Friedenssicherung

Sonderfall militärische Gewalt

Rechtfertigen humanitäre Katastrophen militärische Interventionen? Die Debatte darüber geht auch zwei Jahre, nachdem der UN-Gipfel in New York das Prinzip „R2P“ angenommen hat, weiter. Das Kürzel steht für „responsibility to protect“: die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, Bevölkerungsgruppen vor Genozid, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen.

Viele Menschen in den Entwicklungsländern behagt R2P nicht. Wie Thelma Ekiyor vom West Africa Civil Society Institute in Accra erklärt, weckt der Begriff Assoziationen von „militärischem Abenteurertum“ und gewaltsamem „Regimewechsel“. Ekiyor verweist auf die „wachsende Präsenz des US-Militärs in Afrika“ und auf Washingtons ständige Betonung des „Antiterrorkampfes“. Vor diesem Hintergrund fürchteten die Menschen in armen Ländern, dass wohlklingende R2P-Rethorik eines Tages dazu missbraucht werde, Gewalt zu legitimieren, die auf etwas anderes abzielt als offiziell vorgegeben.

Der frühere australische Außenminister Gareth Evans, der heute die International Crisis Group (ICG) in Brüssel leitet, kennt solche Ressentiments. Seiner Ansicht nach resultieren sie aus einem Missverständnis. Bei R2P gehe es nicht primär um militärische Intervention, sondern darum, alle Möglichkeiten zur Vorbeugung schreck­licher Verbrechen auszuschöpfen. Das ursprüngliche Konzept sehe militärischen Zwang nur als Ausnahmeoption vor, wenn
– ernste Gefahr bestehe,
– alle anderen Alternativen ausgeschöpft seien und
– die Konsequenzen abgewogen wurden, dass die Intervention nicht mehr Schaden anrichte als nütze.

Zudem betont Evans, R2P sei nur auf die „kleine Untergruppe“ von Krisensituationen anzuwenden, in denen das Risiko von Genozid-Gräueltaten besteht. Er nennt Mazedonien als Beispiel und betont, dass in diesem Fall eine militärische Stationierung anstelle einer vollen Intervention ausreichend war, um eine Katastrophe zu verhindern. Auch in Burundi habe konventionelles Peacekeeping in den vergangenen Jahren Erfolge verzeichnet.

Dagegen könne man in der Darfur-Region in Sudan heute keine R2P-Intervention mehr vertreten. Die Lage sei dort zu chaotisch geworden, um wirklich von Genozid oder ethnischer Säuberung zu sprechen. Derart viele Rebellengruppen, Milizen und kriminelle Banden seien jetzt dort aktiv, dass es die ICG nun für sehr schwierig hält, Täter und Opfer klar zu unterscheiden.

Winrich Kühne vom Zentrum für internationale Friedenseinsätze (ZIF) in Berlin beklagt, dass die internationale Gemeinschaft sich nicht dazu verpflichtet hat, „effizient zu arbeiten und kein Chaos zu verursachen“. Er bezweifelt, dass die 25 000 Mann starke UN-Mission, die in Darfur bald Frieden schaffen soll, Erfolg haben kann (siehe Beitrag auf gegenüberliegender Seite). „Es gibt keine systematische Zusammenarbeit zwischen der Afrikanischen Union, der Europäischen Union und den UN“, sagte er auf einer von der Stiftung Entwicklung und Frieden und dem Internationalen Konversionszentrum Bonn organisierten Konferenz in Bonn Ende November. Andere Teilnehmer gaben zu bedenken, dass militärische Missionen für humanitäre Zwecke regelmäßig personell und finanziell nicht ausreichend ausgestattet würden.

In den Augen von Christian Much vom Auswärtigen Amt bleibt R2P ein sinnvolles Konzept. Die Bundesregierung denke darüber nach, das neu geschaffene UN-Büro des Sonderbeauftragten für die Verhinderung von Völkermord und Massengräueln besonders zu unterstützen. Angesichts verbreiteter Skepsis in der armen Welt müsse R2P jetzt aber vor allem von Akteuren in Asien, Afrika und Lateinamerika vorangetrieben werden.

Lotte Leicht von Human Rights Watch betont nichtmilitärische Wege zur Umsetzung von R2P. Die internationale Gemeinschaft müsse auf clevere Sanktionen setzen, um diejenigen, die fundamentale Rechte anderer verletzen, zu treffen. Beispielsweise könnte die EU Schuldigen den Zugang zum europäischen Bankensystem verweigern. Die häufig gebrauchte Drohung, Kapital einzufrieren, sei harmlos, da Geld schnell abgehoben würde, sobald solche Sanktionen nur in Aussicht gestellt werden. Ganz anders läge die Sache, wenn für Menschenrechtsverletzer Transaktionen von und nach Europa komplett unmöglich gemacht würden. (dem)