50 Jahre BMZ

Chancen schaffen – Zukunft entwickeln

Dialog gehört zum entwicklungspolitischen Konzept von Dirk Niebel, dem Bundes­minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Im folgenden Beitrag skizziert er die Leitlinien für sein Politikfeld.


Von Dirk Niebel

1961 übernahm Walter Scheel das neu gegründete Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit der noch jungen Bundesrepublik Deutschland. Genau 50 Jahre später ist ein guter Zeitpunkt für einen bilanzierenden Blick zurück und einen motivierten Blick nach vorn: Hat Deutschland seine entwicklungspolitischen Möglichkeiten ausgeschöpft? Was kann besser werden, was soll bleiben?

„Chancen schaffen – Zukunft entwickeln“ – eingeschmolzen auf vier Wörter ist es das, was wir tun und wofür das BMZ steht. Darum haben wir dem neuen Entwicklungspolitischen Konzept, in dem wir neue Leitlinien für die deutsche Entwicklungspolitik auf schlanken 26 Seiten umreißen, genau diesen Titel gegeben. Wir geben denen eine Richtschnur an die Hand, die in diesem Politikfeld arbeiten. Wir ermutigen alle, das Anliegen der Entwicklungspolitik in der Mitte der Gesellschaft zu verankern. Wir wollen alle, auch Skeptiker, davon überzeugen: Entwicklungspolitik ist eine lohnende Investition in die Zukunft. Dabei können und wollen wir nicht alle Fragen aufgreifen und beantworten oder jedes Programm aufführen. Wir wollen aber zeigen: Entwicklungspolitik hat großes Potenzial, zu einer besseren Welt beizutragen. Fünf Schlüsselbereiche, in denen wir jetzt die Weichen für eine zukunftsfähige Entwicklung stellen können, zeigen wir auf.

Und wir wollen uns einer offenen Diskussion stellen. Deshalb sind wir über ein Diskussionsforum auf unserer Homepage, aber auch in neuen Medien wie Twitter und Facebook erreichbar. Kommentare und Meinungen sind uns wichtig. Am Ende des Dialogprozesses wird ein erweitertes Papier stehen, in dem dargestellt wird, wie die einzelnen Schwerpunktbereiche umgesetzt werden und wie die vielen Engagierten dazu beitragen. Der Dialog ist also Teil des Konzepts.

Freiheit von Furcht und Not

Im Zentrum steht dabei das Individuum. Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Darum gilt unser Engagement der Freiheit von Furcht und Not, chancengerechten Gesellschaften weltweit. Gute Entwicklung befähigt Menschen, Chancen zu ergreifen und sich aus Not zu befreien. Unsere Entwicklungspolitik gilt daher besseren globalen Rahmenbedingungen im ökonomischen und ökologischen, im politischen und sozialen Sinn, um die strukturellen Ursachen von Armut zu beseitigen. Wenn wir dazu beitragen können, dass die Globalisierung eine gute Entwicklung für alle Menschen nimmt, dann entspricht das nicht nur unseren Werten, sondern auch unseren Interessen.

Unsere Agenda für mehr Entwicklungschancen übernimmt die Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) und geht zugleich über sie hinaus. Unsere Ziele sind: gute Regierungsführung, menschenwürdiges Leben, ökologisch verantwortliches und Arbeit schaffendes Wachstum sowie faire Strukturen der internationalen wirtschaftlichen und politischen Kooperation. Ob Entwicklungspolitik gelingt oder misslingt – die Folgen betreffen in beiden Fällen auch uns in Europa. Scheiternde Entwicklung befördert Gewaltbereitschaft, Krankheiten, Konflikte, Klimawandel oder Flucht. Gelingende Entwicklung fördert weltweit zukunftsfähigen Wohlstand und Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Partizipation und Sicherheit.

Staatliche Entwicklungspolitik kann die Trendwende zur Lösung der Zukunftsaufgaben nie allein erreichen. Entwicklungspolitik ist eine gesamtgesellschaftliche Investition in die Zukunft. Das BMZ sehen wir im Blick auf Partner, Ziele und globale Ordnung auch als Dialogplattform für globale Zukunftsfähigkeit. Entwicklungsfortschritte können nur erreicht werden, wenn Menschen Verantwortung übernehmen und dazu imstande sind. Entwicklung lässt sich nicht importieren oder exportieren. Entwicklungspolitik kann individuelle Eigenanstrengungen und Verantwortungseliten unterstützen, aber nicht ersetzen.

