Fairen Computern auf der Spur

In China leiden Arbeitnehmer unter den harten Produktionsbedingungen der Elektronikindustrie. Die Branche birgt zudem eine Reihe von Umweltrisiken. Es gibt sinnvolle Ansätze, um Markenanbieter dazu zu drängen, für bessere Verhältnisse zu sorgen.

Die Meldungen über schlechte Arbeitsbedingungen in der fernöstlichen Handy- und Computerfertigung mehren sich. Berichtet wird über exzessive Überstunden, minimale Entlohnung und weitgehende Abwesenheit gewerkschaftlicher Organisationen. In Europa formieren sich deshalb entwicklungspolitische Initiativen, um gegen den „Wettlauf nach unten“ mobil zu machen.

Dass die Anschuldigungen fundiert sind, zeigt ein Blick in den Nachhaltigkeitsbericht von Hewlett-Packard (2006): Der Konzern stellte bei vielen Zulieferbetrieben Überschreitungen der bestehenden Überstundenregelung fest. Weitere Probleme beanstandet HP in Sachen Diskriminierung, Sicherheitsvorkehrungen und dem Umgang mit kritischen Stoffen. Es wäre naiv zu denken, dass solche Defizite nur in der Wertschöpfungskette von HP bestünden, es geht um strukturelle Probleme der gesamten Elektronikbranche.

Die Frage stellt sich: Wie können die Arbeits- und Lebensbedingungen in den Fertigungsbetrieben verbessert werden? Da ein Großteil der Produktion in Schwellenländern stattfindet, bleibt der Einfluss europäischer Akteure begrenzt. Dennoch gibt es wirkungsvolle Hebel. Laut der RoHS-Direktive der Europäischen Union (das Kürzel steht für „Restriction of Hazardous Substances“) dürfen seit vergangenem Juli Neugeräte kein Cadmium, Blei, Quecksilber, Chrom-6 oder die Flammhemmer PBB und PBDE mehr enthalten. Diese Regel berührt auch Sicherheit und Gesundheit in der Fertigung. Ausnahmen gelten nur, wenn Substitutionen entweder technisch noch nicht möglich sind oder ökologisch noch schlimmere Folgen hätten.

Auch die Nachfragemacht der Konsumenten kann ein Mittel sein, um auf Fortschritt hinzudrängen. Biolebensmittel und der Faire Handel sind Beispiele dafür, dass Verbraucher positive Impulse für bessere Produktionsbedingungen geben können. Damit das aber auch bei Elektronikgütern gelingt, müssten zwei Voraussetzungen erfüllt werden:
Die Konsumenten müssen ihre Ansprüche den Herstellern klar mitteilen – und dabei geht es nicht nur um private Endverbraucher, sondern auch um Großeinkäufer und die öffentliche Beschaffung.
Produktinformationen müssen auch Auskunft über die sozialen Bedingungen der Herstellung geben.
Die erste Bedingung dürfte bald erfüllt werden, denn es läuft bereits eine Vielzahl von Informationskampagnen zum Thema. Was Produktinformationen angeht, besteht aber bislang noch weniger Grund zur Hoffnung. Kriterien und Methoden für zuverlässige Zertifizierungssysteme sind noch nicht definiert. Dass dies noch nicht geschehen ist, liegt nicht zuletzt an der Unübersichtlichkeit dieses Industriezweigs. Ein Notebook beinhaltet rund 1800 bis 2000 Einzelteile, an deren Fertigung eine Vielzahl von Firmen beteiligt sind.

Um Kriterien für kritische Verbraucher zu bestimmen, muss die Struktur der Industrie eingehend untersucht werden. Viele regierungsunabhängige Organisationen (NGOs) verlangen, dass die Markenfirmen die Verantwortung für ihre gesamte Produktionskette übernehmen. Dagegen richten Manager typischerweise Forderungen nur an ihre direkten Zulieferer. Wichtig ist also, welchen Einfluss die Markenanbieter auf die gesamte Zulieferbranche haben und wie dieser Einfluss im Interesse von Arbeitnehmern und Anwohnern genutzt werden kann.

