Recht und Gesellschaft
Internationales Handelsrecht begrenzt Politik-Spielraum
Die Globalisierung ändert die Funktionsweise von Staaten. Besonders die Handelspolitik wird zunehmend Gegenstand grenzüberschreitender Regeln, die der Jurisdiktion internationaler Tribunale unterliegen.
Laut Globalisierungsskeptikern profitieren vor allem die fortgeschrittenen Nationen vom internationalen Handelsregime. Es gibt jedoch Beispiele dafür, dass sich die Regierungen reicher Länder in der Welthandelsorganisation (WTO) nicht immer in Handelsstreitigkeiten durchsetzen können. Brasilien etwa hat schon häufiger seine Anliegen durchgesetzt. Die USA wiederum haben einige WTO-Prozesse verloren.
Nitsan Chorev von der Brown University findet, dass das globale Handelsregime heute effizient Regeln durchzusetzen vermag. Allerdings ist es ihrer Ansicht nach nicht ausgewogen. Das Regime diene vor allem privaten Unternehmen, die ausländische Märkte erobern wollen. Ob sie aus reichen oder armen Ländern kommen, mache kaum einen Unterschied – solange ihre Regierungen in der Lage seien, ihre Interessen in der WTO zu vertreten.
Das globale Handelsregime wird jedoch nicht ausschließlich von der WTO bestimmt. Sogar Streitigkeiten über die Rechte von Investoren – die nicht von der WTO geregelt werden – können gerichtliche Dimensionen annehmen; etwa 900 bilaterale Übereinkünfte sehen entsprechende Regelungen vor. Das International Center for the Settlement of Investment Disputes (ICSID) in Washington bearbeitet Konflikte zwischen Ländern, die solche Übereinkünfte unterzeichnet haben, und ausländischen Privatinvestoren.
Laut David Schneiderman von der Universität Toronto behindert dieses Arrangement erheblich die Verwaltungen armer Länder. Das Beispiel Cochabamba zeige das: Die Einwohner dieser bolivianischen Stadt rebellierten vor einigen Jahren gegen die Privatisierung des örtlichen Wasserwerks, nachdem es zu drastischen Preissteigerungen gekommen war. Das Vorhaben scheiterte sowohl praktisch als auch politisch.
Doch obwohl die Behörden im Vertrag festgehalten hatten, dass nur bolivianisches Recht gelten sollte, fand sich die Regierung schon bald in einem Rechtsstreit vor dem ICSID wieder. Der private Investor – ein Konsortium unter Leitung des multinationalen Konzerns Bechtel aus San Francisco – hatte einfach sein Hauptquartier von einer Steueroase in ein Land verlegt, das einen Investitionsvertrag mit Bolivien hatte. Vor dem ICSID behielt das Unternehmen die Oberhand. Bechtel verzichtete auf seine Ansprüche in Millionenhöhe letztlich nur auf Druck einer Kampagne der internationalen Zivilgesellschaft. Doch in den meisten Fällen können internationale Kampagnen solches Politikversagen wahrscheinlich nicht korrigieren, befürchtet Schneiderman.
Cesar Rodriguez-Garavito von der University of the Andes referierte auf der Konferenz „Recht und Gesellschaft im 21. Jahrhundert“ Ende Juli in Berlin über die Arbeitsbedingungen in mittelamerikanischen Hinterhofbetrieben, so genannten sweat shops. Menschenrechte böten eine Grundlage für gemeinsame Kampagnen und Netzwerke von nichtstaatlichen Organisationen und Gewerkschaften aus verschiedenen Ländern. Allerdings sei diese Grundlage nicht sehr stabil. Denn, so Rodriguez-Garavito, die Grundrechte in nationalen Verfassungen beziehen sich in der Regel nicht direkt auf Arbeitsbedingungen, während das Handelsrecht nationale Grenzen überschreitet. Zudem seien sich Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen häufig nicht einig über Ziele und Strategien; das Gleiche gelte für Organisationen aus armen und reichen Ländern.
Aus ostasiatischer Perspektive sieht die Globalisierung freundlicher aus. Laut Ji Weidong von der Universität Kobe interessiert sich die chinesische Regierung zunehmend für die Durchsetzung von Recht und Gesetz. Bislang schwankte ihr Ansatz zur Marktregulation zwischen Laissez faire im Allgemeinen und dirigistischen Eingriffen in besonderen Fällen. Ein verlässlicheres rechtliches Umfeld würde nicht nur der Wirtschaft Vorteile bringen. Ji Weidong betont, die Volksrepublik sei auf dem Weg zu funktionaler Differenzierung, die gesellschaftlichen Bereichen wie der Wissenschaft oder dem Rechtssystem mehr Autonomie gewähre.
Die Konferenz an der Humboldt-Universität Berlin wurde von der US-amerikanischen Law and Society Association und dem internationalen Research Committee on the Sociology of Law veranstaltet und von weiteren Institutionen aus Deutschland, Britannien und Japan unterstützt. Boaventura de Sousa Santos von der Universität Coimbra würdigte die Tatsache, dass die Globalisierung eine Veranstaltung mit 2500 Wissenschaftlern aus 70 Ländern möglich mache. Er wies aber auch darauf hin, dass zwei Podiumsgäste aus Angola und Kolumbien, die über soziale Bewegungen sprechen sollten, nicht nach Berlin reisen konnten. Sie hatten keine Visa bekommen. (dem)