Albinismus
Gefährlicher Aberglaube
Aufgrund eines tief verwurzelten Aberglaubens, dass Körperteile von Menschen mit Albinismus magische Kräfte besitzen, werden sie und ihre Familien oft mit gefährlichen Mythen und Vorstellungen konfrontiert. Manchmal werden Mütter der Untreue mit weißen Männern oder Geistern beschuldigt und aus dem Familienverband verstoßen. Der Mythos, dass Geschlechtsverkehr mit einer Frau mit Albinismus Unfruchtbarkeit und Aids heilen kann, führt dazu, dass diese Bevölkerungsgruppe einem hohen Risiko sexueller Gewalt und der Ansteckung mit HIV ausgesetzt ist. In den schlimmsten Fällen werden Neugeborene direkt nach der Geburt getötet oder Kinder und Erwachsene überfallen, entführt, verstümmelt oder ermordet sowie Gräber von Verstorbenen geplündert. Aus ihren Körperteilen werden okkulte Glücksbringer gefertigt, was ein lukratives Geschäft ist.
Vielen Menschen mit Albinismus werden auf dem afrikanischen Kontinent zudem Schulbildung und berufliche Möglichkeiten nur unzulänglich gewährt oder sogar verwehrt. Das beraubt sie der Möglichkeit auf finanzielle Sicherheit.
In Tansania und Malawi erfahren Menschen mit Albinismus überdurchschnittlich oft Gewalt. Die Organisation Standing Voice berichtet, dass in diesen beiden Ländern seit 2006 ungefähr die Hälfte aller berichteten Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Albinismus in Afrika registriert wurden, vor allem in den Regionen Machinga in Malawi und Mwanza in Tansania. Auch in angrenzenden Ländern wie der Demokratischen Republik Kongo, Mosambik, Burundi und Sambia sowie in weiteren Ländern wurden Menschenrechtsverletzungen verzeichnet und wurde über transnationalen Organhandel berichtet.
Genetik verstehen
Menschen mit Albinismus vor Diskriminierung und Rassismus zu schützen, bedeutet, die genetischen Zusammenhänge zu verstehen, Verständnis über die besonderen körperlichen Einschränkungen und notwendigen Hilfen zu erlangen und ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, in dem die Rechte dieser Menschen auf lokaler wie nationaler Ebene respektiert werden.
Bei Albinismus handelt es sich um eine seltene angeborene Stoffwechselkrankheit mit einer geschätzten Häufigkeit von eins zu 20 000. In Afrika ist das Vorkommen sehr viel häufiger und kann bei eins zu 1000 liegen. In manchen Gebieten des Kontinents trägt etwa jede zwanzigste Person das defekte Gen in sich, ohne Anzeichen einer Erkrankung zu zeigen. Diese Häufigkeit kann sich jedoch von Region zu Region sehr unterscheiden. Wenn beide Elternteile das defekte Gen tragen, hat ein Kind eine 25-prozentige Wahrscheinlichkeit, mit Albinismus geboren zu werden, auch wenn Vater und Mutter phänotypisch gesund sind.
Bahnbrechendes Urteil
Die bisherige Nachlässigkeit im Hinblick auf Straftaten gegenüber Menschen mit Albinismus ist im Wandel. Der Oberste Gerichtshof in Malawi befand 2022 zum ersten Mal einen katholischen Priester, einen Polizeibeamten und einen Krankenhausarzt des gemeinsamen Mordes und Handels mit Körperteilen eines jungen Mannes für schuldig und sprach lebenslange Haftstrafen aus. Das war bahnbrechend, nicht zuletzt, da prominente Mitglieder der Gesellschaft verurteilt wurden – auch wenn nach wie vor in vielen Ländern zahllose Straftäter*innen, die an diesen schrecklichen Traditionen festhalten, unbeschadet davonkommen. Das Urteil ist eines der Zeichen dafür, dass ein erhöhtes öffentliches Interesse und ausreichend gesellschaftlicher Druck entstanden sind, sodass inzwischen mit strafrechtlichen Maßnahmen gegen Verbrechen vorgegangen wird.
Den Weg dazu bereitet haben auch zwei historische Resolutionen zum Schutz von Menschen mit Albinismus. Die Generalversammlung der UN beschloss im November 2014, einen „Internationalen Tag des Albinismus“ (International Albinism Awareness Day) auszurufen. Seither wird der 13. Juni jährlich weltweit gefeiert und verleiht damit Menschen mit Albinismus eine Stimme. Die Anwältin Ikponwosa Ero aus Nigeria wurde 2015 zur ersten unabhängigen UN-Sachverständigen für die Wahrnehmung und Verteidigung der Menschenrechte von Menschen mit Albinismus ernannt; die Juristin Muluka-Anne Miti-Drummond aus Sambia hat dieses Amt im Jahr 2021 übernommen.
Weiterhin verabschiedete der Exekutivrat der Afrikanischen Union im Jahr 2019 einen Aktionsplan für den ganzen Kontinent, um Menschenrechtsverletzungen gegenüber Menschen mit Albinismus in Afrika zu beenden. Solche Maßnahmen, wenngleich rechtlich nicht bindend, stellen äußerst wichtige Fundamente zum Schutz dieser genetischen Minderheit dar. Andere internationale Kampagnen von Menschenrechtsorganisationen und den UN zielen darauf ab, das Bewusstsein für die Bedrohungen zu schärfen, denen Menschen mit Albinismus insbesondere in Subsahara-Afrika ausgesetzt sind. Verschiedene Organisationen wie Standing Voice, Africa Albinism Network, Albinism Society of Kenya, Black Albinism, Under the Same Sun, Tanzania Albinism Society, Albinism Foundation Zambia, Positive Exposure und National Organization for Albinism and Hypopigmentation (NOAH) und weitere Gruppen haben sich dem gesellschaftlichen und medizinischen Schutz und der Unterstützung dieser Menschen auf nationaler und lokaler Ebene mit direktem Engagement angenommen. Inklusion und Stärkung des Selbstwertgefühls dieser Menschen sind weitere wichtige Maßnahmen.
Trotz dieser positiven Entwicklungen leben immer noch Kinder mit Albinismus in Internaten oder Schutzhäusern getrennt von ihren Familien, um sie vor Gefahren zu bewahren. Der Aberglaube existiert in zu vielen Köpfen fort. Nach wie vor verschwinden Menschen, werden verstümmelt oder getötet, und Mordfälle bleiben ungeklärt. Die Dunkelziffer von Menschen, über deren Verschwinden und Schicksal nichts bekannt ist, bleibt hoch.
Wissenschaftliche Aufklärung über die genetischen Ursachen von Albinismus in Schulen ist daher ein unbedingt notwendiges Mittel, um das Wissen in alle Bevölkerungsschichten zu tragen und einem jahrhundertelangen Aberglauben für alle Zeiten den Boden zu entziehen.
Link
www.albinism-justagene.com
Gudrun A. Rappold ist Professorin und ehemalige Direktorin der Abteilung für Molekulare Humangenetik am Institut für Humangenetik, Medizinische Fakultät der Universität Heidelberg.
gudrun.rappold@med.uni-heidelberg.de