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Fachliteratur

„Freihandel“ im 19. Jahrhundert

Ob legal oder illegal – Rauschmittel bedeuteten historisch immer profitable Geschäfte. Verbote schaffen lukrative Schwarzmärkte für Mafiabanden. Aktuelle Bücher zeigen, dass der „Krieg gegen die Drogen“ gescheitert ist.
Karikatur der französischen Zeitschrift Le Rire im Jahr 1899. picture alliance/akg Karikatur der französischen Zeitschrift Le Rire im Jahr 1899.

Tom Wainwright ist der frühere Mexiko-Korrespondent der britischen Zeitschrift Economist. In seinem Buch „Narconomics“ vergleicht er Drogenkartelle mit multinationalen Unternehmen. Sie haben gemein, dass sie Profite maximieren, indem sie Rohstoffe beschaffen, verarbeiten lassen und dann Endprodukte an Verbraucher verkaufen. Der große Unterschied ist, dass kriminelle Organisationen Gewalt anwenden, um sich zu schützen, lokale Märkte zu monopolisieren und Absprachen durchzusetzen. Sie gehen auch Bündnisse mit korrumpierbaren staatlichen Akteuren ein.

Wainwright belegt überzeugend, dass Prohibition nicht funktioniert. Der „Krieg gegen die Drogen“, den die internationale Staatengemeinschaft grundsätzlich unterstützt, seit US-Präsident Richard Nixon ihn 1971 ausrief, hat nur einen riesigen Weltschwarzmarkt geschaffen. Einer der vier Kardinalfehler der Politik ist aus Sicht des Autors, Verbot mit Kontrolle zu verwechseln. Die Gangs kontrollieren das Geschäft, und für sie sind Substanzen umso lukrativer, je stärker sie abhängig machen. Um Kontrolle zu bekommen, müssen laut Wainwright Staaten den Markt regulieren (siehe Beitrag von Eleonore von Bothmer im Monitor des E+Z/D+C e-Papers 2018/11). Die Legalisierung von Cannabis in verschiedenen US-Staaten sieht er als Schritt in die richtige Richtung.

Als weitere drei Kardinalfehler benennt der Journalist:

  • den Fokus auf Blockade des Drogenangebots, wo doch das Grundproblem die Nachfrage sei,
  • allzu großzügige Finanzierung repressiver Maßnahmen, während zu wenig für Suchtvorbeugung getan werde, und
  • Handeln auf nationalstaatlicher Ebene, obwohl der Schwarzmarkt global sei und sich Handelsrouten schnell über andere Länder umlenken ließen.

Wainwrights Branchenkenntnisse sind profund. Er hat mit Spitzenpolitikern, Polizisten, Gangstern und Coca-Gaunern gesprochen. Er hat Gefängnisse in Zentralamerika ebenso besucht wie Cannabis-Geschäfte in Denver.

Er schreibt, früher hätten Hippies Legalisierung gefordert, um ungestört kiffen zu können. Heute sind die Forderungen Ausdruck des verantwortungsvollen Wunschs, Schaden zu verhindern. Wainwrights Fazit lautet: „Wenn es keinen echten Strategiewandel gibt, werden die Geschäftsbedingungen für die Mafia leider vielversprechend bleiben.“


Historische Zusammenhänge

Rauschmittel waren schon immer Waren mit hoher Handelsrelevanz, wie Lucy Inglis in „Milk of Paradise“ zeigt. Das Buch ist eine historische Bestandsaufnahme des Opiumhandels. Sie beginnt vor über 5000 Jahren im Mittelmeerraum und führt zu von ISIS kontrollierten Mohnfeldern in Afghanistan und der Bedeutung von Opiaten für heutige westliche Gesellschaften.

Eine Kernbotschaft des Buchs ist, dass Opium Segen und Fluch zugleich ist. Opiate sind nämlich unverzichtbare Schmerzmittel – aber Sucht kann Individuen, Familien und ganze Gemeinschaften zerstören. Zudem gedeiht die organisierte Kriminalität auf Schwarzmärkten.

