Krankenversorgung dort leidet. Mit ihrer Geschichte der Treibhausgasemissionen hat die reiche Welt zudem den Klimawandel verursacht, unter dem die Entwicklungsländer am meisten leiden.
Entwicklungshilfe gelingt nicht immer, aber sie ist sicherlich nicht das Kernproblem. Sie kann Teil der Lösung sein. In den nächsten Jahrzehnten wird die internationale Klimafinanzierung immer wichtiger werden. Es wäre gut, in diesem Zusammenhang die Lektionen zu beherzigen, die wir mit ODA gelernt haben. Angesichts großer globaler Herausforderungen brauchen wir mehr – und nicht weniger – internationale Lastenteilung und Kooperation.
Letztlich dienen ODA-Kritiker der Propaganda von Rechtspopulisten, die in reichen Ländern die eigene Nation an erste Stelle stellen und alle anderen ihrem Schicksal überlassen wollen. Das kann nicht gelingen. Wenn die internationale Gemeinschaft globale Probleme nicht gemeinsam löst, werden die Probleme nur weiter wachsen.
Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z/D+C.
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