Ökostrom
Zu langsam
Covid-19 war im März und April das beherrschende Thema. Aber schon davor lief es nicht rund. Einer der vielversprechendsten Hersteller von Solarprodukten im Land schnappte schon nach Luft. Das Management klagte über „Konjunkturabschwung, inkonsistente Politik, ungünstige Handelsbeschränkungen und eine Liquiditätskrise“.
Tatsächlich scheinen die Transformationsziele in weiter Ferne. Das Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA) aus den USA spricht von „nichtlinearem“ Fortschritt mit „zwei Schritten voran und einem zurück“.
Ein berechenbares Investitionsklima wäre aber nötig, um nachhaltige Infrastruktur zu schaffen, die menschliche Gesundheit schützt, ökologisch verträglich ist und das Wachstum antreibt. Denn Anleger wollen Risiken kalkulieren.
Kohle ist bislang der wichtigste Energieträger in Indien. 60 Prozent der Stromerzeugung beruhen darauf, und auf andere fossile Brennstoffe entfallen weitere 20 Prozent. Richtig ist aber auch, dass der Energieverbrauch in Indien recht gering ist. Pro Kopf entstehen etwa 80 Prozent weniger CO2-Emissionen als in Deutschland.
Solarstrom sollte eigentlich den Weg zu sauberer Selbstversorgung bahnen. Bis 2022 wurde eine Erzeugungskapazität von 100 Gigawatt (GW) versprochen, wofür Investitionen im Wert von 100 Milliarden Dollar nötig gewesen wären. So viel Geld ist aber nicht geflossen, und die aktuelle Solarkapazität beträgt nur 32 GW. Eine Verdreifachung in zwei Jahren ist kaum zu schaffen.
Selbstverständlich ist das Solarpotenzial in Indien riesig. Es ist aber leichter, große Versprechen zu machen, als sie zu halten. Es gibt ernsthafte administrative und finanzielle Probleme. Neue Zölle, die auf chinesische Solarpanele erhoben werden, haben den Wandel gebremst, aber die heimische Industrie nicht wirksam geschützt. Die Einführung der neuen Mehrwertsteuer hat sich ebenfalls störend ausgewirkt. Sie hat sechs verschiedene Sätze, die für unterschiedliche Sektoren gelten, von denen mehrere für erneuerbare Energie relevant sind. Schwierigkeiten machen auch der Patentschutz und der Zugang zu Technologie.
Diverse Verzögerungen haben nun zu einer Abwärtsspirale geführt. IEEFA-Experte Tim Buckley sagt, die Ziele für 2022 seien nicht mehr in Reichweite. Neben 100 GW Solarkapazität gehörten dazu auch 60 GW Windkraft, zehn GW auf Basis von Biomasse und fünf GW Wasserkraft aus Kleinanlagen.
Für das Finanzjahr 2029/30 sind für das landesweite Versorgungsnetz 450 GW erneuerbare Stromerzeugung geplant. Das wäre grundsätzlich zu schaffen. Allein für Windkraft in 100 Metern Höhe schätzen die Experten das Potenzial auf 300 GW. Ende letzten Jahres waren davon nicht einmal 37 GW verfügbar.
Das IEEFA beanstandet, dass Prodzenten, die erneuerbaren Strom in das Netz eingespeisen, nur 2,43 Rupien pro Kilowattstunde bekommt – ein Viertel bis ein Drittel weniger, als die Erzeuger von Kohlestrom einstreichen. Der finanzielle Anreiz stimmt nicht, auch wenn billiger Ökostrom im Stromversorgungssystem sicherlich willkommen ist.
Energiespeicherung ist ein weiteres Problem. Die Sonne scheint nicht immer. Manchmal herrscht Windstille. Ohne Speicherkapazitäten kann die Versorgung der Nation nicht mit Erneuerbaren geleistet werden. Es gibt neue Lösungsmöglichkeiten und die Kosten sinken. Nötig wären jetzt ambitionierte politische Vorgaben. Stattdessen erleben wir Zögern bis hin zur Lethargie. Selbst der Energieausschuss des nationalen Parlaments hat Sorgen wegen der langsamen Umsetzung geäußert. Covid-19 dürfte zusätzlich bremsen.
Indien darf den Wandel aber nicht vermasseln. In Kaufkraft gemessen hat das Land die größte Volkswirtschaft der Welt und die Bevölkerung wird bald 1,4 Milliarden erreichen. Laut dem BP Energy Outlook 2018 wird Indien bis zum Ende dieses Jahrzehnts China als größten Wachstumsmarkt für Energie überholen. Indien braucht Energie, und die Lösungen müssen nachhaltig sein.
Aditi Roy Ghatak ist eine Wirtschaftsjournalistin aus Kalkutta.
aroyghatak1956@gmail.com