Landflucht
Umzug in die Stadt
Die Politik diskutiert in den vergangenen Jahren viel über die wachsende internationale Migration. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, welche internationalen Regeln für die Menschenströme, die auf der Suche nach neuen Möglichkeiten ihr Land verlassen, gelten sollen. Doch diese Diskussion übersieht meist, dass ein Großteil der Migranten weltweit innerhalb des eigenen Landes umzieht. Gerade Migranten aus ärmeren Regionen können sich die Reise ins Ausland nicht leisten. Sie wandern aus ihren Heimatdörfern in die nächste große Stadt und hoffen auf bessere Arbeitsmöglichkeiten.
In den letzten zwei Jahrzehnten ist die Binnenmigration stark gestiegen. Das verändert nicht nur die städtischen Zentren, die dadurch rasant wachsen. Auch die ländlichen Räume verändern sich. Priya Deshingkar vom Overseas Development Institute in London (ODI) erforschte in Indien, dass ländliche Entwicklung nicht ausreichend beschrieben werden kann, ohne auch Migrationsbewegungen zu untersuchen. Zahlreiche der ländlichen Haushalte haben Kontakt zu einem Familienmitglied in der Stadt. Die Migranten schicken aus der Stadt Geld und Geschenke an ihre Familien. Wenn sie zurückkehren, kommen sie mit neuen Ideen und bringen Wissen mit, das sie sich in der Stadt angeeignet haben. Zwar überweisen Binnenmigranten geringere Summen in ihre Heimat als Familienmitglieder, die im Ausland leben. Doch ihr Geld und Wissen fördert direkt arme ländliche Regionen.
Migranten tragen zudem dazu bei, die Einnahmequellen des Haushalts zu diversifizieren. Familien etwa, die ihren Lebensunterhalt nur mit Landwirtschaft verdienen, sind abhängig von Umwelt und Witterung. Daniel Inkoom von der Kwame Nkruma University of Science and Technology (KNUST) in Ghana betont, dass viele Migranten nicht nur umziehen, um mehr zu verdienen. Sie wollten auch zum Schutz der Familie beitragen. Die Suche nach Arbeit und Bildung in der Stadt sei auch eine Suche nach neuen Möglichkeiten und Lebensmodellen.
Dorfbewohner, die in die Stadt ziehen, haben es dort oft schwer. Soziale Netzwerke können die Risiken aber mildern. In den Slums von Manila etwa haben sich starke Migranten-Netzwerke gebildet, die sogar politisches Gewicht gewonnen haben, berichtet Zenaida Manalo von der School of Urban and Regional Planning in Manila. Sie haben deutlichen Einfluss auf die lokale Politik und unterstützen somit nicht nur die Migranten selber, sondern werden auch zum politischen Sprachrohr ihrer Heimatregionen.
Dass die nationale Politik jedoch auf die Migranten zugeht, kommt eher selten vor. Maßnahmen zur Unterstützung von Binnenmigranten von Regierungsseite gibt es bis dato wenige. Dabei könnten diese den positiven Einfluss von Binnenmigranten auf die Entwicklung ihrer Dörfer erhöhen. Claudia Natali von der International Organization for Migration (IOM) schlägt vor, gelungene Maßnahmen der internationalen Migrationspolitik auf interne Migration zu übertragen.
Zwar sei Migration sicher nicht die einzige Lösung für die Entwicklung ländlicher Räume, sie berge aber Chancen, betonte Claudia Kraemer vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zum Abschluss einer Konferenz des Fachbereichs Raumplanung in Entwicklungsländern der Technischen Universität Dortmund und der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit. Diskutiert wurde die Frage, ob Binnenmigration einen Beitrag zu Armutsreduzierung leisten kann.
Diese Chancen müsse die Entwicklungszusammenarbeit fördern, fordert Einhard Schmidt-Kallert von der Universität Dortmund. Es solle als übergreifendes Thema in Sektorvorhaben eingehen. Auch Mechanismen für sicheren Geldtransfer, Capacity Building oder Informationsvermittlung können die positiven Effekte von Migration fördern. (emv)