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Respektvoller Tourismus

Mexiko muss seine indigene Bevölkerung in den Tourismus einbeziehen

Mexiko verdankt viele touristische Attraktionen seinem Reichtum an indigenen Gemeinschaften. Es ist wichtig, diese nachhaltig, respektvoll und stärkend in die Tourismusindustrie einzubeziehen.
Verkäuferin am Strand der Isla Mujeres. picture-alliance/NurPhoto/Artur Widak Verkäuferin am Strand der Isla Mujeres.

Mexikos indigene Gemeinden leben seit Jahrhunderten in Gebieten mit einer enormen biologischen und kulturellen Vielfalt. Heute sind diese Gegenden oft beliebte Reiseziele.

Die mexikanische Verfassung erkennt die indigenen Völker an. Dennoch sind sie nach wie vor mit Problemen konfrontiert – vor allem da ihre Rechte über ihre Territorien faktisch eingeschränkt sind und eine selbstbestimmte Verwaltung nicht gesichert ist. Derzeit verändert sich viel in den von indigenen Völkern bewohnten Gebieten, vor allem durch Übernutzung natürlicher Ressourcen im Zusammenhang mit transnationalen Bergbauunternehmen, landwirtschaftlicher Expansion – und durch Tourismus.

Megaprojekte wie der Tren Maya, der Tourist*innen an die Riviera Maya und wieder zurückbringen und dabei den ärmsten Gemeinden des Landes wirtschaftliche Perspektiven bieten will, sind ein Teil des Problems. Das Projekt ist fast fertig. Dann wird der Tren Maya 34 Bahnhöfe auf einer Strecke von 1 554 Kilometern anfahren – darunter einige berühmte Reiseziele wie Cancún, Tulum und Palenque.

Viele Aktivist*innen und indigene Organisationen lehnen das staatliche Vorzeigeprojekt ab. Indigene Völker wurden anfangs nicht angemessen befragt, und ihre freie, informierte Zustimmung fehlt. Beim Bau wurden nicht nur natürliche Ressourcen an der Strecke geschädigt, sondern zudem Indigene aus ihren Gebieten vertrieben.

Auch sozial hat der Tourismus zu tiefgreifenden Veränderungen geführt. Indigene Sprachen und traditionelle Berufe wie die Bienenzucht werden immer mehr aufgegeben. Die soziale Kluft vergrößert sich, da nicht jeder wirtschaftlich vom Tourismus profitiert und würdige Beschäftigung findet.

Einige indigene Bewegungen wollen ihre Territorien nun verteidigen. Zuletzt reichten 2022 die ethnischen Gruppen der Wixárika, Náayeri, O’dam (Au’dam) und Mexikan einen Vorschlag für ein Dekret des mexikanischen Präsidenten zur Anerkennung und zum Schutz ihrer heiligen Stätten und Pilgerwege ein. Das von den Behörden der Indigenen mit Unterstützung der Bundesbehörden ausgearbeitete Dekret hat die mexikanische Regierung im August 2023 unterzeichnet. Somit dürfen diese Gebiete nicht durch wirtschaftliche oder touristische Aktivitäten beeinträchtigt werden.

Drogentourismus

Die heiligen Stätten der Wixárika-Gemeinschaften sind dennoch gefährdet – besonders durch Drogentourismus. Die Wixárika (auch Wixaritari) leben in den Gebirgszügen der Sierra Madre Occidental, vor allem in den Bundesstaaten Jalisco, Nayarit, Durango, Zacatecas und San Luis Potosí. Jedes Jahr pilgern sie hunderte Kilometer durch die Wüste von San Luis Potosí. Dabei suchen sie für ihre Ahnenzeremonien auch Peyote.

Die endemische, psychoaktive Pflanze Peyote (auch Hikuri) hat die Neugierde der Tourist*innen geweckt. Sie ist den Ureinwohner*innen heilig, da sie ihnen hilft, sich mit ihren Ahnen zu verbinden und ihre Seelen zu regenerieren. Obwohl die Pflanze nach der mexikanischen Norm 059 besonders geschützt ist, ist ihr Bestand wegen illegalen Handels und übermäßiger Nachfrage zurückgegangen – an touristischen Orten um rund 40 Prozent.

Es braucht nicht nur Vorschriften, um die natürliche Lebensgrundlage von Peyote zu bewahren. Auch müssen die Wixaritari-Familien sich für Tourismusmodelle entscheiden können, die ihre Rituale schützen.

Teil der Tourismuslandschaft

Indigene Gemeinschaften spielen für den mexikanischen Tourismus eine sehr wichtige Rolle. Viele sind in die Tourismusindustrie eingebunden und verkaufen und vermarkten Kunsthandwerk, Musik, Tänze, Zeremonien und regionale Küche.

Vor allem kunsthandwerkliche Tätigkeiten sind zu einer Möglichkeit geworden, sich selbständig zu machen. Laut Nationalem Fonds zur Förderung des Kunsthandwerks leben schätzungsweise mehr als eine Million Menschen vom Verkauf derartiger Produkte – wenn auch oft von der Hand in den Mund. Diesen Sektor hat die Coronapandemie besonders getroffen. Vor allem die Schließung der Touristenmärkte hat tausende Familien viele Einnahmen gekostet und sie weiter geschwächt.

