Klimawandel

Etikettenschwindel

Obwohl die Weltbank und verwandte Institutionen progressive Klimarhetorik pflegen, fördern sie in der Praxis weiterhin zentralisierte, nichtnachhaltige Infrastrukturen. Letztlich steht die Weltbank dem nötigen globalen Umsteuern deshalb im Weg.

[ Von Daniela Setton ]

Die Weltgemeinschaft steht vor einem Dilemma. Laut Internationaler Energieagentur (IEA) wird der Primärenergiebedarf bis 2030 weltweit um mehr als die Hälfte steigen und der globale Energiemarkt sogar um zwei Drittel expandieren. Ein Großteil des Bedarfs muss nach IEA-Schätzung weiterhin mit fossilen Trägern gedeckt werden. Dabei ist längst bekannt, dass deren Einsatz wegen des unvermeidlichen CO2-Ausstoßes den Treibhauseffekt anheizt.

International wird folglich viel über die „Versöhnung“ von Klima- und Energiepolitik diskutiert. Auf der Tagesordnung stehen dabei die Förderung klimafreundlicher Technologien, Investitionen in Entwick­lungsländern, geeignete Instrumente und korrekte politische Rahmenbedingungen.

2005 gaben die G8 der Weltbank den Auftrag, eine Führungsrolle bei der Erstellung eines globalen „Inves­titionsrahmenwerks für Saubere Energie und Entwick­lung“ (Clean Energy and Development Investment Framework – CEIF) zu übernehmen. Die Weltbank koordiniert damit einen internationalen Abstimmungsprozess, an dem sich die Regierungen der großen Indus­trienationen und der wichtigsten Schwellenländer sowie die anderen multilateralen Entwicklungsbanken, das World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) und das World Economic Forum (WEF) beteiligen.

Die Weltbank schätzt den erforderlichen Investitionsbedarf in die Stromwirtschaft der Entwicklungs- und Schwellenländer jährlich auf insgesamt 165 Milliarden Dollar, von denen nur die Hälfte aus derzeit verfügbaren Quellen zu decken sei. Um Mittel in „saubere Energien“ zu lenken und so den Übergang in eine „kohlenstoffarme Wirtschaft“ einzuleiten, würden zusätzlich 30 Milliarden Dollar gebraucht. Weitere Ziele, für die Geld gefunden werden muss, sind, den Zugang zu Energie für die 2,4 Milliarden Menschen, die unter Energiearmut leiden, zu verbessern und Entwicklungsländern bei der Anpassung an den Klimawandel zu helfen. Auf ihrer Tagung im Frühjahr hat die Weltbank einen ehrgeizigen Aktionsplan beschlossen. Dem Anspruch nach stehen dabei Energie-, Entwicklungs- und Klimapolitik im Einklang.

Falsche Prioritäten

Doch die Weltbank treibt mit dem CEIF eine Agenda voran, die wenig mit effektivem Klimaschutz und notwendiger Armutsbekämpfung zu tun hat, wohl aber mit dem Ausbau zentralisierter, fossiler Infrastrukturen. Schlagworte wie „saubere Energie“ oder „kohlenstoffarme Wirtschaft“ werden dabei irreführend verwendet. Tatsächlich verbirgt sich dahinter oft der massive Ausbau des konventionellen Energiesys­tems.

Die Weltbank betont zwar die Bedeutung von erneuerbaren Energieträgern und Energieeffizienz, und sie fördert auch einige einschlägige Projekte. Doch dieses Engagement bleibt bescheiden. In erneuerbare Energien investierte sie 2006 nur 153 Millionen Dollar, gerade mal vier Prozent ihres gesamten Energieportfolios. Obwohl dieser Anteil derzeit ansteigt, werden die eingesetzten Mittel bei weitem nicht ausreichen, um die nötige Breitenanwendung in Entwicklungsländern voranzubringen.

Auch wirbt die Weltbank für „effiziente Kohletechnologien“ wie IGCC-Kraftwerke (Integrated Gas Combined Cycle) inklusive CO2-Abscheidung und -Speicherung. Die damit verbundenen hohen Kosten sowie Effizienzprobleme und ökologischen Risiken erwähnt sie nicht. Diese Technik wird auch erst in 15 bis 20 Jahren marktreif sein. Eine echte Abkehr von der herkömmlichen Energiepolitik ist damit zu erkennen.