Wer heute einen Computer kauft, entscheidet sich zumeist für ein Markenprodukt. Es sieht zwar so aus, als sei die Ware von der jeweiligen Firma entwickelt und gebaut worden. Doch der Schein trügt – zum Beispiel bei Notebooks. Fast alle dieser Rechner wurden von einem knappen Duzend taiwanesischer Firmen entwickelt, montiert werden sie in Industriegebieten in der Volksrepublik China. Endkunden kennen diese Firmen zwar nicht, aber es sind keine kleinen Klitschen. In der Fertigung von jährlich rund 70 Millionen Notebooks sind etwa 75 000 Fließbandarbeiter beschäftigt. Hinzu kommt zahlreiches, zum Teil hochqualifiziertes Fachpersonal. Gemäß den Vorgaben der Markenanbieter entwerfen und gestalten die taiwanesischen Firmen die Computer.
Allerdings lagern die Markenanbieter nicht alle Aufgaben an ihre taiwanesischen Auftragnehmer aus. Qualitäts- und Sicherheitsmängel würden sofort auf ihre eigene Reputation durchschlagen. Fachleute der Markenfirmen kaufen deshalb Komponenten wie Displays oder Akkus für „ihre“ Geräte selbst ein. Die großen Namen der Branche lassen zwar die Rechner von Fremdfirmen montieren, kontrollieren aber viele Fertigungsschritte davor. Daraus folgt, dass es möglich wäre, auch die Hersteller solcher Komponenten nach sozialen und ökologischen Kriterien zu zertifizieren und von den Markenanbietern zu verlangen, entsprechende Standards bei ihren Zulieferern umzusetzen. Die Markenanbieter setzen schließlich bereits ihre Preis- und Qualitätsvorstellungen durch, sie könnten auch soziale und ökologische Standards einfordern. Endkunden könnten auf diesem Wege Druck machen.

Kleinteilige Aufgabe

Anders sieht es bei vielen elektronischen Einzelbausteinen aus. Alle wesentlichen Eigenschaften von Bauteilen wie Induktivitäten, Widerständen und Dioden sind normiert und unterliegen standardisierten Testverfahren. Diese Bausteine werden auf einem sehr flexiblen Markt gehandelt, Montagefirmen und Komponentenhersteller kaufen sie von Zwischenhändlern. Folglich kann kein Markenanbieter mit Sicherheit sagen, welche Firmen alle auf der Hauptplatine aufgelöteten Teile hergestellt haben. Aus der Perspektive der Markenhersteller wäre es unmöglich, die Einhaltung von Standards sicherzustellen.

Dennoch gibt es auch hier Ansatzmöglichkeiten. Die Produktion der Einzelbauteile ist in der Regel hoch automatisiert, wobei zahlreiche, zum Teil toxische Substanzen zum Einsatz kommen. Da im Vergleich zur arbeitsintensiven Montage kaum Fließbandarbeiter benötigt werden, sind wesentlich weniger Menschen den entsprechenden Arbeitsbedingungen unterworfen. Sicherlich kann dennoch gegen arbeitsrechtliche Vorgaben verstoßen werden, größere Risiken bestehen aber mit Blick auf die Gesundheit der Arbeitnehmer und der Anwohner. Die Industrie indessen kennt die wichtigen Probleme. Unabhängigen Teams aus Ingenieuren und Toxikologen dürfte es recht leicht fallen, diejenigen Bausteine zu identifizieren, deren Herstellung gefährlich ist, wobei nicht nur die Giftigkeit einzelner Stoffe, sondern auch die Risiken der Produktionsabläufe berücksichtigt werden müssten.

Dennoch würde die Beurteilung kein aufwendiges Auditing von mehreren hundert Werken erfordern. Sie würde im Wesentlichen auf Expertenwissen basieren, das durch Einzelstudien und Informationen von Arbeitnehmerrechtsgruppen ergänzt werden könnte. So könnten alle Bauteile identifiziert werden, für die strenge Sozial- und Umweltstandards sinnvoll und nötig wären. Eher unproblematische Bauelemente würden dagegen aus der Zertifizierung ausgeklammert.