Faire Regeln und die Abschaffung benachteiligender Handelshemmnisse sind Grundvoraussetzungen erfolgreicher Entwicklung. Deshalb sind viele benachbarte Politikfelder für die Entwicklungspolitik höchst relevant. Unternehmertum auf funktionierenden lo­kalen, regionalen und globalen Märkten ist unverzichtbar, um Steuereinnahmen zu ermöglichen und Beschäftigung, soziale Sicherung, breitenwirksames Wachstum und Lebenschancen zu verbessern. Die Produktivität lokaler Unternehmen, Investitionen und verantwortungsvolles Engagement sind grundlegend für Wirtschaftswachstum in Entwicklungsländern. Zukunftsfähiges Wachstum soll Armut reduzieren. Es muss wirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltig gestaltet sein. Indem wir dazu beitragen, wollen wir ein Leben in sozialer und wirtschaftlicher Freiheit für alle ermöglichen – unabhängig von Geschlecht und Herkunft, Gesundheit und Alter. So fördern wir Teilhabegerechtigkeit und unterstützen Eigenverantwortung, anstatt Hilfsbedürftigkeit zu verlängern. Arme Menschen und die Regierungen der Partnerländer sehen wir als Partner in der Verantwortung für das, was sie selber vermögen.

Auch wenn uns aktuelle Krisen dabei immer wieder einholen und nach direkter Nothilfe verlangen, dürfen wir uns nicht entmutigen lassen. Gerade die Krise am Horn von Afrika hat bestätigt, dass wir richtig damit liegen, ländliche Entwicklung nach langer Zeit wieder zum zentralen Thema zu machen. Hier muss, jenseits der akuten Nothilfe, die Nachhaltigkeit unseres Handelns im Mittelpunkt stehen.

Der Schlüssel zur Überwindung von Armut, von Unfreiheit und für die eigenständige und partizipa­tionsorientierte Entwicklung von Gesellschaften ist Wissen. Die Beteiligung an Wissensnetzwerken, der Aufbau von Forschungseinrichtungen und -koopera­tionen ist Teil unseres ganzheitlichen Bildungsansatzes. Bildungsarmut bedingt Einkommensarmut, beeinträchtigt Menschenrechte, raubt Lebenschancen und zementiert Ungleichheit. Dem setzen wir eine entwicklungspolitische „Vermögensbildung“ entgegen, die auf Bildung, insbesondere berufliche Bildung, interdisziplinäre Methodenkompetenz sowie Eigenständigkeit und Verantwortung setzt. Zusätzlich zu diesem ganzheitlichen Verständnis von Bildungschancen fördern wir Investitionen in soziale Sicherungssysteme und die Stärkung von Gesundheitssystemen – sie sind Voraussetzung, um die Millenniumsziele auch im Bereich Gesundheit zu erreichen.

Entwicklung braucht also Befähigung zu eigenverantwortlichem Handeln, wirtschaftliche Zusammenarbeit, regionale Märkte und den Zugang zu Finanzdienstleistungen. Sie kann nur in einer demokratischen Umgebung, die Menschenrechte achtet und guter Regierungsführung verpflichtet ist, fruchtbar sein. Diesen Ansatz werden wir in den nächsten beiden Jahren weiter verfolgen. Dazu gehören auch Konditionierungen in der Zusammenarbeit, wie wir sie zum Beispiel in der Zusammenarbeit mit Afghanistan sehr erfolgreich und gemeinsam mit unseren Partnern praktiziert haben. Und dazu gehört, mit Budgethilfe als Instrument sehr vorsichtig umzugehen und sie dort, wo sie bereits besteht, aktiv zum politischen Dialog zu nutzen, wie geschehen in der Zusammenarbeit mit Malawi und Sambia.

Das 50-jährige Jubiläum des BMZ, das Gelegenheit zur Bilanz bietet, fällt zufällig in die Hälfte der Legislaturperiode. Wir nutzen die Gelegenheit deshalb, auch eine Bilanz der ersten beiden Jahre dieser Regierung zu ziehen und innovative Anregungen für die zweite Hälfte zu gewinnen. Es gibt viel zu gestalten – machen Sie mit!