Justiz und Polizei reichen nicht

Die albanische Regierung geht gegen den Menschenhandel vor. Polizeiarbeit ist wichtig, ändert aber nichts an den Ursachen wie Armut und Chancenmangel. Albaniens Vizeinnenministerin Iva Zajmi erläutert, was getan werden muss.

[ Interview mit Iva Zajmi ]

Warum hat der Menschenhandel weltweit in den vergangenen zehn Jahren so stark zugenommen?
Menschenhandel ist Ende der 1980er Jahre als Folge des politischen Wandels in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion zu einem globalen Problem geworden. Es gibt keine singuläre Ursache. In den betroffenen Ländern spielen ökonomische, soziale und politische Faktoren eine Rolle. Außerdem müssen sowohl die Angebotsseite – die gehandelten Opfer – als auch die Nachfrager in den Blick genommen werden, inklusive der Schlepper, der gewalttätigen „Arbeitgeber“ und der Zuhälter. Menschen werden aus verschiedenen Gründen Opfer. Die Ursachen sind miteinander verknüpft und verstärken sich gegenseitig: Armut, fehlende Bildung, fehlendes Bewusstsein, Hoffnung auf eine bessere Zukunft im Westen. Und wir dürfen nicht vergessen, dass die Schlepper oft eine ähnliche Verzweiflung in dieses schreckliche Gewerbe treibt.

Im vergangenen Jahr veröffentlichte das United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) einen Bericht zum
Menschenhandel. Er führt Albanien in der Kategorie der Ursprungs- und Transitländer sehr weit oben.

Unsere offiziellen Zahlen für 2006 bestätigen das nur teilweise. Albanien ist kein Transitland mehr und auch kein Zielland. Es ist aber weiterhin ein Ursprungsland, und die Mehrheit der Opfer sind Frauen und Kinder. Sie werden noch immer häufig sexuell ausgebeutet. Es ist klar, dass wir die Erfassung und die Auswertung von Daten verbessern müssen. Wir haben das in die Wege geleitet. Alle relevanten Behörden in Albanien müssen jetzt monatlich Berichte abliefern. Kürzlich wurde eine offizielle Datenbank über Menschenhandelsopfer eingerichtet, die Informationen der Polizei, unserer Auslandskonsulate und sozialer Einrichtungen in den Zielländern sammelt. Diese Daten und ihre regelmäßige Aktualisierung werden ein verlässlicheres Bild von der Lage geben und gezielte Maßnahmen ermöglichen.

Was hat Ihre Regierung bisher unternommen?
Seit November 2005 gibt es das Büro des Nationalen Koordinators für den Kampf gegen Menschenhandel, das ich als stellvertretende Innenministerin leite. Eine kurz darauf im Innenministerium eingerichtete Arbeitsgruppe gegen Menschenhandel unterstützt das Büro. Unsere offizielle nationale Strategie verpflichtet nicht nur andere Ministerien zur Zusammenarbeit – etwa das Justiz-, Sozial-, Außen- oder Kultusministerium –, sondern stellt auch sicher, dass relevante nichtstaatliche Organisationen einbezogen werden.

Ist es wichtig, mit NROs zusammenzuarbeiten?
Sehr sogar. Unsere Strategie zielt darauf ab, die Schuldigen zu verfolgen, Verbrechen vorzubeugen und potenzielle Opfer zu schützen. NROs leisten dazu einen wesentlichen Beitrag. Die Regierung konzentriert sich auf die Untersuchung von Verbrechen und die Verfolgung der Täter, den Schutz von Zeugen und von potenziellen Opfern und die Reintegration von Opfern. Wir klären die Öffentlichkeit über Gefahren auf und verbessern die Chancen auf Bildung und Einkommen für gefährdete Gruppen. Die Bedingungen, die Menschenhandel begünstigen, müssen verändert werden.

Sie können kaum alles gleichzeitig tun.
Im vergangenen Jahr haben wir vor allem Anlaufstrukturen für Menschenhandelsopfer auf nationaler und lokaler Ebene geschaffen, um die illegale Migration über Albaniens Grenzen sowie den inneralbanischen Menschenhandel mit Kindern und Frauen besser zu kontrollieren, der sich zu einem wachsenden Problem entwickelt. Außerdem haben wir durch verstärkte Prävention und durch Bewusstseinsarbeit mit Mitarbeitern sozialer Einrichtungen die Identifizierung und den Schutz potenzieller Opfer verbessert. Wir haben im vergangenen Jahr große Fortschritte gemacht.

Bitte geben Sie Beispiele.
Im Oktober wurde eine landesweite gebührenfreie Telefon-Hotline eingerichtet. Dort können Fälle von Menschenschmuggel gemeldet werden. Die Regierung kann so Menschen im ganzen Land helfen. Im Juni wurden regionale Komitees gegen Menschenhandel eingerichtet. Sie setzen sich aus Mitarbeitern der Polizei, sozialer Einrichtungen, von Bildungs- und Gesundheitsinstitutionen, den Kommunalverwaltungen und anderen relevanten Akteuren zusammen. Die Komitees werden eine wichtige Rolle dabei spielen, gefährdete Gruppen zu erfassen. Im Mai verabschiedete das Parlament ein Abkommen mit Griechenland über den Schutz von Kindern und über Hilfe für minderjährige Menschenhandelsopfer. Ähnliche Vereinbarungen mit anderen Ländern sollen folgen; mit Italien laufen bereits Verhandlungen.

