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Finanzmärkte

Argentinien und die Geier

Dass Staaten pleite gehen, ist nicht neu, sondern kommt seit Jahrhunderten immer wieder vor. Argentiniens aktuelle Probleme zeigen, dass ein rechtsstaatliches Verfahren für Staatsinsolvenzen nötig ist.
Regierungsplakate in Buenos Aires im Juli: “Zusammen kämpfen wir gegen die Wuchergeier” Victor R. Caivano / picture-alliance / AP Photo Regierungsplakate in Buenos Aires im Juli: “Zusammen kämpfen wir gegen die Wuchergeier”

Argentiniens große Finanzkrise brach Anfang 2002 aus. Damals musste das Land die feste Bindung seiner Währung an den Dollar aufgeben. Diese Wechselkursbindung hatte erhebliche Kapitalimporte per Kredit ermöglicht, und der Internationale Währungsfonds (IWF) hatte das ursprünglich propagiert. Angesichts der Überschuldung Argentiniens war der IWF aber 2001 nicht mehr bereit, die Wechselkursbindung weiter zu unterstützen. Der Außenwert des Pesos brach ein und Banken mussten geschlossen werden. Weil der Staat selbst zahlungsunfähig wurde, schienen Staatsanleihen plötzlich wertlos.

2005 und 2010 bot der neue argentinische Präsident Nestor Kirchner den Eignern alter Staatsanleihen eine Umschuldung an, bei der sie auf etwa 70 Prozent ihrer Forderungen verzichteten. Gut 93 Prozent der Anleger stimmten dem zu. Kirchner und seine Frau Cristina Fernández de Kirchner, die ihm im Amt folgte, erklärten mehrfach, die nicht kooperierenden sieben Prozent der Anteilseigner würden keinen Peso über das hinaus bekommen, was Argentinien den kompromissbereiten 93 Prozent zahle. Falls Argentinien vor Ende 2014 von diesem Verspechen abweicht, besagen die Umschuldungsregeln auch, dass alle Gläubiger Anspruch auf den vollen Nennwert ihrer ursprünglichen Papiere bekommen.

Im Herbst 2012 klagte der Hedgefonds NML Capital vor einem Gericht in New York auf volle Begleichung seiner alten Schuldscheine, die er allerdings mit rund 80 Prozent Abschlag von anderen Investoren gekauft hatte. Das Gericht gab ihm recht und entschied zudem, Argentinien dürfe auch die umgeschuldeten Wertpapiere nicht mehr bedienen, solange NML sein Geld nicht bekomme.

Die argentinische Regierung zog vor den US Supreme Court, der aber im Juni ablehnte, sich mit dem Fall zu beschäftigen. Damit wurde das New Yorker Urteil rechtskräftig. Die New Yorker Bank, über die Argentinien seine Finanzgeschäfte abwickelt, darf also kein Geld mehr an kompromissbereite Gläubiger weiterleiten. Dass sich unter anderem das Weiße Haus, die französische Regierung und zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Jubilee Campaign sich im Sinne Argentiniens geäußert haben, ändert an der Rechtslage nichts. Mittlerweile erwägen auch weitere Altgläubiger und Geierfonds Klagen gegen Argentinien.

Dessen Regierung stand im Juli vor der Wahl, sich entweder vom US-Kapitalmarkt zurückzuziehen und alle Finanzgeschäfte im eigenen Land abzuwickeln, oder sich irgendwie mit NML zu einigen. Beides ist nicht geschehen. Deshalb konnte sie eine Frist zur Bedienung der umgeschuldeten Wertpapiere nicht einhalten und ist nach US-Recht abermals zahlungsunfähig. Das hat Folgen auf den Kapitalmärkten. Argentinien steht vor einer neuen Wirtschaftskrise.

Dieser Fall hat indessen auch systemische Bedeutung, denn Argentinien ist nicht der einzige Schuldnerstaat, dessen Staatsanleihen klagewillige Geierfonds auf dem Sekundärmarkt erwerben. Die Weltbank listet aktuell 18 solcher Klagen gegen zehn Länder auf, die durch multilateral ausgehandelte Schuldenerlasse teilweise entschuldet wurden. Gerichtsurteile zugunsten der Geier würden auch diese Staaten wieder in Krisen stürzen.

Investoren, die solche Notlagen ausnutzen, werden zu Recht „Geier“ genannt. Sie sind aber letztlich nicht die Verantwortlichen. Ihr Geschäftsmodell beruht auf einer Rechtslücke, die die internationale Staatengemeinschaft seit Jahren nicht füllt. In allen hoch entwickelten Marktwirtschaften sorgen Insolvenzverfahren dafür, dass im Fall einer Pleite alle Gläubiger nach rechtsstaatlichen Kriterien fair behandelt werden – und darüber hinaus erlöschen alle Ansprüche.

Solch ein Verfahren ist auch für Staatspleiten nötig. Weil es daran mangelt, müssen die jeweiligen Regierungen in verschiedenen, juristisch fragwürdigen Rahmen mit jeder Gläubigergruppe einzeln verhandeln. Dabei kann jeder Gläubiger von Zugeständnissen eines anderen profitieren.

Über ein Staatsinsolvenzverfahren wird schon seit den 1980er Jahren diskutiert. Mächtige Akteure wie Deutschland, die anderen G7-Staaten und der IWF hätten Möglichkeiten, für alle solche Fälle umfassende und rechtsstaatliche Verfahren auf den Weg zu bringen.

 

Jürgen Kaiser koordiniert das zivilgesellschaftliche Bündnis Erlassjahr.de – Entwicklung braucht Entschuldung.
j.kaiser@erlassjahr.de