Mehrere Organisationen haben sich zusammengetan, um das Kunsthandwerk wiederzubeleben. Das Kooperationsforum „Ensamble Artesano“ etwa wurde 2020 als Reaktion auf die Pandemie gegründet. Die Initiative brachte Partnerorganisationen und Kunsthandwerksgruppen aus verschiedenen Teilen Mexikos zusammen. Von 2020 bis 2023 erwirtschaftete sie mehr als 2,7 Millionen Euro für mehr als 5 600 Kunsthandwerker*innen, darunter 71  Prozent Indigene. Die Initiative ist weiterhin aktiv.

Kooperativen bieten Zugang zu formellen Märkten, die für Kunsthand-werker*innen ansonsten nur schwer zugänglich wären. Die Kooperative „Jolom Mayaetik“ („Maya-Weber“ in der Tzotzil-Sprache) im Bundesstaat Chiapas etwa wurde 1991 in San Cristóbal de las Casas gegründet. Mindestens 250 indigene Tzotzil- und Tzeltal-Weberinnen, deren Entwürfe auf der traditionellen Symbolik und Technik der Maya basieren, sind dort vereint. Über die Kooperative erhalten die Frauen Zugang zu Trainings, in denen sie lernen, ihre Kreationen an die Anforderungen der formellen Märkte anzupassen.

Gemeindebasierte Alternativen

Nachhaltige und gemeindebasierte Initiativen wie diese müssen eine Alternative zu ausbeuterischem und schädlichem Tourismus in Mexiko sein.

Gemeindebasierter Tourismus konzentriert sich auf die Betonung von Traditionen und kultureller Identität. Die Einheimischen planen und verwalten dabei die Tourismusprojekte, um Besucher*innen ihre Kultur, Bräuche und Traditionen zu vermitteln. So sollen wirtschaftliche Vorteile gerechter verteilt und das lokale Erbe geschützt werden.

Der Bundesstaat Yucatán ist diesbezüglich ein Vorbild. In seinen sechs Tourismusregionen gibt es viele von Maya-Gemeinschaften geführte Kooperativen sowie Sozial- und Familienunternehmen, die touristische Erlebnisse und Produkte entwickeln. Die Kooperative „Co’ox Mayab“ („Lass uns in die Gebiete der Maya gehen“) etwa wurde 2015 gegründet. Heute umfasst sie neun Sozialunternehmen, die gemeindebasierten Tourismus betreiben.

2023 haben das Sekretariat für Tourismusentwicklung des Bundesstaates Yucatán, die UNESCO Mexiko, Airbnb und Co’ox Mayab ein Programm zum Aufbau von Kapazitäten für gemeindebasierten Tourismus gestartet. Es soll Maya-Gemeinschaften als Eigentümer und Vermittler ihrer Kultur stärken. Dafür wurden Gruppen, Kollektive und Tourismuskooperativen in der Verwaltung von kulturellem Erbe, Nachhaltigkeit, der Konzeption von Touren und in anderen Bereichen geschult.

Mexikos indigene Bevölkerung

Laut Statistik aus der Volks- und Wohnungszählung 2020 leben in Mexiko 23,2 Millionen Menschen, die sich als Indigene bezeichnen – 19,4 Prozent der Gesamtbevölkerung ab drei Jahren. Offiziell sind sie in 71 ethnische Gruppen unterteilt.

In Mexiko werden 68 indigene Sprachen gesprochen, die in 364 Varianten unterteilt sind. Die am weitesten verbreiteten sind Nahuatl (22,4 Prozent), Maya (10,5 Prozent) und Tzeltal (acht Prozent). Von der Gesamtbevölkerung sprechen nur 6,1 Prozent – das sind 7,4 Millionen Menschen – eine dieser Sprachen. Die meisten Menschen, die indigene Sprachen sprechen, beherrschen auch Spanisch (87,2 Prozent). Die Hälfte derer, die indigene Sprachen sprechen, leben in einem der vier südlichen Bundesstaaten Oaxaca, Chiapas, Yucatán und Guerrero. Das besagen Daten des Nationalen Instituts für Statistik und Geografie (INEGI) von 2022.

Mexiko als multikulturelle Nation erkennt mit Artikel 2 der Verfassung der Vereinigten Mexikanischen Staaten indigene Völker als jene an, „die von den Völkern abstammen, die das heutige Landesgebiet zu Beginn der Kolonisierung bewohnten und ihre eigenen sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Institutionen oder Teile davon bewahrt haben“.

Dennoch werden indigene Völker weiterhin diskriminiert. In einer 2023 veröffentlichten nationalen Erhebung zum Thema Diskriminierung gaben 28 Prozent der Indigenen über 12 Jahren an, bereits Diskriminierung erfahren zu haben. 26,9 Prozent der indigenen Menschen über 18 Jahren berichteten, dass ihnen Rechte vorenthalten werden. Eine Studie des Colegio de México zu ethnischer Diskriminierung in Mexiko kam zu dem Schluss, dass Diskriminierung teilweise weitgehend als normal empfunden und wohl häufig durch ethnische Merkmale wie dem Sprechen einer indigenen Sprache oder dem Tragen traditioneller Kleidung ausgelöst wird. Vor diesem Hintergrund hat der Staat eine besondere Verantwortung für den Schutz der Sprachen, Kulturen, Bräuche und Traditionen seiner indigenen Völker. 

Pamela Cruz ist Special Project Coordinator bei Comunalia, einem Netzwerk von Bürgerstiftungen in Mexiko, und strategische Beraterin bei MY World Mexico.
pamela.cruzm@gmail.com

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