Handel

Beziehungen zwischen der EU und Afrika

Seit 2002 verhandelt die EU Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) mit der Gruppe der Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (AKP-Staaten). Auf Grundlage des 2002 unterzeichneten Cotonou-Abkommens sollen die WPA den Handel zwischen der EU und den AKP-Staaten fördern. Allerdings sind vor allem die WPA zwischen der EU und afrikanischen Staaten seit jeher stark umstritten.
Arbeiter aus dem südafrikanischen Geflügelsektor protestierten 2017 vor dem EU-Sitz in Pretoria. Grund war der geplante Abbau von Arbeitsplätzen, der mit mangelnder Wettbewerbsfähigkeit wegen aus Europa importierten günstigen Huhns begründetet wurde. picture-alliance/AP Photo/Themba Hadebe Arbeiter aus dem südafrikanischen Geflügelsektor protestierten 2017 vor dem EU-Sitz in Pretoria. Grund war der geplante Abbau von Arbeitsplätzen, der mit mangelnder Wettbewerbsfähigkeit wegen aus Europa importierten günstigen Huhns begründetet wurde.

Die Beziehungen zwischen der EU und den AKP-Staaten stehen laut dem deutschen Ökonomen Helmut Asche an einem Wendepunkt. 2020 läuft das Cotonou-Abkommen zwischen der EU und den AKP-Staaten aus, das derzeit mehr als 100 Länder vereint und über 1,5 Milliarden Menschen repräsentiert. Die Entwicklungszusammenarbeit zwischen der EU und den AKP-Staaten basiert darauf. Ziel ist es, zu einer nachhaltigen Entwicklung und der Beseitigung von Armut beizutragen.

Die Post-Cotonou-Verhandlungen begannen im September 2018. Die EU hat sechs Prioritäten festgelegt, unter anderem wirtschaftliche Entwicklung, ökologische Nachhaltigkeit und Frieden. Laut Asche, der 35 Jahre Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Afrika hat und an den Universitäten Leipzig und Mainz lehrt, hat sich die EU-Kommission jedoch bisher offiziell auf Jugend und Beschäftigung konzentriert – eine Chiffre für Migration, das eigentliche poli­tische Interesse der EU. Aus Sicht der EU hätten die WPA Handelsfragen ausreichend geregelt, sagte Asche auf einer Veranstaltung an der Goethe-Universität Frankfurt. Allerdings sind die meisten WPA nur vorläufig. Die Unterzeichnung der Abkommen mit der Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten (Economic Community of West African States – ECOWAS) und der Ostafrikanischen Gemeinschaft (East African Community – EAC) ist gescheitert, und viele afrikanische Länder scheinen kein Interesse an einem Abkommen zu haben.

Laut Asche ist regionale wirtschaftliche Integration eng mit dem Welthandel verflochten. Kleine Länder mit kleinen Märkten profitieren von der Schaffung größerer Märkte, die durch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik mit ihren Nachbarn unterstützt werden.

Technisch gesehen, sind sowohl regionale Wirtschaftsgemeinschaften (Regional Economic Communities – RECs) wie die EU als auch Abkommen wie die WPA regionale Handelsabkommen. Erstere erleichtern den Handel zwischen Nachbarländern innerhalb einer Region (intraregional), Letztere fördern den Handel zwischen regionalen Blöcken (interregional). Regionale Integration kann interregionalen Handel antreiben und umgekehrt. Leider können interregio­nale Abkommen wie die WPA regionale Gruppen auch untergraben, und genau dies geschieht gerade jetzt.

Ökonomen verwenden häufig ein li­neares Modell regionaler Integration mit mindestens fünf Stufen:

  • Erstens, eine Präferenzhandelszone senkt Zölle auf bestimmte Produkte für die Mitgliedsländer.
  • Zweitens, eine Freihandelszone beseitigt Zölle zwischen den Mitgliedsländern vollständig.
  • Drittens, eine Zollunion führt einen einheitlichen Außentarif gegenüber Nichtmitgliedern ein.
  • Viertens, ein gemeinsamer Markt ermöglicht den freien Verkehr von Kapital, Arbeit und Dienstleistungen, erhebliche nichttarifäre Hemmnisse bleiben bestehen.
  • Fünftens, in einer Währungsunion haben die Mitglieder eine gemeinsame Währung.

Laut Asche hängt die Bewertung der einzelnen WPA vom Integrationsstand der afrikanischen RECs ab. Die EU befindet sich aufgrund des Euro und der tiefen wirtschaftlichen Integration auf Stufe fünf. Afrikanische RECs befinden sich in unterschiedlichen Stadien. Keine Gemeinschaft hat die dritte Stufe abgeschlossen, aber einige weisen Elemente tieferer Integration auf. In welchem Stadium sie sich tatsächlich befinden, ist mangels Daten schwierig zu bestimmen. Asche argumentiert, dass mehr Forschung nötig ist. Zudem gibt es Überschneidungen zwischen afrikanischen RECs, da einige Länder mehreren RECs angehören.

