Kommentar

Wahl gewonnen, Legitimität angekratzt

In Liberia wurde Präsidentin Johnson-Sirleaf im Amt bestätigt. Doch es besteht eine Kluft zwischen den Glückwünschen der internationalen Gemeinschaft und dem, was die eigenen Landsleute über sie denken.

Von Samwar Fallah

In der Stichwahl zum Präsidentenamt erhielt Ellen Johnson-Sirleaf 90,7 Prozent der Stimmen. 9,3 Prozent der Wähler entschieden sich bei einer Wahlbeteiligung von nur 38,6  Prozent für Winston Tubman vom Congress for Democratic Change (CDC), obwohl dieser seine Kandidatur zurückgezogen und zum Boykott der Wahlen aufgerufen hatte. Die erste Runde im Oktober hatte die Amtsinhaberin mit 43,7 Prozent gewonnen, gefolgt von Tubman mit 32,7 Prozent und Prince Johnson, einem ehemaligen Warlord, der 11,6 Prozent der Stimmen erreichte.

Offiziellen Beobachtern der Economic Community of West African States (Ecowas) zufolge waren die Wahlen vom 8. November „frei, fair und transparent“. Doch Tubman verlangt, die Ergebnisse zu annullieren.

Schon nach dem ersten Wahlgang beklagte die Opposition mehrere Unregelmäßigkeiten, darunter die Abgabe von Mehrfachstimmen und die Manipulation des Wählerverzeichnisses. Der CDC bezichtigte die Nationale Wahlkommission der Parteinahme. Er forderte ihre komplette Neubesetzung und drohte mit Boykott der Stichwahl. Außerdem verlangte die Partei Änderungen des Wahlgesetzes und der Verfassung. Als darauf nicht eingegangen wurde, machte der CDC die Drohung wahr und rief seine Anhänger zum Boykott der Wahlen auf. Die Ecowas-Mission missbilligte das: Die Aufstellung derartiger Bedingungen verstieße gegen die Ecowas-Prinzipien von Demokratie und Good Governance.

In dieser gereizten Stimmung stießen am Vorabend der Wahlen Sicherheitskräfte und Oppositionsanhänger aufeinander. Die Situation eskalierte; angeblich kamen drei Oppositionelle ums Leben. Die hohe Polizeigewalt und die Tatsache, dass die Regierung einige Medienbüros schloss, untergrub nach Meinung des US-amerikanischen Carter Centers das Vertrauen in die Regierung und erzeugte ein „Klima der Angst“ in der Hauptstadt.

Mittlerweile hat Präsidentin Johnson-Sirleaf eine unabhängige Kommission eingesetzt, die die Vorfälle untersuchen soll. In einer Ansprache an die Nation drückte sie ihr „tiefstes Beileid“ für die Betroffenen aus. Sie versprach: „Jeder, der das Gesetz gebrochen hat, wird vor Gericht gestellt.“

Doch nicht nur die aktuellen Ereignisse schaden dem Ansehen der Präsidentin – auch die Vergangenheit holt sie ein. Liberias Truth and Reconciliation Commission (TRC), die die Ursachen des Bürgerkrieges aufarbeitet, zählt Johnson-Sirleaf zu jenen Personen, die wegen ihrer Beteiligung im Bürgerkrieg 30 Jahre lang keine öffentlichen Ämter mehr besetzen sollten. Zu Beginn des Krieges 1989 soll sie Warlord Charles Taylor unterstützt und öffentlich dazu gedrängt haben, den Regierungssitz des damaligen Staatsoberhaupts Samuel Doe zu zerstören. Vor der TRC gab sie zu, 10 000 Dollar für „humanitäre ­Zwecke“ in von Taylor kontrollierte Gebiete gegeben zu haben. Viele Liberianer finden diese Begründung lächerlich – sie werde kaum geglaubt haben, dass die Rebellen das Geld für solche Zwecke gebrauchen würden.

Johnson-Sirleafs Bild bekam auch ­Risse, als sie nach dem ersten Wahlgang um die Unterstützung von Oppositionskandidaten warb und ausgerechnet von Prince Johnson Zuspruch erhielt. Der TRC beschuldigt ihn, einer der Hauptverantwortlichen für schreckliche Verbrechen in der Bürgerkriegszeit zu sein. Für ihn ist Johnson-Sirleaf das kleinere Übel – bei einem Wahlsieg Tubmans hätte er ein Justizverfahren fürchten müssen.

Während der Wahlkampagne wurde Johnson-Sirleaf der Friedensnobelpreis zugesprochen. Diese Nachricht half ihr sicherlich. Oppositionspolitiker warfen dem Norwegischen Nobelpreiskomitee Einmischung in innere Angelegenheiten vor. Tubman schimpfte, die Ernennung sei eine „provokative Intervention“ und seine Opponentin ein Kriegstreiber und kein Friedensstifter.

Johnson-Sirleaf kann sicherlich nach wie vor auf die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft zählen. Doch ihr beeindruckender Sieg ist weniger triumphal, als es scheint. Ihr hoher Stimmen­anteil zeigt in Wirklichkeit die große ­Unterstützung der Liberianer für die Opposition, deren Anhänger dem Boykott­aufruf offensichtlich größtenteils nachgekommen sind.

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