Arbeitsmarkt

Zirkuläre Migration

Reiche Länder brauchen zusätzliche Arbeitskräfte, und arme Länder brauchen Fachkräfte mit hochwertiger ­Berufserfahrung. Aus entwicklungspolitischer Sicht wäre deshalb die befristete Migration sinnvoll.

Von Caroline Triml

Der demografische Wandel führt in Deutschland zu einem Mangel an qualifizierten Fachkräften. Die Bundes­republik braucht jährlich 300 000 bis 400 000 Zuwanderer, schätzt Monika Varnhagen von der Bundesagentur für ­Arbeit (BA). Nach einer Rechtsreform erkennt Deutschland deshalb seit diesem Monat auch im Ausland erworbene Berufsqualifikationen leichter an.

Besonders gravierend ist hierzulande derzeit der Mangel an Pflegekräften. Bernd Meurer vom Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste sagt, es wäre nicht schwer, innerhalb einer einzigen Woche 30 000 Fachkräften neue Jobs zu verschaffen – gebe es denn 30 000 Bewerber.

Deutschland war eines der letzten Länder in der EU, die 2011 die Freizügigkeit auch für alle Neumitglieder einführten. Der erwartete „Ansturm“ ausländischer Arbeitskräfte blieb aber aus, wie der CDU-Politiker Armin Laschet berichtet. Der ­ehemalige Integrationsminister von Nordrhein-Westfalen warnt, Deutschland brauche auf Dauer zusätzliche 5 Millionen Menschen, die arbeiten. Das gelte selbst dann, wenn künftig kein Kind in Deutschland mehr ohne Schulabschluss bliebe, Frauen besser in den Arbeitsmarkt inte­griert würden und alte Menschen sich stärker als bisher am Berufsleben beteiligten.

In Schweden ist die Situation weniger dramatisch – nicht zuletzt, weil dort schon seit 2004 Freizügigkeit für EU-Bürger herrscht. Zudem wurde 2009 auch Migranten aus nicht EU-Ländern die Zuwanderung erleichtert. Johanna Peyron vom Justizministerium in Stockholm sagt, in ihrem Land dürfe bleiben, wer einen Arbeitsplatz finde, der nach schwedischen Standards entlohnt werde und für den es keinen schwedischen Bewerber gebe. Die Regierung werde „jede Art von Lohndumping“ verhindern. Sprachkurse, so Peyron, bezahlt der Staat, sind aber keine Bedingung für die Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis. Zudem erlaubt Schweden ausländischen Studenten nun, sich dort unmittelbar nach ihrem Hochschulabschluss einen Job zu suchen.

Aus entwicklungspolitischer Sicht ist die Abwanderung von Fachkräften aus armen Volkswirtschaften freilich problematisch. Viele afrikanische Länder bräuchten das medizinische Fachpersonal, das sie ausbilden, selbst – aber nach der Ausbildung ziehen qualifizierte Personen in reiche Länder. International wird das als „Brain-Drain“ bezeichnet.

Entsprechend wächst unter Entwicklungspolitikern das Interesse an zirkulärer Migration, bei der Ausländer nur für eine begrenzte Zeit in Industrieländer kommen, um danach mit relevanter Berufserfahrung heimzukehren. Das Modell dient beiden Seiten: Die Aufnahmeländer bekommen Fachkräfte, und die Herkunftsländer profitieren vom Wissen der temporären Auswanderer, und oft auch von deren Finanzkraft und Unternehmenslust. Migranten und Diasporamitglieder entpuppen sich nämlich immer wieder als Arbeitgeber.

Das Konzept der zirkulären Migration gefällt An Nguyen Xuan vom vietnamesischen Arbeitsministerium. Er lobt die Beschäftigungs- und Vermittlungsabsprachen, die sein Land mit Deutschland getroffen hat. Sie dienen aus seiner Sicht drei Zielen:
– Vietnams Humankapital wird gestärkt,
– Menschen bekommen Arbeit mit guten Einkommen, und
– es wird ein Beitrag zur Völkerverständigung geleistet.

Deutschland sei für viele Fachkräfte attraktiv, sagte Nguyen Xuan Ende März bei einer gemeinsamen Veranstaltung von BA und Deutscher Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Berlin. Allerdings rät er der Bundesrepublik, Formalitäten für Einwanderer zu erleichtern. Bürokratische Hürden schreckten potenzielle Migranten ab.

Planungssicherheit

Für das zirkuläre Konzept spricht auch, dass Migranten weltweit ihre Heimat meist ohnehin nur befristet verlassen, wie Gunilla Fincke vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration berichtet. Sie fordert, die mehrfache Wanderung zwischen Herkunfts- und Aufnahmeland müsse erleichtert werden. Die Erfahrung lehrt, dass Rechts- und Planungssicherheit Migranten die Rückkehr in die Heimat erleichtert, weil sie dafür dann nichts aufgeben müssen.

Auch Heidi Obermeier vom Münchenstift weiß, dass enge Zeitrahmen problematisch sind. Ihre karitative Einrichtung nimmt an dem GIZ-Pilotprojekt Triple-Win Migration teil, das befristet Pflegekräfte nach Deutschland holt. „Die Idee ist toll, und die Leute sind fleißig und engagiert“, sagt sie. Dennoch erweise sich das Konzept derzeit eher als „Triple-lose-Projekt“, weil es nur auf 18 Monate angelegt sei. Wohnraumbeschaffung, Anerkennung von Berufsabschlüssen, Vorbereitungsseminare und Deutschkurse verursachten hohe Kosten. In der Altenpflege dauere es etwa ein Jahr, bis jemand aus Bosnien hierzulande einsatzbereit sei – und dann stehe schon bald wieder die Heimkehr an.

Andrij Waskowycz von Caritas Ukraine benennt eine andere Art von Migrationskosten. Ihm bereiten „Euro-Waisen“ große Sorgen. Es handelt sich um Kinder, deren Eltern in der EU arbeiten. Sie seien finan­ziell versorgt, genössen aber keine angemessene Obhut. Es gebe Probleme mit Drogen und Kriminalität. Waskowycz fordert deshalb umfassendere Lösungen, unter anderem leichteren Familiennachzug.

Steffen Angenendt von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) erkennt die Chancen der zirkulären Migration, er sieht aber auch einen Zielkonflikt: Bei der Migrationspolitik steht das Bedürfnis im Mittelpunkt, den eigenen Arbeitsmarkt zu befriedigen. Doch aus entwicklungspolitischer Sicht gilt es, Brain-Drain zu vermeiden und Strukturdefizite in Entwicklungsländern aufzuheben.

Rita Süssmuth, die ehemalige Bundestagspräsidentin und spätere Vorsitzende des Sachverständigenrates für Zuwanderung und Integration, erkennt derweil Handlungsbedarf noch auf einer anderen – in Deutschland umstrittenen – Ebene. Da es unter Flüchtlingen viele qualifizierte Personen gebe, sollte ihrer Meinung nach auch unter Asylsuchenden nach Fachkräften Ausschau gehalten werden.

Caroline Triml