Demographie

20 Jahre länger leben

Die Weltbevölkerung wächst langsamer als früher, weil die Geburtenrate in den meisten Ländern gesunken ist. Die Lebenserwartung ist derweil deutlich gestiegen. Überbevölkerung ist ein ernstes Thema – aber weniger bedrohlich, als Prognosen in früheren Jahrzehnten behaupteten. Alisa Kaps vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung erläutert den Stand der Dinge.
Ghanaische Großmutter mit Enkelkindern – die Geburtenraten sind gesunken, aber die Lebenserwartung ist gestiegen. Schytte/Lineair Ghanaische Großmutter mit Enkelkindern – die Geburtenraten sind gesunken, aber die Lebenserwartung ist gestiegen.

Warum können wir relativ sicher sein, dass die Weltbevölkerung in den kommenden Jahrzehnten aufhören wird zu wachsen?
Global gesehen bekommen Frauen heute im Schnitt nur noch halb so viele Kinder wie in den 1960er Jahren. In über 80 Ländern liegen die Geburtenziffern heute unter dem sogenannten bestandserhaltenden Niveau von 2,1 Kindern je Frau, bei dem die Bevölkerung ohne Zuwanderung aufhört zu wachsen. Das weltweite relative Bevölkerungswachstum hat sich dadurch bereits halbiert, auch wenn die absolute Zahl der Menschen noch um etwa 70 Millionen Menschen pro Jahr steigt.

Ist der Trend zu geringeren Kinderzahlen stabil?
Ja, er dürfte sich auch in Zukunft fortsetzen, insbesondere in den am wenigsten entwickelten Ländern, wo Frauen heute im Mittel noch mehr als vier Kinder bekommen. Wenn die Geburtenziffern in diesen Ländern in dem Tempo sinken, wie sie in der Vergangenheit weltweit gesunken sind, könnte das weltweite Bevölkerungswachstum laut UN-Prognosen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ausklingen. Sollte dieser Fertilitätsrückgang allerdings langsamer vonstattengehen, könnte das Wachstum auch noch über das Ende dieses Jahrhunderts hinaus anhalten. Wie bald die Weltbevölkerung aufhört zu wachsen, hängt also von den ärmsten Ländern ab.

Weshalb bekommen Frauen heute weniger Kinder?
Die Kinderzahlen gehen immer dann zurück, wenn sich die Lebensbedingungen der Menschen verbessern. Durch eine bessere Ernährung und Gesundheit sinkt zunächst die Sterblichkeit, vor allem unter Kleinkindern. Durch ein steigendes Bildungsniveau – insbesondere von Frauen – und mehr Möglichkeiten zu individueller Lebensplanung sinken später auch die Geburtenraten. Zudem entstehen mit wachsendem Wohlstand Rentensysteme, welche die Rolle der Kinder für die Altersvorsorge übernehmen. Während Industrieländer wie Deutschland diese Entwicklung bereits durchlaufen haben und die Kinderzahlen auf einem niedrigen Niveau von etwa 1,5 Kindern pro Frau liegen, stehen wenig entwickelte Länder noch am Anfang dieses Wandels.

Welche Rolle spielen höhere Lebenserwartungen für das Bevölkerungswachstum?
Die Lebenserwartung ist in den letzten Jahrzehnten global stetig gestiegen und das trägt zum Bevölkerungswachstum bei. Im Schnitt leben die Menschen heute über 20 Jahre länger als noch Mitte des 20. Jahrhunderts. Einerseits überstehen viel mehr Kinder ihre ersten Lebensjahre, andererseits haben dank besserer Nahrungs- und Gesundheitsversorgung auch ältere Menschen an Lebenszeit hinzugewonnen. Wer in den Industrienationen das Rentenalter erreicht und somit schon viele Sterberisiken hinter sich gelassen hat, hat heute im Schnitt etwa 20 weitere Lebensjahre vor sich. Auch die wenig entwickelten Länder verzeichnen solche Zugewinne.