Ein Blick auf die von der Weltbank gewährten Kredite lässt keinen Zweifel an ihren Prioritäten. Der von ihr finanzierte Ausstoß von Treibhausgasen nimmt zu. Die Weltbankgruppe (WBG) steigerte die Zusagen für fossile Energieträger im Geschäftsjahr 2006 um satte 93 Prozent von 451 auf 869 Millionen Dollar. Sie beschloss die Finanzierung und Unterstützung von Gas- und Ölprojekten in Ägypten, Bangladesh, Indien, Pakistan, Chile, Kolumbien, Russland, Venezuela, Vietnam und dem Jemen (Maynhardt-Gibbs, 2007). 2007 lagen die Neuzusagen für Öl- und Gasprojekte bei etwa 600 Millionen Dollar.

Die Weltbank beteiligt sich weiterhin an einer Reihe umstrittener Projekte, wie etwa der Tschad-Kamerun-Pipeline, der westafrikanischen Gas-Pipeline oder der Baku-Tbilisi-Ceyhan-Pipeline. Meist werden solche Vorhaben ohne gründliche Prüfung aller möglichen Alternativen und ohne Ausschöpfung aller bestehenden Effizienzpotentiale unterstützt. Von diesen Vorhaben profitieren vor allem internationale Branchenriesen wie BP, Petrobras oder Chevron sowie Anlagenbauer wie Halliburton und Siemens.


Fehlgeleitete Hoffnung auf „den Markt“

Der prominente Ökonom Nicholas Stern nennt den raschen Klimawandel zu Recht „das größte Marktversagen aller Zeiten“. Es ist also fragwürdig, „den Markt“ plötzlich als Garanten des Klimaschutzes zu sehen. Dennoch will die Weltbank das Klima vor allem über die Stärkung von Marktmechanismen retten.

Sie propagiert weiterhin „aggressive Sektorreformen“ in Entwicklungsländern, um private Investoren zu mobilisieren. Solche markt-basierten Programme forciert die Bank schon seit den 1990er Jahren – mit den Zielen Privatisierung, Kommerzialisierung, Wettbewerb und kostendeckende Preise. Die soziale und ökologische Bilanz dieser Reformen ist aber bekanntlich kläglich. Vielfach stiegen die Stromtarife und arme Menschen hatten nachher noch weniger Zugang zu Elektrizität als vorher. Die Entflechtung von Stromerzeugung und Stromvertrieb hat weder einen signifikanten Anstieg der Investitionen in Energieeffizienz und erneuerbare Energien noch Anreize zur besseren Nachfragesteuerung gebracht.
Das Reformprogramm der Weltbank schränkt zudem politische Gestaltungsmöglichkeiten beim Umbau der Energiesysteme ein. Im markt-basierten Modell wählen zum Beispiel Privatinvestoren die Energieträger. Dieser Logik folgt die Weltbank im CEIF im Schulterschluss mit dem WBCSD und dem WEF, die von etablierten Großkonzernen dominiert werden. „Saubere“ Kohle und Atomkraft gelten dabei als zentrale Zukunftstechniken. Vertreter von Unternehmen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien wurden im CEIF-Kontext dagegen gar nicht konsultiert.

Dass zum „Klimaschutzprogramm“ der Weltbank auch die verstärkte Förderung von ökologisch und sozial problematischen Großstaudämmen (etwa Bujagali in Uganda oder Nam Theun II in Laos) gehört, überrascht denn wohl kaum. So sinnvoll es ist, bestehende Infrastrukturen möglichst effektiv und umweltfreundlich zu machen, so kontraproduktiv ist es, sozial und ökologisch fragwürdige Systeme auszubauen – ob sie nun auf fossilen Trägern, Atom- oder Wasserkraft beruhen. Weltweit sind dezentrale Systeme auf Basis lokal verfügbarer erneuerbarer Energien nötig.

