Russland und China

BRICS-Mitglieder stimmen Westafrika-Politik nicht ab

Verschiedene Regierungen interessieren sich für die Ressourcen Afrikas und möchten militärisch Fuß fassen. Die Mitglieder der BRICS koordinieren ihre Politik dabei jedoch nicht, wie Vladimir Antwi-Danso von der ghanaischen Streitkräfte-Hochschule im E+Z/D+C-Interview erläutert.
Coup supporters in Niger wave Russian flags. picture-alliance/AA/Balima Boureima Coup supporters in Niger wave Russian flags.

Russland scheint westafrikanischen Militärregimen Stabilität zu versprechen. Geht es dabei mehr um Gewaltanwendung und Unterdrückung von Dissens?

Die gescheiterte Intervention Frankreichs, welche die Sahel-Region stabilisieren sollte, hatte kinetische und nichtkinetische Dimensionen. Kinetisch bedeutet Gewaltanwendung. Einerseits sollten Aufständische bekämpft werden, andererseits aber sollten der Bau von Dingen wie Straßen und Krankenhäusern sowie Demokratieförderung Herzen und Köpfe gewinnen. Aus offensichtlichen Gründen verlassen sich Militärs auf Gewaltanwendung. Nichtkinetische Dinge bleiben wichtig, aber Russland zeigt daran kaum Interesse. Ich sage seit Langem, dass Frankreich und seine Verbündeten, also auch Deutschland, beim Versuch, nichtkinetisch zu agieren, tief liegende Probleme nicht verstanden haben.

Und zwar?

Am wichtigsten ist, dass große ethnische Gruppen – besonders die Tuareg – sich nicht mit den Nationalstaaten identifizieren, zu denen sie gehören sollen. Die Tuareg fordern seit Langem einen eigenen Staat und kämpfen auch dafür. Sogenannte „Islamisten“ stützen sich im Norden des Sahel auf seit Langem schwelenden, örtlichen Ärger. Wie ich Ihnen vor einigen Monaten sagte, halte ich Glaubensfragen für relativ unwichtig. Entscheidend ist, dass es in den Pro­blemgegenden eigentlich nie Staatlichkeit gab, außer wenn Sicherheitskräfte Gewalt anwendeten. Daran haben französische Soldaten nichts geändert. Auch die russischen Söldner, die früher für Wagner im Einsatz waren und jetzt unter neuem Namen direkt dem Moskauer Verteidigungsministerium unterstehen, werden das nicht tun.

Bekommen sie die Aufständischen in den Griff?

Das ist schwer zu beurteilen. Unabhängige Faktenchecks sind praktisch unmöglich. Wenn eine staatliche Stelle erklärt, soundso viele „Terroristen“ seien ausgeschaltet worden, wissen wir nicht, wie viele von ihnen wirklich Gewalt ausgeübt haben und wie viele zivile Opfer es gab. Vielleicht sind sogar nur unschuldige Zivilisten gestorben. Die Franzosen haben weitgehend ignoriert, dass die vermeintlichen Terroristen oft lokale Gemeinschaften politisch vertreten haben. Die Russen halten das nicht anders.

Was motiviert die Militärregime?

Sie sind eine Reaktion auf drohenden Staatskollaps. Sie interessieren sich nicht sonderlich für Nichtkinetisches, sorgen sich aber um militärische Ressourcen. Angesichts knapper Haushalte und Schuldendruck wurden vielerorts Verteidigungshaushalte gekürzt. Das mögen Militärs nicht. Russische Unterstützung schätzen sie dagegen.

Welche Erfahrungen gibt es mit Russland und Rohstoffausbeutung?

Das Muster ist in ganz Afrika gleich. Wenn russische Kräfte intervenieren, fordern sie nicht Geld, sondern Rohstoffe. Ihnen wird dann die Ausbeutung von Minen überlassen. So was unterliegt dann der Geheimhaltung, sodass es kaum öffentliche Rechenschaft gibt. Das gefällt beiden Seiten, der jeweiligen afrikanischen Regierung und ihrem russischen Gegenüber. Wir können also darauf wetten, dass beide Seiten auch keinen großen Wert auf Arbeitsrecht oder Umweltschutz legen.

Gibt es Hinweise darauf, dass Russland und China ihre Politik mit Blick auf Sicherheit, Staatsfinanzen oder Wirtschaftsbeziehungen koordinieren?

Nein, sie sind beide in den aktuellen Wettkampf um Afrika eingestiegen, aber sie kooperieren nicht strategisch. Als die ersten Schlagzeilen über die BRICS, das lose Bündnis von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, aufkamen, hofften viele Menschen in Afrika, Südafrika würde eine Führungsrolle übernehmen und Anstrengungen der BRICS zur Entwicklung unseres Kontinents koordinieren. Stattdessen hat sich Südafrika nur als eines von vielen afrikanischen Ländern erwiesen, das hofft, von der Großzügigkeit der anderen BRICS-Mitglieder durch Investitionen und sonstige Unterstützung zu profitieren. Diese Allianz ist keine Alternative zur G7, der Gruppe der etablierten Wirtschaftsmächte. Derweil zeigen auch andere Staaten – wie etwa die Türkei und Saudi-Arabien – wachsendes Interesse an unserem Kontinent. Alle wollen Öl, Erze, Holz und andere Rohstoffe. Alle wollen auch militärisch Fuß fassen. Das ähnelt dem alten Kolonialismusmuster, wobei aber neue Länder jetzt auch Ansprüche erheben.

