Staatseinnahmen

Ehrgeizige Reformen, gute Ergebnisse

In den vergangenen sechs Jahren hat die nigerianische Regierung damit begonnen, die Steuergesetze zu erneuern. Die verantwortlichen Behörden haben heute mehr Biss.


Von Horatius Egua

Dank der umfangreichen Reformagenda hat Nigeria heute ein modernes Steuersystem, das mit vielen Industrienationen mithalten kann. Ein wichtiger Schritt war die Schaffung des Federal Inland Revenue Service (FIRS), einer großen Bundesfinanzbehörde mit fünf unabhängigen Abteilungen. Das Gesetz zu ihrer Gründung gewährte ihr 2007 finanzielle und administrative Autonomie. Der FIRS stellt seine eigenen Mitarbeiter ein, entscheidet über deren Bezahlung und regelt interne Disziplinarfragen.

Im Jahr 2010 zog der nigerianische Staat zehn Prozent des BIP als Steuern ein. Vor den Reformen war diese Quote nicht einmal halb so hoch. Die wichtigsten Steuern werden auf individuelle Einkommen und die Umsätze von Unternehmen erhoben. Der Hauptanteil stammt aus dem Öl- und Gassektor. Die Mehrwertsteuer (siehe Kasten) ist die zweitwichtigste Einkommensquelle des Staates. Sie wird einheitlich in Höhe von fünf Prozent auf alle in Rechnung gestellten Transaktionen erhoben. Diplomaten und humanitäre Hilfsorganisationen sind von ihr ausgenommen.

Schwierigkeiten bereitet dem nigerianischen Staat die Besteuerung des informellen Sektors, dessen Anteil am BIP laut Finanzminister Olusegun Aganga etwa 30 Prozent ausmacht. Experten schätzen den Anteil noch höher. Jedenfalls geht es, wie Aganga sagt, „um einen großen Batzen der Volkswirtschaft“.

Derzeit bilden 85 bis 89 Prozent des formellen Sektors die Steuerbasis. Früher lag der Anteil bei nur 20 Prozent. Laut FIRS werden im formellen Sektor alle Gewinn erzielenden Unternehmen, eingetragene Gesellschaften, kirchliche und wohltätige Einrichtungen, Sport- und Bildungsorganisationen sowie nach kommunalem und regionalem Recht verfasste Firmen und die individuellen Einkommen erfasst.

Im Dezember 2010 gab Nigerias oberstes Entscheidungsgremium, der Federal Executive Council (FEC), grünes Licht für ein neues Programm mit Namen Inte­grated Tax Administration (ITA). Es wird 3,07 Milliarden Naira (etwa 13,6 Millionen Euro) kosten und die Steuereinziehung auf Vordermann bringen. Es soll die Einhaltung der Steuergesetze erzwingen – und zwar auch im informellen Sektor. Experten hoffen auf eine Steigerung des Steuereinkommens auf 30 bis 40 Prozent des BIP. Der Staat wird dann weniger als bisher von Erdöleinkünften abhängen. Alle Steuerzahler haben bereits eine Steuer­identifikationsnummer, was ebenfalls helfen dürfte, den informellen Sektor zu erfassen.

In Nigeria ist es heute ein „krimineller Akt“, Steuern nicht zu zahlen oder bewusst zu versuchen, den vollen Steuerbetrag zu umgehen. Anders als früher werden Steuerhinterzieher heute als Kriminelle behandelt. Für Ermittlungen ist das Criminal Investigations Department (CID) des FIRS zuständig, das mit der Polizei kooperiert.