Greifen diese Trends auch südlich der Sahara?
Ja, aber vergleichsweise langsam. In Subsahara-Afrika hat sich die Kindersterblichkeit in den letzten 50 Jahren aufgrund verbesserter Hygiene und Gesundheit bereits mehr als halbiert. Vielerorts wurde das vor allem durch Interventionen von außen ermöglicht, durch Impfprogramme, sauberes Trinkwasser oder Nahrungsmittelhilfen. Doch das Absinken der Fertilitätsraten aufgrund verbesserter Lebensperspektiven, das normalerweise etwa eine Generation später einsetzt, verläuft in den Ländern südlich der Sahara bislang deutlich langsamer, als es in anderen Weltregionen in der Vergangenheit der Fall war. Teilweise bleibt diese Anschlussentwicklung sogar fast gänzlich aus. Solange die Geburtenziffern in den Ländern südlich der Sahara weiter auf hohem Niveau verharren, wird die Bevölkerung dort rasant wachsen. Bis zur Mitte des Jahrhunderts dürfte sich die Zahl der Menschen in der Region von heute etwa einer Milliarde auf zwei Milliarden verdoppeln. Ob diese Menschen dann in ihren Heimatländern überhaupt friedlich leben und ausreichend versorgt werden können, ist eine offene Frage.

Müssen wir uns Sorgen über Überbevölkerung machen, obwohl der Wendepunkt in Sicht ist?
In einigen Regionen ist das hohe Bevölkerungswachstum sicher ein Problem. In den Sahelländern etwa leben viele Menschen heute noch überwiegend als Subsistenzbauern oder Nomaden. Ihre Lebensweise wird durch den Klimawandel zunehmend schwieriger und der geringe Bildungsstand verhindert wirtschaftliche Entwicklung in anderen Sektoren. Gemessen an dem Entwicklungsstand übersteigt die Bevölkerungszahl dieser Länder schon heute die Tragfähigkeit der Gebiete. Es gibt aber noch eine andere Form der Überbevölkerung: In den Industrienationen liegen Ressourcenverbrauch und Schadstoffemissionen – etwa von Klimagasen – weit über dem Niveau, das für stabile Ökosysteme erträglich wäre. Solange sich dort der Konsum nicht deutlich reduziert, sieht es um die Zukunft der Menschheit düster aus.

Was muss die Politik beachten?
Die Regierungen der Industrieländer müssen die Transformation zur Nachhaltigkeit vorantreiben – und sie müssen sich dafür einsetzen, dass in den Ländern mit hohen Kinderzahlen verstärkt in Familienplanung und Bildung investiert wird. Ein besserer Bildungsstand ist der wichtigste Hebel, um den Kreislauf aus anhaltender Armut und hohem Bevölkerungswachstum zu durchbrechen. Zudem gilt es, Arbeitsplätze zu schaffen, damit die große Zahl an jungen Menschen auch eine Zukunftsperspektive hat. Erst wenn die Menschen ihr eigenes Leben planen können, sinken auch die Kinderzahlen. Das umzusetzen liegt vor allem in der Verantwortung der nationalen Regierungen. Aber sie sind auch auf finanzielle Unterstützung von außen angewiesen, um den Infrastrukturausbau im Bildungs- und Gesundheitsbereich voranzubringen und Arbeitsplätze zu schaffen. Ohne die Hilfe der internationalen Gebergemeinschaft wird sich das Bevölkerungswachstum irgendwann auf schreckliche Weise von selbst begrenzen – durch Hunger, Krankheiten und Krieg. Die Lage ist also durchaus ernst. Aber anders, als die katastrophalen Prognosen über das Wachstum der Weltbevölkerung in den 1960er und 1970er Jahren vermuten ließen, dürfte es durchaus beherrschbar sein, wenn entsprechende Maßnahmen ergriffen werden.


Alisa Kaps ist Geographin am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung.
kaps@berlin-institut.org