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Linguistisches Erbe

Kreolsprachen auf dem Vormarsch

In der Karibik verschmolzen die Sprachen der europäischen Kolonialmächte mit den afrikanischen Sprachen der Sklaven und teils auch mit den indigenen Sprachen. Daraus entstanden neue, von Fachleuten Kreolsprachen (Creoles) genannt. Die karibischen Staaten nutzen zwar für offizielle Belange noch immer die Sprache der früheren Kolonialmächte, ihre Vormachtstellung wird aber in Frage gestellt. Kreolsprachen spiegeln die Identität der karibischen Nationen authentisch wider.
Reklameplakat in Falmouth, Jamaika. Ron Giling/Lineair Reklameplakat in Falmouth, Jamaika.

Die Welt in ihrer heutigen Form entstand auf den Inseln und Territorien in der karibischen See. Hier wurden viel eher als in Europa zum ersten Mal massenhaft Arbeitskräfte eingesetzt, um ein Produkt für den Massenkonsum herzustellen: Zucker. Mitte des 17. Jahrhunderts waren die Zuckerplantagen großangelegte, agro-industrielle Betriebe.

Diese Arbeiterschaft, die als Proto-Proletariat bezeichnet werden kann, bestand aus Millionen versklavter Afrikaner und einigen versklavten Indigenen. Die Kontrolle lag in der Hand der englischen, holländischen, französischen, spanischen, portugiesischen und dänischen Sklavenhalter.
Die Zuckerplantagen in der Karibik waren die Vorläufer der europäischen Manufakturen, die das Herz der industriellen Revolution darstellten. Die karibischen Zuckerplantagen waren auch, wie die Historiker C. L. R. James und Eric Williams darlegen, die Hauptquelle des Kapitals, das die industrielle Revolution in den „Mutterländern“ in Europa finanzierte.


Neue Welt, neue Sprachen

In dieser neuen Welt stießen Afrika, Nord- und Südamerika und Europa zusammen. Die alten Identitäten – und damit auch die Sprachen, die sie repräsentierten – starben. Indigene Sprachen wie Kaliphuna, Guanahátabey und Ciguayo werden nicht mehr gesprochen. Der koloniale Genozid löschte sie zusammen mit ihren Sprechern im 16. und 17. Jahrhundert aus. Neue Sprachen entstanden, die „Creoles“ genannt wurden. Sie waren das Ergebnis der kolonialen Interaktion zwischen Sprechern europäischer und westafrikanischer Sprachen.

In der Regel übernahmen diese Sprachen das Vokabular der europäischen Sprachen wie Englisch, Französisch oder Spanisch; ihre syntaktischen Strukturen sind jedoch sehr ähnlich. Das französischbasierte Creole (gesprochen in Martinique, Guadeloupe, St. Lucia und Dominica), das spanisch-portugiesische Creole (gesprochen in Aruba, Bonaire und Curacao) und das englischbasierte Creole (gesprochen in Jamaika, Antigua, St. Vincent und Guyana) teilen auffällige Ähnlichkeiten in ihrer Grammatik. Diese Ähnlichkeiten stammen wahrscheinlich aus den westafrikanischen Sprachen, die die erste Generation der versklavten Afrikaner sprach.

Es ist klar, dass die Kreolsprachen der Karibik (und darüber hinaus die des Atlantiks, inklusive Guyana, Französisch-Guyana und Surinam in Südamerika, Georgia und South Carolina in Nordamerika, Sierra Leone und Nigeria in Westafrika) einer Sprachfamilie angehören. Sie bilden miteinander verbundene Identitäten und historische Erfahrungen aus einer Zeit ab, als die Karibik das Zentrum der globalen ökonomischen Entwicklung war. 

Als die europäischen Machtzentren sich im 18. und 19. Jahrhundert im Indischen und Pazifischen Ozean ausdehnten, nutzten sie die Karibik als Modell, um Plantagen-Kolonien zu errichten. Menschen und Sprachen aus der Karibik und dem Atlantik wurden an neue Orte verpflanzt mit dem Ergebnis, dass Kreolsprachen aus dem indischen und pazifischen Raum viele Merkmale mit denen vom Atlantik teilen.


Macht und Menschen

Das internationale politische System basiert auf der Idee, dass Staaten eine Nation bilden. Dieses Gefühl einer einheitlichen „Nation“ entstand wiederum durch Drucktechnologien, die die Entstehung von Nationalsprachen förderten. Bis vor wenigen Jahren war dieses System auf die Länder in Nordeuropa und Nordamerika konzentriert. In der Peripherie befinden sich die ehemals kolonisierten Staaten, die sogenannten Entwicklungsländer, darunter die Länder der Karibik.

Für offizielle Zwecke nutzen diese Länder noch immer die Sprachen der früheren Kolonialmächte – doch die Bevölkerung spricht meist nicht so. Dies ist der Fall in vielen ehemaligen Kolonialstaaten in Afrika, Asien und dem Pazifik. Die marginalisierten linguistischen, kulturellen und ethnischen Minderheiten in Europa und Nordamerika leben in einer ähnlichen Situation. 

In Jamaika hat die kulturelle Auseinandersetzung dazu geführt, dass das weitgehend nichtschriftliche Creole die Hauptsprache geworden ist, die die nationale Identität ausdrückt – innerhalb eines offiziellen Rahmens, der von Englisch dominiert wird. Das jamaikanische Creole breitet sich global vor allem durch Musik aus. Führende jamaikanische Künstlern sind auch international sehr bekannt (siehe Kasten). Ein Grund besteht sicherlich darin, dass Menschen in vielen anderen ehemaligen Kolonien – wie auch viele Minderheiten in Europa und Nordamerika – die gleichen sprachlichen Spannungen spüren wie jene in Jamaika.

Vor diesem Hintergrund konnte ­Jamaika die bittersüße Erfahrung eines ­lokalen Kampfes um Sprache globalisieren. Es geht darum, dass die nationale Identität auf der Sprache der Massen beruhen soll, also dem Creole. Englisch hingegen wird als Sprache der kolonialen Elite empfunden.


Hubert Devonish ist Professor für Linguistik an der University of the West Indies. Er unterrichtet am Mona-Campus der Universität in Kingston, Jamaika.
hubert.devonish@uwimona.edu.jm