Notfallmaßnahmen
Kommunikation in humanitären Krisen
Krieg, Naturkatastrophen, Vertreibung oder Verfolgung – es gibt viele Gründe, warum Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen. Die meisten verlieren all ihre Habe und sind plötzlich auf Hilfe angewiesen. Nahrung und Unterkunft sind überlebenswichtig, aber Menschen brauchen mehr als das. Sie benötigen zeitnahe, relevante und verlässliche Informationen, um die angebotene Hilfe zu finden. Darüber hinaus müssen sie ihre Bedürfnisse und Wünsche äußern können. Wenn sie nicht befähigt werden, zur Lösung humanitärer Notlagen beizutragen, werden diese Probleme weiter gären.
Hilfsorganisationen haben Strategien, um damit umzugehen. „Communication and community engagement“ (CCE) wird zunehmend als ein notwendiges und zentrales Element jeglicher humanitärer Interventionen betrachtet. Erzwungene Migration ist oft eng mit humanitären Krisen verbunden. Beide Szenarien brauchen CCE; es ist ebenso wichtig wie die Bereitstellung von Nahrung, Kleidung und Medizin, vor allem, weil es den Zugang zu all diesen Dingen möglich macht. Das Feedback der notleidenden Menschen hilft wiederum den Hilfsorganisationen, effektiver zu arbeiten.
Das internationale Netzwerk „Communicating with disaster affected communities“ (CDAC) verbindet mehr als 30 Organisationen aus den Bereichen Nothilfe, Medienentwicklung, soziale Innovation, Technik und Telekommunikation. Es zielt darauf ab, „durch Kommunikation, Informationsaustausch und Community Engagement Leben zu retten und Hilfe effektiver zu machen“. CDAC fördert das CCE-Konzept. Zu seinen Mitgliedern gehören das Internationale Rote Kreuz (ICRC), das UN-Kinderhilfswerk (UNICEF), aber auch BBC Media Action und die DW Akademie.
Die richtige Sprache wählen
Es gibt viele Aspekte der Kommunikation. Einer wird oft übersehen: Sprache. Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen, landen oft an Orten, wo sie die lokale Sprache nicht beherrschen. Sie können weder mit ihren neuen Nachbarn noch mit Hilfsorganisationen kommunizieren. In diesen Fällen kann Translators without Borders (TWB – Übersetzer ohne Grenzen) helfen, eine Non-Profit-Organisation, die weltweit Sprach- und Übersetzungsdienste für Hilfswerke und zivilgesellschaftliche Organisationen anbietet. „Sprachbarrieren erschweren lebenswichtige humanitäre Interventionen“, sagt TWB-Beraterin Mia Marzotto.
Ein Beispiel, bei dem TWB erfolgreich eingriff, war die Rohingya-Krise. 2017 flohen hunderttausende Angehörige dieser ethnischen Minderheit aus ihrem Heimatland Myanmar über die Grenze nach Bangladesch. Die Rohingya-Sprache ist eng verwandt mit Bengali, aber die Annahme, dass die Geflüchteten den Dialekt der Region Chittagong verstehen könnten, wohin sie geflohen waren, erwies sich als falsch. Die meisten verstanden nicht einmal einfache Sätze auf Chittagonisch. An dieser Stelle kam TWB ins Spiel. „Informationen in der falschen Sprache sind nutzlos“, erklärt Marzotto.
Jegliche Information für Geflüchtete muss in ihren Sprachen erfolgen. „Handbook Germany“ ist ein preisgekröntes Projekt, das eine mehrsprachige Website betreibt. Sie nutzt Englisch, Arabisch, Persisch, Deutsch, Türkisch, Französisch und Paschtu und bietet den Neuankömmlingen alles an, was sie über ihr Gastland wissen müssen. Darunter sind beispielsweise Informationen über Recht und Gesetz, Bildung, Gesundheit und Versicherung. Alle Erstaufnahmeeinrichtungen in Deutschland nutzen „Handbook Germany“.
Die iranische Journalistin Mahdis Amiri lebt in Berlin und arbeitet bei „Handbook Germany“. „Wir wollen eng mit unserer Zielgruppe – kürzlich angekommene Geflüchtete – zusammenarbeiten“, sagt sie. Die Website ist der Nutzung auf Smartphone und per Social Media angepasst. „Wir nutzen auch Videos, um leicht zugängliche Informationen zu schaffen“, erklärt Amiri.
