Vorbeugung
Frieden schaffen
Von Agnes R. M. Abuom
Ziel des nationalen Versöhnungsdialogs ist, nachhaltigen Frieden, Stabilität und Gerechtigkeit in Kenia zu erreichen sowie Rechtsstaatlichkeit und die Einhaltung der Menschenrechte zu sichern. Auslöser für die Gewalt im Dezember 2007 waren manipulierte Wahlen. Dahinter steckte aber langfristiger politischer, sozialer und ökonomischer Handlungsbedarf, wie etwa
– Reformen von Verfassung und Institutionen,
– Landverteilung,
– Jugendarbeitslosigkeit und
– regionale Ungleichheit.
Angesichts solch großer Herausforderungen heilen die Traumata nur langsam. Die Aufgabe ist enorm und kann nicht allein staatlichen Institutionen überlassen werden, insbesondere da Kenia sich bereits auf die nächsten landesweiten Wahlen im März vorbereitet. Die politische Lage heizt sich auf, denn manche Politiker machen mit ethnischen und sozialen Vorurteilen Stimmung. Das lenkt vom Reformprozess ab, so dass sich das Fenster für Wandel allmählich schließt.
Bei Fertigstellung dieses Artikels im August war noch nicht klar, ob das Parlament die mindestens zehn Gesetze, die zur Implementierung der neuen Verfassung nötig sind, tatsächlich verabschieden wird. Die Verfassung wurde vor zwei Jahren in einem landesweiten Referendum angenommen und soll politische Unruhen künftig vermeiden. Die neuen Gesetze wären wichtig, da sie historische Ungerechtigkeiten abbauen. Es geht unter anderem um politische Dezentralisierung, wobei die Verwaltungsbezirke zu Lasten des Zentralstaats mehr Mittel bekommen sollen. Regionale Ungleichheit war ein wichtiger Grund für die Unruhen vor fast fünf Jahren.
2008 wurde die staatliche Kommission für nationale Kohäsion und Integration (NCIC) geschaffen. Sie soll Chancengleichheit fördern und die Beziehungen zwischen den verschiedenen Stämmen und Ethnien verbessern. Ihre Arbeit wird von zivilgesellschaftlichen Organisationen (Civil Society Organisations, CSOs) und religiösen Organisationen (Faith Based Organisations, FBOs) unterstützt. Diese helfen auch der Kommission für Wahrheit, Gerechtigkeit und Versöhnung (TJRC), die ebenfalls 2008 als Teil des Dialog- und Versöhnungsprozesses ins Leben gerufen wurde (siehe Kasten).
Schwelende Wunden
Viele Verletzungen, die in der Wahlkrise entstanden, sind noch nicht wirklich vernarbt. Bis heute leben Binnenvertriebene in Lagern und ihre Rücksiedlung bleibt politisch ein heißes Eisen. Im öffentlichen Dienst sind Korruption und Stammesdenken weiter weit verbreitet. Manch einer fragt sich, ob die herrschende Schicht wirklich an der Einführung der neuen Ordnung interessiert ist.
In diesem Kontext sind religiöse Gemeinschaften, kirchliche Institutionen und andere zivilgesellschaftliche Organisationen wichtig. Christentum und Islam sind die beiden großen Religionen, die ethnische Grenzen überbrücken.
Die Kirche war von der Gewalt nach den Wahlen selbst betroffen und wurde sogar Angriffsziel. Kenianer werden wohl nie vergessen, wie in der Stadt Eldoret Menschen verbrannten, nachdem sie vor Gewalttätern in eine Kirche geflüchtet waren, die diese dann anzündeten.
Allerdings müssen die Kirchen der Tatsache ins Auge sehen, dass sie zwar Frieden und Toleranz predigen, die Wahlunruhen aber Spaltungen unter ihren Gläubigen weiter vertieft haben. Um solche Risse zu beheben, riefen FBOs wie die Evangelisch-Lutherische Kirche in Kenia (ELCK) Friedenstreffen ins Leben. Diese Foren bieten Raum dafür, zu erörtern, warum das Ansehen der Kirche so beschädigt wurde. Priester und andere führende Community-Mitglieder wurden ausgebildet, die Interessen der Öffentlichkeit zu thematisieren.
Reaktion auf Konflikte
Als die Gewalt ausbrach, übernahmen die kirchlichen Organisationen sofort eine positive Rolle. Sie organisierten drei Komitees.
– Das erste suchte das Gespräch mit den wichtigsten politischen Parteien, um die Gewalt zu stoppen.
– Das zweite hatte die seelische Unterstützung und Beratung Betroffener zur Aufgabe.
– Das dritte leistete humanitäre Hilfe.
Seither beteiligt sich die Zivilgesellschaft ständig weiter an den Friedensbemühungen.
Die neue Verfassung enthält das Prinzip, dass die Öffentlichkeit am Regierungsgeschäft – wie etwa Haushaltsfragen oder der Ernennung öffentlicher Amtsträger – beteiligt werden muss. Zivilgesellschaftliche Organisationen können jetzt Behörden vor Gericht ziehen, wenn diese dem öffentlichen Interesse zuwiderhandeln („Public Interest Litigation“).
Die Öffentlichkeit an sich kann aber nicht handeln. Um Einfluss zu nehmen, müssen sich die Menschen organisieren. Daher sind FBOs und CSOs die Hauptakteure der öffentlichen Beteiligung. Sie nutzen Bürgerversammlungen, Demonstrationen, Streiks und Medien, um die Bürger über wichtige Themen für die Nation zu informieren. Das hat dazu beigetragen, die Beziehungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen wieder zu verbessern. Es bleibt aber noch viel zu tun.
