Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Digitalisierung

Erwartungen an Digitalisierung in der Bildung nicht erfüllt

Digitalisierung ist der große Trend in allen Bereichen der Entwicklungspolitik, so auch in der Bildung. Diese Entwicklung geht jedoch an den wahren Bedürfnissen der Ärmsten vorbei. Das Versprechen, Digitalisierung sei ein Allheilmittel zur Überwindung analog ungelöster Defizite, ist eine Illusion. Vielmehr macht sie bedürftige Gesellschaften des globalen Südens noch weiter abhängig von westlichen Gebern.
Nicht alle Kinder haben die gleichen Möglichkeiten: Online-Unterricht per Smartphone in Zentral-Java in Indonesien während der Corona-Pandemie. WF Sihardian/picture-alliance/NurPhoto Nicht alle Kinder haben die gleichen Möglichkeiten: Online-Unterricht per Smartphone in Zentral-Java in Indonesien während der Corona-Pandemie.

Die internationalen Geber arbeiten auf Hochtouren daran, besonders im Bildungsbereich digitale Lösungen in Ländern des globalen Südens umzusetzen, und sie verlagern große Summen in entsprechende Finanztöpfe für Digitales. Man kann von einem Erdrutsch sprechen, den die thematische Fokussierung internationaler Entwicklungspolitik, beschleunigt von Covid-19, in kürzester Zeit erlebt hat. Vor allem im Bildungssektor sollte dabei jedoch stets die Frage nach Qualität und Sinnhaftigkeit von Digitalisierungsmaßnahmen gestellt werden.

Es besteht die Gefahr, dass sich ein bekanntes Muster der Entwicklungszusammenarbeit wiederholt: Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Zu viele Aspekte müssen gründlich abgewägt werden, als dass in so kurzer Zeit ein qualitativ hochwertiges digitales Angebot entstehen kann. Es ist beispielsweise unstrittig, dass es nicht ausreicht, nur Hardware anzuschaffen. Denn während es vielerorts nicht einmal eine ausreichende Stromversorgung gibt, verfügt laut UNESCO nur rund die Hälfte der Weltbevölkerung über eine stabile Internetverbindung.

Hinzu kommt, dass Schüler auch zu Hause häufig weder die nötigen PCs noch die Lernbedingungen vorfinden, um einem digitalen Unterricht angemessen folgen zu können. Lehrer bekommen ihrerseits kaum ausreichendes Training und qualifizierten technischen Support, und eine entsprechende Lern- und Lehr-Software ist selten vorhanden.

Die Ausarbeitung einer solchen Software erfordert Jahre. Sie soll nicht bloß dazu dienen, analoges Vorgehen mithilfe eines Bildschirms zu replizieren, sondern die tatsächlichen didaktischen Möglichkeiten digitaler Werkzeuge auszuschöpfen. Meist wird außer Acht gelassen, dass die Digitalisierung von Schulen ebenso einen funktionierenden technischen Support erfordert, der jeder Schule unabhängig von ihrem Standort gleichermaßen zugänglich sein muss. Die entsprechenden Mitarbeiter müssen ihrerseits für die Behandlung von Hardware- und Softwareproblemen geschult werden, erreichbar und verlässlich sein. Der finanzielle und logistische Aufwand dieser Lösung wird somit in seinen Grundzügen deutlich.

Es braucht Gewissheit, dass ein solch umfassender Service lückenlos und landesweit bereitgestellt wird, sonst kann das Modewort Digitalisierung unmöglich die hohen Erwartungen im Bildungssektor erfüllen. Vielmehr entsteht bei einem punktuellen Einsatz das Risiko wachsender Bildungsungleichheit und schlechterer Lernbedingungen – das Gegenteil dessen, was sich die internationale Gemeinschaft erhofft.

Die Herausforderungen für digitale Bildung im globalen Süden sind so umfassend, dass sie in keinster Weise durch Digitalisierung allein adressiert werden können. Wenn Lehrkräfte von ihren Löhnen nicht leben können und der Unterricht aus verschiedenen Gründen häufig ausfällt, dann müssen zunächst diese Probleme angegangen werden, um die Grundlagen für gute Bildung zu schaffen.

Digitalisierung ist nicht selbstgerecht und darf Gesellschaften nicht kurzsichtig übergestülpt werden. Sie ist nur ein Mittel zum Zweck, der vielschichtig ist und individuell angepasste Lösungen braucht. Die Pandemie weckt in uns den Wunsch nach positiven Nachrichten darüber, dass aus jeder Krise auch Chancen erwachsen können. Doch Sehnsucht ist kein guter Berater in einem Politikfeld, das einen langen Atem braucht, um nachhaltige Erfolge verbuchen zu können. Digitalisierung kann daher auch erst dann als Heilsbringer im Bildungssektor angesehen werden, wenn die Grundlagen dafür geschaffen und in ihre Umgebung verwurzelt wurden. Es darf kein Wettrennen zwischen Gebern entstehen, welches quantitative Erfolge und Berichtszahlen über den tatsächlichen Nutzen digitaler Bildungswerkzeuge im globalen Süden stellt.


Julia Maria Fesser studiert Public Policy an der Hertie School in Berlin und der Sciences Po in Paris. Zuvor arbeitete sie im GIZ-Verbindungsbüro zur Afrikanischen Union in Addis Abeba.
julia@jfesser.de