Grundrechte
Probleme nach dem Arabischen Frühling
Zwei Jahre nach den revolutionären Aufständen in mehreren arabischen Ländern ist die anfängliche Euphorie verflogen, resümiert Kenneth Roth, Direktor der zivilgesellschaftlichen Menschenrechtsorganisation, in seinem Einleitungsessay für den mehr als 600 Seiten dicken Jahresbericht. Die Regierungen dort stehen, wie er schreibt, vor der schweren Aufgabe, nach langjähriger Repressionserfahrung rechtsstaatliche Demokratien aufzubauen.
Aus Roth’s Sicht sind dafür staatliche Institutionen, eine unabhängige Justiz und eine professionelle Polizei unabdingbar. Allerdings setzten sich die neuen Regierungen zu wenig für entsprechende Reformen ein. Roth schreibt, es sei nachvollziehbar, aber falsch, wenn neue Amtsinhaber keine Einschränkung ihrer Macht akzeptieren wollten, denn in einer echten Demokratie müsse Mehrheitsherrschaft mit Rechtssicherheit und Grundfreiheiten für Individuen einhergehen.
Human Rights Watch (HRW) sieht vor allem die Rechte von Frauen, Minderheiten und Andersdenkenden in arabischen Ländern ernsthaft bedroht. Zwar verbiete die neue ägyptische Verfassung Folter und willkürliche Verhaftungen, doch sei eine Diskriminierung auf Grund des Geschlechts nicht ausdrücklich verboten. Roth warnt, eine Zusatzklausel, der zufolge der Staat die Pflichten der Frau bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf abzuwägen habe, könnte Freiheiten, die grundsätzlich von international gültigen Menschenrechten garantiert würden, unterwandern.
Besonders in Libyen ist die Menschenrechtssituation derzeit nach HRW-Einschätzung katastrophal. Das Land sei wegen schwacher Institutionen nicht in der Lage, die Achtung der Menschenrechte durchzusetzen. HRW kritisiert in diesem Kontext auch die NATO-Mitglieder, die sich nach dem Ende der Diktatur nicht um den Aufbau neuer staatlicher Strukturen in Libyen kümmerten. Folglich könnten diverse Milizen nun ungestraft Menschenrechtsverletzungen begehen.
In Syrien herrscht seit dem Beginn des Arabischen Frühlings Bürgerkrieg. HRW kritisiert, dass westliche Regierungen nicht genügend Druck aufgebaut hätten, um diesen Fall vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen. So hätten sie es China und Russland im UN-Sicherheitsrat erleichtert, ihr Veto gegen eine starke Resolution zum Thema einzulegen. Ähnlich hätten auch die Stimmenthaltungen von Brasilien, Indien, Pakistan und Südafrika gewirkt. Das Ergebnis sei, dass in Syrien weiterhin ungestraft Menschenrechte verletzt werden.
Auch außerhalb der arabischen Welt führten politische Veränderungen nicht immer zu mehr Achtung der Menschenrechte, bedauert Roth. Ein Beispiel sei Myanmar, wo sich der Umgang mit ethnischen Minderheiten nicht verbessert habe, seit die führende Oppositionspartei wieder zugelassen ist und die prominente ehemalige politische Gefangene Aung San Suu Kyi im Parlament sitzt. Sie dränge das Militär aber nicht, Kriegsverbrechen gegen ethnische Minderheiten im Norden des Landes einzudämmen oder gar zu ahnden, bedauert HRW.
HRW zieht auch für Indonesien eine negative Bilanz. Obwohl in der Verfassung Religionsfreiheit festgelegt ist, finden Diskriminierungen von religiösen Minderheiten wie Bahai, Christen oder Schiiten statt. Roth schreibt von rund 150 Rechtsvorschriften, die religiöse Minderheiten beeinträchtigen. Obendrein müssten Soldaten, wenn sie gegen Menschenrechte verstoßen, nur höchst selten mit Strafverfolgung rechnen.
Laut Human Rights Watch ist jedes Land bei der Schaffung einer demokratischen Zukunft für sich selbst verantwortlich. Zugleich müsse aber auch die internationale Gemeinschaft stärker auf die Achtung der Menschrechte und unbedingte Rechtsstaatlichkeit bestehen. Aus HRW-Sicht soll sie ihre Prinzipien stringent befolgen und positive Beispiele setzen. Wenn Menschenrechtsverletzungen überall konsequent verurteilt würden, entstehe ein gesunder Druck auf Regierungen, Missstände abzustellen.