Schlupflöcher geschlossen

Sorgfältig formulierte Gesetze erschweren zunehmend die Steuerhinterziehung in Nigeria. Verlässliche ­Statistiken darüber, welche Summen früher so verlorengingen, gibt es nicht. Aber es wird von hohen Beträgen ausgegangen. Die Schuldigen waren hauptsächlich große Unternehmen. Einige Schlupflöcher wurden geschlossen. Dazu gehörten:
– aufgespaltene Verträge, bei denen Teile eines Geschäfts einzeln abgerechnet wurden, so dass die jeweiligen überwiesenen Geldbeträge geringer ausfielen und somit in eine niedrigere Steuerklasse fielen,
– die Verlagerung von Kosten ins Ausland, wenn bei einem internationalen Geschäft anderswo geringere oder keine Steuern anfielen,
– informelle Transaktionen, bei denen die Unternehmen sich dem Steuersystem entzogen, indem sie Geschäfte nicht offiziell abschlossen und/oder verheimlichten,
– „legale“ Steuervermeidung, bei der Unternehmen die rechtlichen Bestimmungen in laxen Auslegungen so stark wie möglich dehnten, sowie
– eindeutig illegale Methoden wie die Angabe von zu niedrigen Verkaufs- oder Gewinnzahlen, Geldwäsche oder das Versäumnis, überhaupt eine Steuererklärung abzugeben.

Der Gesetzgeber tat einiges, um solche Praktiken der Steuerhinterziehung zu erschweren. Die neuen Gesetze haben die Steuerbehörden gestärkt. Obendrein begann der FIRS vor drei Jahren mit der Aufklärung der Bürger – insbesondere Studenten – über die Bedeutung von Steuern und die Konsequenzen, wenn keine Steuern gezahlt werden.

Um effektives Monitoring und Steuerzahlung zu gewährleisten, unterstützen hochrangige Finanzämter die Bundesbehörde FIRS. Diese Large Tax Offices (LTOs) sind in den Bundesstaaten angesiedelt. Es geht darum, möglichst nah an den Menschen zu sein, erklärt FIRS-Chefin Ifueko Omoigui-Okaru: „Das eigentliche Ziel ist, dass die Steuerzahler freiwillig zahlen und weniger zur Hinterziehung neigen.“

Eine weitere neue Vorschrift verpflichtet Kandidaten für öffentliche Ämter, ihre Steuerdaten zu veröffentlichen. Sie müssen offenlegen, wie viel Geld sie in den vergangenen drei Jahren verdient und versteuert haben. Die Wähler interessieren solche Zahlen. Sie werden kaum jemanden wählen, der die Angabe seiner Daten verweigert.

Solche Maßnahmen zielen nicht nur auf Politiker. Auch Firmen müssen die Höhe ihrer Gewinne und gezahlten Steuern offenlegen, wenn sie sich um ­öffentliche Aufträge bewerben. Andernfalls sind sie von Geschäften mit dem Staat ausgeschlossen. Seit Nigerias Unabhängigkeit handhabten viele Regierungen die Steuergesetze nur halbherzig. Große ­Unternehmen und reiche Individuen wehrten sich ­gegen die Einziehung von Steuern. An der Thematik zeigten jahrelang nur die Steuerbehörden selbst echtes Interesse.

Das änderte sich im vergangenen Jahrzehnt. Präsident Olusegun Obasanjo brachte Reformen auf den Weg, die seine Nachfolger Umaru Musa Yar´Adua und Goodluck Jonathan fortführten. Ziel war, die Amts- und Regierungsführung zu stärken und globalen Standards gerecht zu werden. Die internationale Erfahrung lehrt, dass Regierungen den Bedürfnissen ihrer Bürger aufgeschlossener gegenüberstehen, wenn sie von deren Steuern abhängen. Im Kampf gegen die Korruption ist ein solides öffentliches Finanzsystem eine wichtige Komponente.

Die Reformen waren zunächst umstritten. Das galt besonders für die Einführung der Mehrwertsteuer, weil sie alle Verbraucher trifft. Die Kontroverse ebbte aber ab, weil offensichtlich wurde, dass das System sinnvoll ist. Im Wahlkampf im April war das Steuersystem daher kein heiß debattiertes Thema.