Wie beurteilen afrikanische Regierungen die Lage?

Großenteils denken sie vermutlich gar nicht viel über die Zukunft ihrer Nation nach, sondern versuchen, kurzfristig alle Chancen, die sich irgendwie ergeben, zu ergreifen. Ihre Priorität ist der Machterhalt. Es fehlt ihnen an starken staatlichen Kapazitäten, um die Zukunft ihrer Länder zu gestalten.

Stört es sie nicht, dass China zwar ein wichtiger Kreditgeber geworden ist, sich aber weigert, Schulden zu streichen, selbst wenn diese untragbar geworden sind?

Typischerweise vertagt China Zahlungen auf später oder lässt sich auf eine Form von Tauschhandel ein. Verschuldeten Regierungen gefällt das, weil es kurzfristig den Druck reduziert.

Was bedeuten fragile Staatlichkeit und der neue Wettkampf um afrikanische Ressourcen für die Zukunft der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS – Economic Community of West African States)?

Die ECOWAS hat große Probleme, aber die wichtigsten sind älter als die russischen Interventionen in Sahelländern oder die diversen Verträge mit China. Entscheidend ist vor allem,

  • dass in den Mitgliedsländern die nationale politische Führung nicht sonderlich geschickt agiert und
  • dass alle Mitgliedsländer Demokratiedefizite aufweisen.

Korruption ist beispielsweise weitverbreitet, aber die überstaatliche Regionalorganisation kann daran nichts ändern. Es gibt zu vielen Dingen schöne ECOWAS-Protokolle, die in der Praxis aber leider wenig bedeuten.

Bitte nennen Sie ein Beispiel.

Es gibt ECOWAS-Regeln, wie einem gewaltsamen Sturz der Demokratie entgegengewirkt werden soll, sie lassen sich aber oft nicht anwenden. Umfassende Militärinterventionen sind nicht praktikabel, und andere Sanktionen sind zu schwach. Zugleich hat der Staatenbund keine Regeln gegen missbräuchlichen Machterhalt von Amtsinhabern, wenn beispielsweise Präsidenten für verfassungswidrige dritte Amtszeiten kandidieren. Das ist in der Côte d’Ivoire geschehen und kürzlich auch im Senegal. In der Côte d’Ivoire setzte sich Präsident Alassane Ouattara durch. Im Senegal sorgte eine Protestbewegung dafür, dass Macky Sall zurücktrat und es Neuwahlen gab. In beiden Fällen versagten die Institutionen. Für viele Menschen klingt es plausibel, wenn Militärdiktatoren sagen, von gewählten Regierungen unterschieden sie sich doch kaum. Tatsächlich kann die ECOWAS nicht korrigieren, was auf der nationalen Ebene falsch läuft.

Und das gilt besonders dort, wo – wie Sie eben ausführten – es mangels funktionierender örtlicher Verwaltungen keine positive Staatlichkeit gibt.

Genau. Dort sind Ärger und Frustration besonders gefährlich.

Demonstrationen feierten zuletzt nach Militärputschen die neuen Regime und deren russische Verbündete. Hat Russland Herzen und Köpfe gewonnen?

Das lässt sich noch nicht sagen. Klar ist, dass die Leute die ehemalige Kolonialmacht Frankreich leid sind. Ich glaube jedoch weder, dass die Militärregime die gravierenden Probleme ihrer Länder lösen können, noch, dass sie von Russland diesbezüglich guten Rat bekommen werden. Vermutlich werden die Leute auch Russland bald leid sein. Ob sie das dann artikulieren dürfen, ist eine andere Frage.

Die Klimakrise ist ein gewaltiges Weltpro­blem. Im Sahel wird das Wasser noch knapper. Westliche Regierungen bemühen sich um Klimaschutz, auch wenn sie bislang noch zu wenig tun. Russland glänzt dagegen gar nicht mit Versuchen, die Erderhitzung zu bremsen. Reagiert die öffentliche Meinung in Westafrika darauf?

Den Menschen sind die Klimafolgen jedenfalls klar. Die Hitze wird unerträglich. Dürren – aber auch Fluten – vernichten Felder. Die Leute sehen, was passiert. Ob das auch ihre Beurteilung der Politik mächtiger, fern gelegener Länder beeinflusst, weiß ich nicht. Bemerkenswert ist auf alle Fälle, dass die Militärführung in Burkina Faso kürzlich ein großes Baumpflanzungsprogramm gestartet hat. In Niger wurde etwas Ähnliches angekündigt. Den Spitzenleuten ist also bewusst, dass Klimafolgen den Menschen Sorgen machen. Gewählte westafrikanische Regierungen haben in der Vergangenheit zu wenig getan. Das gilt sowohl für öffentliche Aufklärung als auch für konkrete Maßnahmen, um Länder auf das, was kommt, vorzubereiten.

Leisten die Militärregime in dieser Hinsicht vielleicht mehr?

Auch das lässt sich noch nicht beurteilen. Wir hören, was sie sagen, müssen aber erst noch sehen, was sie tatsächlich umsetzen werden. Fest steht meiner Meinung nach jedoch, dass der Wettkampf um Afrika mit mehr Teilnehmenden weitergeht. Ich denke auch nicht, dass Frankreich endgültig ausgestiegen ist. Es wird sicherlich wieder aktiv werden.

Vladimir Antwi-Danso ist Dekan und akademischer Direktor des Ghana Armed Forces Command & Staff College (GAFCSC) in Accra.
vladanso@yahoo.com