Welche handfesten Ergebnisse gibt es bisher?
Die Zahl der Festnahmen hat zugenommen. Lokale Akteure zeigen mehr Eigeninitiative. Alle Behörden sind sich jetzt des Problems bewusst und arbeiten eng zusammen. Das Strafgesetzbuch wurde um eine Klausel gegen Zwangsarbeit von Kindern erweitert. Begleitend wird es Hilfspakete für diese Kinder und ihre Familien geben: Aufklärung und Bildung, Jobmöglichkeiten und andere Unterstützung. Mein Büro hat außerdem einen weiteren Zusatz zum Strafrecht vorgeschlagen, der grenzüberschreitenden Menschenschmuggel zum Verbrechen erklärt. Der Ministerrat hat den Vorschlag gebilligt.

Welche Rolle spielt Training im Kampf gegen Menschenhandel?
Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben unseren Strafverfolgungsbehörden geholfen, ihre Arbeit besser zu erledigen. Im vergangenen Jahr haben wir Polizisten im ganzen Land darin geschult, minderjährigen Opfern, Zeugen und gefährdeten Personen rechtliche und psychologische Hilfe zu leisten. Und die enge Zusammenarbeit von Richtern mit der Polizei hat die Ermittlungsarbeit verbessert.

Was ist weiter geplant?
Wir dürfen uns nicht auf eine schärfere Strafverfolgung beschränken. Wir müssen präventiv tätig werden, um das Phänomen an der Wurzel zu packen. Darum haben wir gemeinsam mit dem Ministerium für Tourismus eine Aufklärungskampagne gestartet, damit Touristikunternehmen die Ausbeutung von Frauen und Kindern in ihren Einrichtungen verbieten. Wir werden außerdem mit Nachbarländern sowie mit Zielländern wie Deutschland und Britannien enger kooperieren.

In den reichen Ländern geben viele den Transitländern die Schuld für Menschenhandel. Aber Westeuropa ist eine der Hauptzielregionen. Welche Verantwortung tragen die Regierungen dort?
Es wurde schon viel getan. Entscheidend sind gute Kommunikation und Koordination zwischen den Behörden verschiedener Länder. Westliche Regierungen müssen in Kontakt bleiben mit den Regierungen der Herkunftsländer. Polizei und Staatsanwaltschaft müssen grenzüberschreitend zusammenarbeiten. Zudem wären gemeinsame Aufklärungskam-
pagnen sinnvoll, um das Bewusstsein von Bürgern und Immigranten zu fördern und über das Schicksal von illegalen Einwanderern und von Menschenhandelsopfern, die sexuell ausgebeutet oder zur Arbeit gezwungen werden, zu informieren. Es ist sehr wichtig, dass westliche Regierungen uns in unseren Bemühungen unterstützen. Wir brauchen eine Partnerschaft, die auf dem gemeinsamen Interesse basiert, Menschenhandel zu stoppen.

Sie sind als Befürworterin der europäischen Integration bekannt. Albanien will EU-Mitglied werden und hat kürzlich ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen unterzeichnet. In welchem Zusammenhang steht das mit Fragen des Menschenhandels?
Unsere EU-Assoziierung erfordert eine Vielzahl von tiefgehenden Reformen, um die ökonomischen und sozialen Bedingungen in unserem Land grundlegend zu verbessern. Das betrifft auch unseren Kampf gegen Menschenhandel. Wie erwähnt spielen ökonomische, soziale und politische Faktoren auf nationaler, internationaler und globaler Ebene eine wichtige Rolle. Wenn der Lebensstandard wächst, geht der Menschenhandel zurück. Die Assoziierung mit der EU eröffnet zudem Möglichkeiten für reguläre Migration, während gleichzeitig Wanderungsbewegungen besser kontrolliert werden können.

Sie haben an einem InWEnt-Trainingsprogramm teilgenommen. Inwieweit hat das Ihre Karriere beeinflusst?
Es half mir, mein Verständnis der europäischen Integration zu erweitern. Für meine derzeitige Aufgabe ist die europäische Integration ein wichtiger Faktor. Sie beeinflusst, wohin unsere Reformen führen sollen. Wir wollen zu Stabilität und dauerhafter politischer, wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung in unserem Land und unserer Region beitragen.

Wo sehen Sie Albanien und das Thema Menschenhandel in zehn Jahren?
Je mehr es Albanien gelingt, Stabilität zu erreichen und Verbrechen zu bekämpfen, desto enger werden die Verbindungen mit unseren Nachbarländern und der EU. Die Wirtschaft wird wachsen und Albanien wird sich zu einem anerkannten Partner der EU und der internationalen Gemeinschaft entwickeln. In zehn Jahren wird es ohne Zweifel mehr Möglichkeiten für legale Migration geben. Im Kampf gegen Menschenhandel ist ein multidisziplinärer Ansatz notwendig, wenn wir die Ursachen und nicht nur die Symptome bekämpfen wollen. Allein mit Strafverfolgung ist es nicht getan; wir brauchen ökonomischen und sozialen Fortschritt. Und das wollen wir in dieser Zeitspanne erreichen.

Die Fragen stellte Klaus Althoff (InWEnt).

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