Im CEIF gilt der Handel mit Emissionsrechten als zentrales Finanzierungsinstrument für den Übergang in eine „kohlenstoffarme“ Wirtschaft. Die Weltbank arbeitet entsprechend an der globalen Ausweitung dieses Handels. Damit verstärkt sie aber den Trend zu Großprojekten, denn Planung und Zertifizierung erfordern einen Aufwand, den kleine Projekte für lokale, erneuerbare Energiesysteme kaum leisten können. Zudem bestehen Missbrauchsprobleme. Katherine Sierra (2006), die zuständige Vizepräsidentin der Weltbank, kennt die Grenzen des Emissionsrechtehandels: „Experience tells us that carbon finance has had a limited impact in promoting larger scale renewable energy projects.“

Den Emissionshandel hat nicht die Weltbank erfunden, er ist im Kyoto-Protokoll vorgesehen. Problematisch ist daran unter anderem, dass der nötige Strukturwandel in den Industrienationen weiter aufgeschoben wird. Diese Länder können schließlich eigene Pflichten zur Reduktion von Emissionen durch Maßnahmen in anderen Weltgegenden erfüllen.

Widersprüche zwischen progressiver Klimarhetorik und schädlicher Energiepolitik treten nicht nur bei der Weltbank, sondern auch bei anderen multilateralen Institutionen auf. So hat etwa die Asiatische Entwicklungsbank (ADB) ein „Clean Energy and Environment Program“ gestartet. Positiv ist sicher, dass die ADB bis 2008 ihren Aufwand für Energieeffizienz auf mindestens eine Milliarde Dollar im Jahr steigern will und dass sie bereit ist, Kleinprojekte zu unterstützen (ADB, 2007).

Zugleich hat aber auch die ADB seit 2002 ihr Engagement im Öl- und Gassektor deutlich gesteigert. In ihrer neuen Energiestrategie kündigt sie nicht nur die weitere Unterstützung von „sauberer“ Kohle, Erdgas und Öl an, sondern auch deren Steigerung, vor allem im Gassektor (ADB 2007b: 9). Eine klare Verpflichtung zur schnellen und breiten Förderung erneuerbarer Energieträger gibt es nicht. Auch die ADB fördert die Ausweitung des Handels mit Emissionsrechten.


Herkömmliche Strategien

Festzuhalten ist, dass Institutionen wie die Weltbank und die ADB trotz aller klimapolitischen Rhetorik den weltweit steigenden Energiehunger ganz überwiegend mit konventionellen Mitteln decken wollen. Ihre Strategien entsprechen den Interessen der etablierten Energiewirtschaft und den gewohnten Strukturen der Weltwirtschaft. Zwar mögen Einzelerfolge durchaus möglich sein, letztlich wird die nötige globale Umsteuerung aber behindert. Der Fokus auf zentralisierte Infrastrukturen zementiert weltweit ein klimaschädliches, ineffizientes Energiesystem, das zudem rund 40 Prozent der Menschheit von adäquater Versorgung ausschließt. Bekanntlich vergeudet zentralisierte Energieinfrastruktur im Schnitt zwei Drittel der eingesetzten Energie.

In den nächsten zehn bis 15 Jahren muss die Weltgemeinschaft das globale Energiesystem vollständig umstellen. Es sind erhebliche öffentliche Investitionen nötig, um im großen Maßstab neue Produktions- und Anwendungstechniken auf der Basis erneuerbarer Träger und höherer Energieeffizienz auf den Weg zu bringen. Unter Berücksichtigung der gesamtgesellschaftlichen Kosten des bisherigen Systems ist der Aufwand gerechtfertigt. Jeder Dollar, der jetzt noch in den Ausbau der verfehlten Infrastruktur gesteckt wird, verschärft dagegen die globale Klimakrise.
Nur mit der konsequenten Förderung erneuerbarer Quellen und drastisch erhöhter Energieeffizienz lassen sich Klimaschutz, Energieversorgung und Armutsbekämpfung wirklich versöhnen. Das belegen Erfolge solcher Programme beispielsweise in Indien. Die Förderung fossiler und nicht-nachhaltiger Energieprojekte wie Pipelines und Großkraftwerke sowie die Subventionierung von Gas- und Ölkonzernen muss aber sofort beendet werden. Trotz seines eindeutigen Bekenntnisses zu erneuerbaren Energien fehlt auch dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung diesbezüglich noch eine klare Haltung. Die Klima- und Energiepolitik der Weltbank kann nur so gut sein wie die ihrer wichtigsten Anteilseigner.

Angesichts der fossilen Beharrungstendenzen bei der Weltbank und anderen multilateralen Institutionen scheint die Hoffnung auf eine „neue Energiezukunft“ wohl besser bei der Gründung einer Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (International Renewable Energy Agency) aufgehoben. Das Arbeitsprogramm der Koalition in Deutschland enthält denn auch begrüßenswerterweise deren Förderung.