Computer- und Handyhersteller können aber noch aus einem weiteren Grund in die Kritik geraten. Elektronikprodukte beruhen auf einer Vielzahl von Rohstoffen, deren Förderung teils beträchtliche soziale und ökologische Auswirkungen hat. Ein Beispiel ist Coltan, das in Kondensatoren verwendet wird. Im Jahr 2000 stieg der Weltmarktpreis rapide, und Zeitungen berichteten, dass sich Milizen im vom Krieg erschütterten Kongo mit Coltanerlösen finanzierten. Seither ist der Preis wieder gefallen und der Bürgerkrieg ist abgeklungen, aber das Problem ist klar. Sicherlich haben Markenanbieter von Elektonikgütern nur bei den Rohstoffen, deren Hauptabnehmer sie sind, einen maßgeblichen Einfluss. Für einige Metalle wie Coltan und Palladium ist das aber der Fall. Industrieübergreifende Initiativen könnten die Nachfrage bündeln und damit auch die Bedingungen der Rohstoffförderung beeinflussen.

Umstritten ist zwischen Industrie und Organisationen, die sich für Arbeitnehmerrechte einsetzen, wie Sozialstandards überwacht werden sollen. Die Manager setzen in der Regel auf Sozialaudits. Die Kritiker monieren aber, dass solche Kontrollen leicht zu umgehen sind und strukturelle Missstände nicht beseitigen. Außerdem ist aus anderen Branchen bekannt, dass Sozialaudits auch in jahrzehntelanger Praxis keine nennenswerten Verbesserungen bewirkt haben, sondern lediglich eine eigenständige Auditindustrie hervorbrachten. Eine Studie der Clean Clothes Campaign (2006) hat gezeigt, dass solche Firmen vor allem an der Akquise von neuen Auditaufträgen interessiert sind, nicht aber an der Einhaltung und Verbesserung von Sozialstandards. Viele NGOs fordern deshalb die Einführung betrieblicher Mitbestimmung und gewerkschaftliche Strukturen.

In der Volksrepublik China gibt indessen bekanntlich keine freien Gewerkschaften. Dennoch werden in verschiedenen Wirtschaftszweigen betriebliche Mitarbeitervertretungen nicht nur toleriert. Sie werden im Zuge der offiziellen Bemühungen um eine „harmonische Gesellschaft“ sogar ausdrücklich begrüßt. Der Ansatz, den die Organisation Social Accountability International verfolgt, ist deshalb in China praktikabel. Ihr Regelwerk SA 8000 hält Firmen dazu an, die Kernarbeitsnormen zum Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen auch dort betrieblich zu ermöglichen, wo das nicht per Gesetz gewährleistet ist.

Dennoch meinen wir, dass Sozialaudits mit Blick auf Gesundheitsrisiken sinnvoll wären. Gewählte Arbeitnehmervertreter dürften kaum über das nötige humantoxikologische Wissen verfügen, um ihre Kollegen effektiv zu schützen. Audits können darüber hinaus auch prüfen, ob Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, sich systematisch über das geltende Arbeitsrecht zu informieren. Oft wissen Geschädigte heute gar nicht, welche Ansprüche sie offiziell haben.

Unsere bisherigen Ausführungen zeigen, dass es eine Reihe Ansatzpunkte für ein sinnvolles Zertifizierungsverfahren für sozial verträgliche Elektronikprodukte gibt. Zwar mögen manche Kritiker einwenden, dass damit die Markenanbieter noch immer nicht die komplette Verantwortung für sämtliche Produktionsdetails übernehmen müssten. Doch dieses Argument sticht nicht. Es hat keinen Sinn, unerfüllbare Maximalforderungen nach der Einhaltung von sozialen und ökologischen Standards in allen Zulieferbetrieben zu stellen. Chancen für echte Verbesserungen sollten dagegen genutzt werden.

„Fair“ hergestellte Elektronikprodukte sind derzeit noch eine Zukunftsvision. Die augenfällige Problematik und das wachsende öffentliche Bewusstsein dafür erfordern aber neue Schritte. Auf den ersten Blick wirkt die Elektronikindustrie mit Hunderten von beteiligten Firmen abschreckend unübersichtlich, das ist aber kein triftiger Grund, auf methodische Bewertung und Zertifizierung zu verzichten. Es ist möglich, Kriterien, Regeln und kohärente Indikatoren aufzustellen. NGOs sollten die Chance nutzen, um präzise Forderungen aufzustellen und, wo immer möglich, auf die Verbesserung von Produktionsverfahren nach sozialen und ökologischen Kriterien hinzuwirken. Teilweise sind sogar Markenanbieter schon für solche Ideen aufgeschlossen.