Proteste

In Kenia eskaliert die Schuldenkrise

Seit Wochen erlebt Kenia eine Welle von Protesten, angeführt von jungen Menschen und ausgelöst durch ein unpopuläres Finanzgesetz. Die Eskalation war vorhersehbar. Was sich in Kenia abspielt, zeigt, was passiert, wenn die Schuldenkrise aus dem Ruder läuft.
Protestierende in Nairobi. picture-alliance/ZUMAPRESS.com/Kanyiri Wahito Protestierende in Nairobi.

Präsident William Ruto reagierte auf die Proteste mit drastischen Maßnahmen: Er zog das umstrittene Gesetz zurück und entließ fast sein ganzes Kabinett. Doch die Proteste dauern an, vor allem junge Menschen gehen auf die Straßen. Mehr als fünfzig Menschen sind bereits ums Leben gekommen, Hunderte wurden verletzt. Viele weitere sind laut Menschenrechtsorganisationen entführt worden.

Dass es so weit gekommen ist, sollte niemanden überraschen. Kenia war bereits hochverschuldet, als Ruto im August 2022 an die Macht kam. Die Auslandsschulden betrugen mit 62 Milliarden Dollar rund 67 Prozent des kenianischen Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Der frühere Präsident Uhuru Kenyatta hatte sowohl im Inland als auch bei kommerziellen Geldgebern, China, den USA, Saudi-Arabien, der Weltbank und dem IWF, hohe Kredite aufgenommen. Die Regierung finanzierte mit den Mitteln riesige Infrastrukturprojekte, darunter die Standard Gauge Railway (SGR) von Nairobi nach Mombasa und rund 11 000 Kilometer an befestigten Straßen.

Die Kredite waren mit hohen Zinsen verbunden. Anders als geplant, brachten die Infrastrukturprojekte nicht die erwarteten Einnahmen, um die Kredite zurückzuzahlen. Bereits 2021 vereinbarte Ex-Präsident Kenyatta deshalb mit dem IWF ein 38-monatiges Schuldenentlastungsprogramm, das an strikte Bedingungen geknüpft war: höhere Steuern, gekürzte Subventionen und reduzierte Staatsausgaben. Mehr als die Hälfte der Staatseinnahmen fließt derzeit in die Schuldentilgung.

Das geht zulasten von Entwicklungsprojekten, Bildungssystem und Gesundheitswesen. Erst im März streikte rund die Hälfte aller kenianischen Ärzt*innen und legte das Gesundheitssystem lahm. Auch Schulen öffneten wegen fehlender Mittel nach den Ferien verspätet. Und die vielerorts marode Infrastruktur konnte den starken Regenfällen der letzten Regenzeit nicht standhalten; hunderte Menschen starben bei Überschwemmungen.

Steuern streichen

Das Finanzgesetz, das das Fass zum Überlaufen brachte, bestimmt über die Haushaltsausgaben der Regierung und wird vor Beginn eines Finanzjahres dem Parlament vorgelegt. Für 2024/25 plante die kenianische Regierung, 2,7 Milliarden Dollar durch zusätzliche Steuern einzunehmen, um das Haushaltsdefizit zu verringern und neue Schulden zu vermeiden. Die Staatsverschuldung Kenias beträgt mittlerweile 68 Prozent des BIP.

Neue Steuern wurden auf Finanztransaktionen und Grundnahrungsmittel wie Brot, Pflanzenöl und Zucker erhoben. Eine neue Fahrzeugregistrierungssteuer von 2,5 Prozent des Fahrzeugwertes und eine „Ökoabgabe“ auf zuvor steuerbefreite Produkte wie Damenbinden und Windeln sorgten bei vielen Menschen für Empörung – viele Kenianer*innen leben seit Jahrzehnten in Armut.

Die Menschen gehen auch wegen der ausufernden Korruption und Verschwendung öffentlicher Gelder auf die Straßen. Bei ordnungsgemäßer Verwendung könnten diese Millionen die Staatsverschuldung erheblich verringern. Vielen führenden Politiker*innen wird vorgeworfen, einen opulenten Lebensstil im Internet zur Schau zu stellen, der auf einem fragwürdigen, innerhalb von zwei Jahren im Amt plötzlich erworbenen Vermögen beruht.

Viel Wut richtet sich auch gegen den IWF, denn die Demonstrierenden wissen, dass die Regierung im Wesentlichen die Bedingungen seines Notkredits erfüllt. Doch die Situation ist komplizierter als bei früheren afrikanischen Schuldenkrisen. Kenia schuldet auch chinesischen Institutionen und privaten Gläubigern riesige Summen.

Ruto am Scheideweg

Ruto steht nun am Scheideweg: Er sagt, nach der Ablehnung der umstrittenen Reform müsse seine Regierung weitere 7,6 Milliarden Dollar leihen, um den Staatshaushalt zu finanzieren. Dies würde das Land um zwei Jahre zurückwerfen.
Angesichts der Forderungen nach seinem Rücktritt macht Ruto nach Zugeständnissen an die jungen Menschen ein tapferes Gesicht. Er steht vor der schwierigen Aufgabe, ein völlig neues Kabinett zu ernennen. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in ihn ist jedoch schwer beschädigt.

Es ist unwahrscheinlich, dass Ruto zurücktreten wird. Die Protestierenden wollen weiter auf die Straße gehen.

Isaac Sagala ist Journalist und Radiotrainer. Er lebt in Nairobi.
bwanasagala@gmail.com