Minderheiten
Ethnische Säuberung
Im Oktober 2016 gab es drei koordinierte Überfälle auf myanmarische Grenzposten an der Grenze zu Bangladesch, bei denen neun Polizisten getötet und zahlreiche Waffen gestohlen wurden. Die Überfälle werden radikalisierten Angehörigen der muslimischen Minderheit der Rohingya zur Last gelegt. Seitdem ist die Lage eskaliert. Die Sicherheitskräfte schlugen brutal zurück, Medienberichten zufolge starben mehr als 80 Menschen. Außerdem erklärten sie die Gegend um die Grenzstadt Maungdaw zum Kriegsgebiet und verhängten eine Ausgangssperre. Journalisten, Menschenrechtlern und humanitären Helfern ist der Zugang verwehrt. Geflüchtete berichten von Morden, Vergewaltigungen, Verhaftungen, Folter und der Zerstörung von Wohnhäusern und anderen Gebäuden.
Menschenrechtsorganisationen werfen Myanmar ethnische Säuberungen und einen schleichenden Genozid vor. UN-Menschenrechtskommissar Said Raad al-Hussein erklärte Mitte Dezember, der Umgang mit den Rohingya sei eine Lehre dafür, wie man bereits schlechte Situationen noch schlimmer mache. Die UN erhielten jeden Tag Berichte über Tötungen und Vergewaltigungen durch Sicherheitskräfte. Auch der bisher nicht gewährte Zugang von UN-Mitarbeitern zu der Region lasse Schlimmes erahnen.
Die Rohingya werden in dem mehrheitlich buddhistischen Land seit langem diskriminiert; ihnen werden die Staatsbürgerschaft und grundlegende Rechte verweigert (siehe auch Ridwanul Hoque in E+Z/D+C e-Paper 2016/04, S. 42, und Katja Dombrowski in E+Z/D+C e-Paper 2015/12, S. 4).
Zehntausende sind auf der Flucht. In den letzten drei Monaten des vergangenen Jahres suchten nach offiziellen Angaben aus Bangladesch 50 000 Menschen in dem Nachbarland Schutz, weitere 30 000 wurden nach UN-Angaben intern vertrieben. Seit gewaltsame Unruhen 2012 aufflammten, leben rund 140 000 Rohingya in Lagern und Gettos im westlichen Bundesstaat Rakhine. Viele flüchteten in Nachbarländer, wo sie oft ebenfalls unter unmenschlichen Bedingungen leben. Der Exodus von rund 30 000 Menschen aus Myanmar auf dem Seeweg löste 2015 eine Flüchtlingskrise in Südostasien aus.
Amnesty International kritisiert, dass Bangladesch die meisten Rohingya festnehme und unter Zwang zurückschicke. Damit verstoße das Land gegen internationale Menschenrechtsprinzipien. „Die bangladeschische Regierung darf das Leiden der Rohingya nicht vergrößern. Sie sollten als Flüchtlinge anerkannt und geschützt werden […] und nicht dafür bestraft, wer sie sind“, erklärte Champa Patel, Leiterin der Abteilung Südasien bei Amnesty International.
Mehr als ein Dutzend Friedensnobelpreisträger forderten den UN-Sicherheitsrat in einem offenen Brief zum Einschreiten in Myanmar auf. Gleichzeitig kritisierten sie ihre Mitpreisträgerin Aung San Suu Kyi, deren Partei seit einem Jahr an der Macht ist. Viele hatten große Hoffnungen in die neue Führung gesetzt, auch was den Umgang mit ethnischen Minderheiten betrifft. Diese Hoffnungen wurden bitter enttäuscht.
Offiziell ist eine im August 2016 von Myanmars Regierung eingesetzte neunköpfige Kommission unter der Leitung des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan mit der Lösung des Rakhine-Konflikts betraut. Sie soll innerhalb eines Jahres Vorschläge erarbeiten. Laut Christina Grein, der Koordinatorin der Burma-Initiative der Stiftung Asienhaus, steht die Unabhängigkeit dieses Beratungsgremiums jedoch in Frage, und sie sei mit ihren Empfehlungen an die aktuelle Gesetzeslage gebunden. Ein Rohingya gehöre der Kommission ebenfalls nicht an.
Katja Dombrowski
Links
Amnesty International: Bangladesh pushes back Rohingya refugees amid collective punishment in Myanmar. 24 November 2016.
https://www.amnesty.org/en/latest/news/2016/11/bangladesh-pushes-back-rohingya-refugees-amid-collective-punishment-in-myanmar
Blickwechsel 13/2016: Menschenrechtsverletzungen in Myanmars Rakhine-Staat: Terrorismusbekämpfung als Vorwand für militärische „Säuberungsaktion“?
http://www.asienhaus.de/uploads/tx_news/2016_DEZ_Blickwechsel_Rakhine.pdf