Abgesehen vom Warenhandel, schreitet die innerafrikanische Integration wirtschaftlicher Aktivitäten nur langsam voran. Nur 10 bis 15 Prozent des gesamten afrikanischen Handels werden in Afrika abgewickelt. Laut Boniface Mabanza von der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA) könnte regionale Integration ein enormes Potenzial erschließen. Eine stärkere Integration könnte Arbeitsplätze und Wertschöpfungsketten in der Region schaffen. Andererseits warnt er, dass der WPA-Ansatz regionale Integration auf ein Sprungbrett für den Zugang zu europäischen Märkten und für globale Integration reduziert hat. Stattdessen sollte regionale Integration Selbstzweck sein.

Neben anderen Klauseln ist die in den WPA enthaltene Meistbegünstigungsklausel laut Mabanza problematisch. Sie verlangt, dass afrikanische RECs der EU die gleichen Handelsvorteile gewähren wie Ländern mit einem Anteil von einem Prozent oder mehr am Welthandel. Dies hindert afrikanische Länder daran, strategische Partnerschaften mit Schwellenländern wie Brasilien oder China aufzubauen, so Mabanza.

Brexit ist ein weiterer Faktor. Viele afrikanische Regierungen sind besorgt, weil etwa 30 Prozent ihrer Exporte nach Britannien gehen. Mit dessen Austritt aus der EU haben sich die Bedingungen und der Verhandlungsspielraum geändert, sagt Mabanza. Auf der anderen Seite gewinnt dadurch die intraregionale Dimension der Handelspolitik wieder an Bedeutung.


Die WPA im Jahr 2019

Asche hält den gegenwärtigen Status der WPA in Afrika mit Blick auf regionale Integration für äußerst enttäuschend:

  • Die EAC und die ECOWAS haben keine Abkommen mit der EU unterzeichnet, da einige Mitglieder negative Auswirkungen auf ihre Industrialisierungsbemühungen befürchten.
  • Teilabkommen wurden mit den Ländern der südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft (Southern African Development Community – SADC) unterzeichnet. Das „SADC-WPA“ ist ein Abkommen zwischen der EU und der Südafrikanischen Zollunion (Southern African Customs Union – SACU) plus Mosambik. Das „ESA-WPA“ ist ein Abkommen zwischen der EU und vier anderen SADC-Ländern (Mauritius, Seychellen, Simbabwe und Madagaskar).
  • Darüber hinaus hat die EU mit bestimmten Ländern Interims-WPA unterzeichnet, die gescheiterte Vereinbarungen mit RECs ersetzen.

Im Idealfall sollten Nord-Süd-Handelsabkommen wie die WPA Süd-Süd-Abkommen unterstützen. Erstere sollten nicht tiefer gehen oder schneller voranschreiten als Letztere. Da die WPA eine Freihandelszone für Waren zwischen der EU und afrikanischen RECs schaffen, aber Dienstleistungen und ausländische Investitionen nicht regulieren, gehen sie nicht tiefer. Laut Asche sind sie weniger umfangreich als von der EU beabsichtigt. Durch die Unterzeichnung von Abkommen mit einzelnen Staaten oder Staatengruppen anstelle von RECs verstärkt die EU allerdings Fragmentierung, anstatt Integration zu fördern – das Gegenteil des erklärten politischen Ziels.

Eine der problematischen Klauseln ist laut Asche die Klausel zum Schutz aufkommender neuer Industrien. Sie soll es Ländern ermöglichen, diese Industrien zeitweise vor dem europäischen Wettbewerb zu schützen. Nach Asches Einschätzung macht der Wortlaut der Klausel ihre praktische Anwendung und eine strategische Industriepolitik so schwierig, dass sie Industrialisierung tatsächlich behindern kann. Dies spricht dafür, den Forderungen Nigerias oder Tansanias nachzukommen und wesentliche Klauseln in den Verträgen umzuformulieren.

Laut Asche gibt es vier Szenarien für die Zukunft der Handelsbeziehungen:

  • Szenario 1: Die EU wird die WPA vor­antreiben, mehr Länder zur Unterzeichnung bewegen und versuchen, die Vorteile zu belegen.
  • Szenario 2: Die EU könnte auf die WPA verzichten und zur EBA-Initiative (Everything-But-Arms) zurückkehren, das es den am wenigsten entwickelten Ländern ermöglicht, alle Waren mit Ausnahme von Rüstungsgütern zollfrei in die EU einzuführen.
  • Szenario 3: Die EU und die Afrikanische Union (AU) könnten ein WPA mit Afrika als Ganzem verhandeln, da die AU eine kontinentale Freihandelszone (Continental Free Trade Area – CFTA) anstrebt. Die CFTA wurde von 44 der 55 AU-Mitgliedstaaten unterzeichnet und wird in Kraft treten, sobald 22 Länder das Abkommen ratifiziert haben. Bis Februar 2019 hatten 19 Länder dies getan.
  • Szenario 4: Die EU könnte die WPA erheblich verbessern und sie dann mit den bestehenden afrikanischen RECs abschließen.

Die EU-Kommission macht derzeit mit Szenario 1 weiter, als wäre nichts geschehen, sagt Asche. Seiner Meinung nach sind jedoch wesentliche Verbesserungen und ein strategischer Dialog erforderlich, um faire Vereinbarungen für alle Beteiligten zu erzielen. In seiner 2019 erscheinenden Monographie „Regional Integration, Trade and Industrialization in Africa“ wird Asche diese Themen detailliert analysieren.

Monika Hellstern ist Redaktionsmitglied bei E+Z/D+C.
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