Bürgerkrieg

Kriegskinder ernähren ihre Geschwister

Kinder leiden unter dem Bürgerkrieg im Südsudan besonders stark. Viele von ihnen hat die seit vier Jahren anhaltende Gewalt zu Waisen gemacht. Oft müssen Minderjährige die Rolle der Eltern übernehmen und jüngere Geschwister versorgen.
UN-Lager in Juba 2015. Sinikka Tarvainen/picture-alliance/dpa UN-Lager in Juba 2015.

Morgens um 6 Uhr steht Kamisa Nyagoa auf, weckt ihre vier jüngeren Geschwister, hilft ihnen beim Waschen und Anziehen und macht Frühstück. Wenn sie die Kleinen zur Schule geschickt hat, sucht Nyagoa Arbeit, um die Familie zu finanzieren. Zu versorgen. Sie ist ein Teenager aus Bentiu, einer Stadt im Norden des Südsudan, und musste in die Erzieherrolle schlüpfen, als ihre Mutter 2016 starb.

„Für meine Mutter hatten wir immer oberste Priorität“, erzählt Nyagoa. „Sie wollte, dass ich mich um die Kleinen kümmere, sollte ihr etwas zustoßen. Es ist mein Versprechen und ein Geschenk für meine Mutter.“

Nyagoa ist selbst erst 13 Jahre alt. Am schwersten, sagt sie, sei es, mit der Trauer fertig zu werden – mit ihrer eigenen und der ihrer Geschwister. Früh verwaist ist Nyagoa entschlossen, alles dafür zu tun, dass die Rumpffamilie intakt bleibt. „Ich muss stark bleiben für meine Geschwister und im Namen meiner Familie.“

Lebensumstände wie ihre sind im Südsudan inzwischen allzu normal. Viele Kinder und Jugendliche übernehmen die Verantwortung für jüngere Geschwister, weil der Krieg sie zu Waisen gemacht hat und Verwandte sie im Stich ließen (siehe Hintergrund-Kasten).


Kinder als Ernährer

Der 15-jährige Jima Deng verlor beide Eltern bereits bei Ausbruch des Krieges vor vier Jahren. Er versorgt seine drei Geschwister. Die Kinder waren zunächst zu einem Onkel mütterlicherseits nach Bor im Bundesstaat Jonglei gezogen, wo sie zur Schule gingen. Aber Dengs Onkel war sehr arm und nicht in der Lage, die vier Kinder zu ernähren. Er schickte sie fort. „Seit ich meine Eltern verloren habe, hat kein Verwandter uns mehr unterstützt“, sagt Deng. „Mein Onkel hat sich von uns abgewandt, obwohl er etwas anders versprochen hatte.“

Besonders hart ist es, wenn Deng krank ist und kein Geld verdienen kann. Zurzeit arbeitet er als Kellner in Konyokonyo, dem belebtesten Markt in der Hauptstadt Juba. Die Geschwister leben dort in einer zeltartigen Hütte aus Pfählen und Plastiktüten in Mahad, einem der Flüchtlingscamps. Hier fühlt sich Deng sicherer als draußen, und „außerdem können meine Geschwister hier zu Schule gehen“. Deng hofft auf eine bessere Zukunft.

Nyon Manyok ist 17 Jahre alt und weniger optimistisch. Sie muss für fünf jüngere Brüder und Schwestern sorgen. „Die Last auf meinen Schultern ist zu groß“, sagt sie. „Das Leben ist unfair.“ In Juba bewohnen die sechs Waisen eine Lehmhütte mit nur einem Zimmer. Die Monatsmiete beträgt 2000 südsudanesische Pfund (umgerechnet etwa zehn Dollar). Früher lebte die Familie in Yei, im Süden. Doch als der Krieg in der Region wütete, wurden beide Eltern getötet und das Haus niedergebrannt. Als die Kämpfe zwischen Rebellen und Regierungstruppen 2016 wieder aufflammten, floh Nyon mit ihren Geschwistern in die Hauptstadt.

Manyok brach die Schule ab. „Ich sehe keine Zukunft. Meine Geschwister brauchen mich. Die Verantwortung für sie erlaubt mir nicht, irgendetwas zu tun, um mein Leben zu verbessern“, sagt Manyok. Statt zur Schule zu gehen und etwas zu lernen, muss sie nach Gelegenheitsjobs Ausschau halten, um die Familie zu ernähren. Manyok lebt in einer extrem prekären Situation. Wie viele andere trägt sie eine Verantwortung, die weit über dem liegt, was einer Minderjährigen zugemutet werden kann.

Viele Waisen sind auf die Hilfe von Kirchen oder internationalen Organisationen angewiesen. Sunday Lam Ojuk ist 13 Jahre alt. Er erzählt, dass seine Mutter von Bewaffneten zu Tode gefoltert wurde. Lam und seine beiden 10 und sieben Jahre alten Brüder blieben allein zurück. Lam ist jetzt deren einziger Beschützer. „Es war außer mir niemand da, um sich um sie zu kümmern“, sagt der Dreizehnjährige. „Hätte ich nicht die Aufgabe meiner Eltern übernommen, hätte niemand das getan.“

Wie tausende Binnenflüchtlinge (internally displaced persons – IDPs) lebt Lam mit seinen Brüdern in einem sogenannten Protection of Civilians (PoC) Camp der UN in Juba. Dort bekommen sie Essens­rationen. Es gibt sauberes Wasser und psychologische Unterstützung.

Dennoch ist nicht alles in Ordnung. „Die UN verteilt Lebensmittel“, sagt Lam, „aber es reicht nie.“ Die Stimmung im Lager macht ihm auch zu schaffen. „Die meisten Leute hier haben keine Hoffnung auf ein besseres Leben“, sagt er. „Wir haben genug vom Krieg. Viele von uns hier gehen nicht zur Schule.“ Lam macht sich Sorgen, was aus seinen Brüdern werden soll, „wenn wir länger im Camp bleiben“. Trotz seiner deprimierenden Situation hofft Lam, selbst einmal Arzt zu werden. „Wenn die Umstände es erlauben, werde ich studieren.“ Lams Heimatort liegt 60 Meilen südlich von Juba. Dorthin will er mit seinen Geschwistern zurückkehren, sobald wieder sicherer Frieden herrscht: „Ohne Frieden können wir nicht nach Hause.“


Parach Mach ist Journalist und lebt in Juba, der Hauptstadt des Südsudan.
 

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