In Katastrophenfällen sind sowohl Hilfswerke als auch Medienorganisationen im Einsatz, aber sie tauschen sich selten über Möglichkeiten der Zusammenarbeit aus. Um das zu ändern, lud die DW Akademie kürzlich zu einer internationalen Konferenz in Bonn ein. Teilnehmende aus 24 Ländern diskutierten unter dem Motto: „Beyond the crisis: communication, engagement and accountability in forced migration settings.“
Exil und internationale Bemühungen
Shakila Ebrahimkhil ist eine bekannte afghanische Journalistin im Exil. Bei der Konferenz betonte sie, dass die Perspektive der Geflüchteten sehr wichtig sei. „Ich wollte nie mein Land verlassen“, sagt Ebrahimkhil. 2016 wurden jedoch bei einem Angriff der Taliban sieben ihrer Kollegen getötet und 25 verletzt. Ebrahimkhil wurde mit dem Tode bedroht und musste Afghanistan verlassen. Mit ihren drei Kindern machte sie sich auf den gefährlichen Weg nach Europa. Sie wusste von Fliehenden, die ertrunken waren, aber sie sagt: „Ich musste diese Gefahren akzeptieren, weil ich keine Wahl hatte.“ In Ungarn wurden ihre Kinder und sie von der Grenzpolizei verhaftet. Als diese ihren beiden minderjährigen Kindern Handschellen anlegten, flehte Ebrahimkhil sie an: „Migration ist kein Verbrechen!“
Menschen, die wie Ebrahimkhil lesen und schreiben können, sind sich bewusst, wie riskant eine Flucht ist. Sie haben Zugang zu Informationen, beispielsweise durch soziale Medien. Analphabeten haben diese Möglichkeit nicht. Ebrahimkhil glaubt jedoch, dass die Menschen auch mit verlässlichen Informationen weiterhin fliehen würden, weil die einzige Alternative der Krieg wäre, dem sie verzweifelt zu entkommen versuchen. Mehr als 6 Millionen Afghanen seien vertrieben worden.
Sobald Flüchtlinge ein anderes Land erreichen, brauchen sie dringend Informationen über ihr neues Zuhause und wo sie Hilfe bekommen können. Es kann jedoch Jahre dauern, bevor gut funktionierende Kommunikationskanäle für sie aufgebaut sind. Dies trifft selbst für das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zu, meint Jerome Serengi, der für UNHCR im Libanon arbeitet. Serengi hat ein Kommunikationsnetzwerk zwischen seinem Hilfswerk und syrischen Geflüchteten im Libanon aufgebaut. Es ist ein großer Vorteil, dass alle Beteiligten die gleiche Sprache sprechen: Arabisch. Viele Menschen wechseln aber den Ort, und es kommen permanent neue Flüchtlinge an, „deswegen ist es nicht leicht, sicherzustellen, dass alle Menschen alle wichtigen Informationen bekommen“, erklärt Serengi. Er ist jedoch stolz darauf, dass der Kommunikationskanal im Libanon dezentralisiert und wechselseitig ist. „Wir wollen auch wissen, was die Geflüchteten benötigen“, sagt er.
Internationale Organisationen wie UNHCR spielen eine zentrale Rolle bei der Umsetzung internationaler Vereinbarungen wie des „Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration“ (GCM). Diese Vereinbarung von 2016 erfasst alle Dimensionen der internationalen Migration in einer ganzheitlichen und übergreifenden Art und Weise. Sie soll:
- internationale Zusammenarbeit bei der Lenkung von internationaler Migration unterstützen,
- ein umfassendes Angebot von Optionen für Staaten bieten, so dass sie Lösungsstrategien für die dringendsten Probleme auswählen können und
- Staaten den Raum und die Flexibilität gewähren, Strategien entsprechend ihrer Möglichkeiten umzusetzen.
Die Teilnehmenden der Bonner Konferenz waren sich einig, dass gute Kommunikation und Community Engagement ausschlaggebende Komponenten des Migrations-Managements sind. Diese Themen müssen intensiver bearbeitet werden, mit einem besonderen Fokus darauf, Migranten und Geflüchtete in die Analyse und Lösungssuche einzubinden. Laut Marian Casey-Maslen, Geschäftsführerin des CDAC-Netzwerkes, „müssen wir die Rolle von Medienentwicklung im Kontext erzwungener Migration stärken“. Ihrer Ansicht nach muss die internationale Gemeinschaft von dem erhöhten Vernetzungsgrad des digitalen Zeitalters profitieren.
Links
Communicating with disaster affected communities (CDAC):
http://www.cdacnetwork.org/
Global Compact on Migration:
https://www.iom.int/global-compact-migration
Translators without Borders:
https://translatorswithoutborders.org/
Handbook Germany:
https://handbookgermany.de/en.html