Insgesamt ist das zivilgesellschaftliche Engagement bemerkenswert. Unabhängige Organisationen üben Druck auf die Regierung aus, nötige Reformen umzusetzen. Sie setzen sich für die Einführung der Gesetze ein, die zur Durchsetzung der Verfassung nötig sind. Und sie ziehen staatliche Stellen bei Verzögerungen zur Verantwortung.
Hassreden bekämpfen
Tatsächlich ist den zivilgesellschaftlichen Organisationen die Öffnung des politischen Raums zu verdanken, die das Land für ein Leben in Freiheit braucht. Hassreden können bekanntlich Gewalt auslösen. Im Vorfeld des Verfassungsreferendums wurden einige Parlamentsmitglieder wegen einschlägiger Äußerungen vor Gericht verklagt. Es wurde zwar niemand verurteilt, aber die Botschaft, dass das Schüren von Hass nicht mehr akzeptiert wird, wurde sehr deutlich.
Seither alarmieren CSOs immer wieder die neue staatliche Kohäsionskommission, wenn sie das Gefühl haben, dass Politiker sich der Hassrede schuldig machen. Um die Kultur des Straflos-Davonkommens zu verändern, wenden sich Glaubensgemeinschaften und die Zivilgesellschaft zudem an die Medien. Sie fördern das Bewusstsein für die Notwendigkeit, Kapitel sechs der Verfassung durchzusetzen, das sich der Integrität politischer Führungspersönlichkeiten widmet.
Die kirchlichen Organisationen rufen im ganzen Land zu Toleranz auf. Gleichzeitig fordern sie Mechanismen, um sicherzustellen, dass die kommenden Wahlen frei, fair und glaubhaft sind. Die Unruhen 2007/2008 trafen die Nation unvorbereitet. Dieses Mal kennt Kenia die Risiken.
Leider spiegeln Wahlgewohnheiten in Kenia Stammeszugehörigkeiten wider. Vor den Wahlen im März orientieren sich die Bürger an den Anführern ihrer ethnischen Gruppen, und diese Leute sind dann versucht, über Konkurrenten und andere Gruppen Märchen und Gerüchte zu verbreiten und Angst zu schüren. Die Kirche und die CSOs tun aber ihr Bestes, um die Politik in friedliche Bahnen zu lenken. Sie schaffen das Bewusstsein dafür, dass Wahlkampagnen – und nationale Debatten generell – um Sachfragen, aber nicht um ethnische Identititäten kreisen sollten.
Die neue Wahlkommission – die Independent Electorial and Boundaries Commission (IEBC) – versucht, freie und faire Wahlen vorzubereiten. Allerdings ist diese Aufgabe viel komplexer geworden als in der Vergangenheit. Zuvor wählten die Bürger Kandidaten für drei verschiedene Regierungsebenen. Künftig sind es sechs. Auch die Fähigkeit der Wahlkommission, Abstimmungen in solcher Größenordnung durchzuführen, ist bisher unerprobt. Durch Wählerinformation und Friedensgespräche versuchen Geistliche und CSOs, ein gutes Umfeld für freie, faire und glaubhafte Wahlen zu schaffen.
Sachlich argumentieren
Unabhängige Organisationen wie das Centre for Multi-Party Democracy Kenya wollen in Kooperation mit anderen Initiativen sicherstellen, dass die Jugend – die den Hauptteil der Bürger ausmacht – umfassend an den kommenden Wahlen partizipiert. Unter dem Motto „Jugendbeteiligung in der Politik“ unterstützen sie in allen 47 kenianischen Verwaltungsbezirken die Einbindung und bedeutsame Beteiligung junger Menschen in politische Parteien und Prozesse, mit dem Ziel, die weitverbreiteten Ungleichheiten im politischen Sektor zu verändern. So sollen auch Ideale wie sachliche Argumentation, Toleranz gegenüber anderen Ansichten und rigorose Selbstbefragung von Bewerbern gefördert werden.
Das Integrations- und Kohäsionskomitee hat vier mögliche Auslöser für Gewalt identifiziert:
– die Arbeit der Wahrheitskommission (TJRC),
– die Prozesse gegen kenianische Spitzenpolitiker vor dem Internationalen Strafgerichtshof,
– die Dezentralisierung staatlicher Zuständigkeiten zugunsten der Regionen und
– die Probleme der Binnenflüchtlinge.
Durch die Unterstützung verschiedener zivilgesellschaftlicher Gruppen will die Kommission sicherstellen, dass der TJRC-Prozess und die Wiedereingliederung der Vertriebenen nicht alte Wunden wieder aufreißen und etwa Gewalt auslösen. Im Falle des Internationalen Strafgerichtshofs bleiben religiöse Führer und FBOs wachsam, um an ihren Orten die Einhaltung des Friedens zu sichern und auf Hassrhetorik sofort zu reagieren. Das Komitee kann sich auf die Unterstützung der CSOs verlassen, wenn es zu verhindern gilt, dass die dezentralisierte Regierungsmacht neue Formen des Ausschlusses legitimiert und neue Konflikte heraufbeschwört.
Kenia kann eine friedliche Demokratie werden. Die neue Verfassung ist ein guter Anfang und die Menschen haben einige Lektionen gelernt. Aber der Schwung, der die Reformen antreibt, darf nicht verlorengehen. Zivilgesellschaftliches Engagement wird dazu beitragen, dass er das nicht tut.