Virtuelle Kriegsführung
Aufstrebende digitale Mächte
Es gibt verschiedene digitale Möglichkeiten, Schaden anzurichten. Beispielsweise können Websites, Server und Netzwerke mit externen Kontaktaufnahmen so überfordert werden, dass sie die gewohnten Leistungen nicht mehr liefern können (Distributed Denial of Service – DDOS). Möglich sind auch falsche Alarmmeldungen bei Polizei, Feuerwehr und Notärzten (Swatting) oder Angriffe mit virenbehafteter Software. Die Folgen können katastrophal sein und sowohl Zivilisten als auch militärische Einheiten betreffen, warnen Jason Chumtong und Christina Stolte in der jüngsten Ausgabe der KAS-Zeitschrift Auslandsinformationen.
Den Ausführungen zufolge bauen manche Länder ihre Cyber-Kapazitäten besonders stark aus. Beispiele sind laut Autorenpaar Venezuela, Iran und Russland. Westliche Regierungen müssten sich darauf einstellen, dass nicht alle zu den traditionellen Großmächten gehören, sondern dass auch vergleichsweise kleine Staaten mitmischen.
Venezuela sei zwar von tiefer politischer Spaltung und humanitären Krisen (Nahrungsmittelknappheit, Hyperinflation und Armut) betroffen, habe aber dennoch ein erstaunlich großes digitales Subversionspotenzial. Dem KAS-Aufsatz zufolge belegt ein bekannt gewordenes internes Papier aus Venezuelas Innenministerium über die Schaffung einer „Trollarmee für die bolivarische Revolution“, wie sich die Regierung auf digitale Kriegsführung vorbereitet. Tatsächlich seien militärisch organisierte Truppen im Internet aktiv, um die demokratische Opposition zu stören und Fehlinformation zu verbreiten. Zu diesem Zwecke würden Tausende von Seiten in sozialen Medien betrieben. Während der Proteste gegen Präsident Maduro hätten 2019 automatisierte Programme („Bots“) für etwa 80 Prozent der Stellungnahmen zugunsten des Regimes gesorgt. Verschiedene Länder hätten seinerzeit Sanktionen gegen Venezuela beschlossen – und wären dann zu Zielscheiben von Desinformationskampagnen geworden.
Chumtong und Stolte schreiben, die Islamische Republik Iran habe schon früh mit der Gründung des Supreme Council for Cyber Space 2012 begonnen, einschlägige Kapazitäten aufzubauen. Das Land sei selbst Opfer eines virtuellen Angriffs geworden, aber schon 2013 hätten dann dem Regime nahestehende Hacker ernsthafte wirtschaftliche Schäden in den USA verursacht. Sie hätten sich des Twitter-Accounts der Nachrichtenagentur AP bemächtigt und Falschmeldungen über das Weiße Haus verbreitet. In der Folge sei der Dow-Jones-Aktienindex um 150 Punkte eingebrochen.
Überraschend aktiv ist aus Sicht von Chumtong und Stolte auch Russland im Cyberraum. Sie nennen mehrere Beispiele wie etwa digitale Angriffe auf estnische Behörden 2007 oder den Deutschen Bundestag 2015. In der Ukraine sei die Energieinfrastruktur attackiert worden und in den USA staatliche Institutionen. Die Fäden hätten russische Geheimdienste gezogen. Relevant gewesen sei die „Fancy Bear“ genannte Hackergruppe. Russische Social-Media-Aktivitäten hätten zudem Einfluss auf das Brexit-Referendum 2016, auf die Präsidentschaftswahl der USA im selben Jahr und auf das katalanische Unabhängigkeitsreferendum 2017 genommen.
Wie im Aufsatz erläutert, ist es schwierig und zeitaufwendig, die Standorte der Angreifenden festzustellen. Wer Vorwürfe erhebe, löse obendrein oft nur Leugnung und Streit aus. Die Öffentlichkeit nehme Cyber-Aggressionen kaum zur Kenntnis, obwohl sie zunehmend auf nationaler und internationaler Ebene die Meinungsbildung beeinflussen. Chumtong und Stolte raten deshalb Regierungen, Abwehrkapazitäten aufzubauen.
Quelle
Chumtong, J., und Stolte, C., 2021: Digitale Technologie als neue Machtressource.
https://www.kas.de/de/web/auslandsinformationen/artikel/detail/-/content/digitale-technologie-als-neue-machtressource
Rishikesh Thapa
ist Praktikant in der Redaktion von E+Z/D+C.
official.anthro58@gmail.com