Unter anderem erklärt Inglis, warum das Schlagwort „Freihandel“ heute in China und Indien keine Begeisterung auslöst. Im 19. Jahrhundert hatte China viele Opiumabhängige. Die Droge wurde über Guangzhou, das Europäer Kanton nannten, importiert. China wickelte damals seinen Außenhandel über diese Hafenmetropole im Perlfluss-Delta ab. Korruption war weit verbreitet. 1839 verbot der chinesische Kaiser das Opiumgeschäft – und löste so den ersten Opiumkrieg aus.

Der Krieg dauerte drei Jahre, und die britische Marine erwies sich als haushoch überlegen. Nach der Niederlage musste China vier weitere Häfen für Außenhandel öffnen, und Hongkong wurde zur permanenten britischen Niederlassung im Perlfluss-Delta. Inglis stellt dar, welche Bedeutung der Rauschgifthandel für britische Firmen hatte. Sie importierten Tee aus China nach England, und auf der Rückreise brachten sie Textilien nach Indien und dann auf der Weiterfahrt Opium von Indien nach China. Das Geschäftsmodell war so attraktiv, dass britische Händler indische Bauern zwangen, Opium statt Getreide und Linsen anzubauen. War die Ernte schlecht, bedeutete das Hungersnot. Die Doktrin des „Freihandels“ besagte aber, dass alles geschehen musste, was Händlern Profite brachte. Der indische Schriftsteller Amitav Ghosh hat übrigens eine faszinierende Romantrilogie darüber verfasst, wie es zum ersten Opiumkrieg kam.

Andere imperialistische Mächte bauten ihr Chinageschäft ebenfalls aus. Ihre Vormacht besiegelten Briten und Franzosen gemeinsam im zweiten Opiumkrieg von 1856 bis 1860. Wie Inglis ausführt, wurde China danach brutal ausgebeutet. Trost fanden viele Menschen im Opium. Schätzungen zufolge war bis zu einem Viertel der Bevölkerung süchtig. Als China nicht mehr genug eigene Produkte für den Außenhandel zur Verfügung standen, begann es sklavenähnliche Zwangsarbeiter („Coolies“) zu exportieren. Sie nahmen ihre Opiumgewohnheiten in die Länder mit, in die sie verschifft wurden. In den USA gab es folglich entlang der von Coolies gebauten Eisenbahnen Opiumhöhlen. Sie fanden sich in den China Towns – ob in San Francisco oder Kleinstädten im Wilden Westen.

Massenhafte Verbreitung fanden Opiate aber vor allem im amerikanischen Bürgerkrieg, wie Inglis schreibt. Die riesige Zahl grauenhaft verwundeter Soldaten machte den Einsatz von Schmerzmitteln nötig. Nach dem Krieg waren viele Veteranen traumatisiert – und obendrein abhängig. Ihre Opiat-Nachfrage erwies sich als nicht unterdrückbar.

In den 1920er Jahren herrschte in den USA dann auch noch ein Alkoholverbot. Mafiabanden übernahmen den Vertrieb von Schnaps und vermarkteten zugleich Rauschmittel wie Opium und Marihuana. Oft schafften sie die Waren aus Mexiko herbei. Bis heute bleibt die organisierte Kriminalität in den USA tief verwurzelt.


Literatur
Inglis, L., 2018: Milk of paradise – A history of opium. London: Macmillan.
Ghosh, A., 2008: Das mohnrote Meer. München: Blessing (Ibis-Trilogie I).
Ghosh, A., 2012: Der rauchblaue Fluss. München: Blessing (Ibis-Trilogie II).
Ghosh, A., 2016: Die Flut des Feuers. München: Blessing. (Ibis-Trilogie III).
Wainwright, T., 2016: Narconomics – Ein Drogenkartell erfolgreich führen. München: Blessing.

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Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.