Tunesien

Revolutionstourismus

Tourismus ist eine wichtige Säule der tunesischen Wirtschaft. Die Revolutionswirren der vergangenen Jahren haben ihn jedoch stark beeinträchtigt. Anders als in anderen nordafrikanischen Ländern ist der Übergang zur Demokratie in Tunesien aber gelungen. Nun müssen Arbeitsplätze geschaffen werden, um die neue Verfassung zu stabilisieren. Die neue Regierung muss eine Strategie entwickeln, um Besucher ins Land zu locken. Der Terroranschlag im März war allerdings kein gutes Omen.
Großer Sprung: Tunesien könnte viel mehr Touristen anlocken. Chebbi Großer Sprung: Tunesien könnte viel mehr Touristen anlocken.

National Geographic hat Tunesien kürzlich auf die Liste der „Top-Reiseziele des Jahres 2015“ gesetzt. Für den Economist war es bereits das „Land des Jahres 2014“. Das ist ein großer Erfolg für eine Nation, die innerhalb von vier Jahren eine Revolution, den Übergang zur Demokratie und vier Parlaments- und Präsidentschaftswahlen durchlaufen hat.

Wichtig sind auch die Sicherheit und die wirtschaftliche Lage im Land. Beide beeinflussen den Tourismus, der lange Zeit von großer Bedeutung für die Volkswirtschaft war. Positive Berichterstattung in internationalen Zeitschriften ist insofern hilfreich.

Im Jahr 2010 machte der Tourismus sieben Prozent des tunesischen BIPs aus; mehr als 20 Prozent der Deviseneinnahmen kamen aus dieser Branche. Mit dem Geld, das die Touristen im Land ausgaben, konnten 56 Prozent des Handelsbilanzdefizits ausgeglichen werden. Zudem beschäftigte die Tourismusindustrie etwa 85 000 Menschen und gab indirekt weiteren 315 000 Menschen Arbeit. 2010 kamen rund 14 Millionen Besucher nach Tunesien, und die Branche machte einen Umsatz von 12,5 Milliarden Dollar.

Zu den Attraktionen des Landes zählen die Hauptstadt Tunis, die Ruinen von Karthago, die muslimischen und jüdischen Viertel von Djerba und etliche Badeorte. Mehr als 95 Prozent der Hotels liegen an der Ostküste. Europäer schätzen Tunesien als sonniges Ziel für Kurztrips.

Das Geld aus dem Tourismus spielt eine wichtige Rolle für Hotellerie und Gastronomie, Fluglinien und den Einzelhandel. Reiseveranstalter, Fahrer, Touristenführer und viele andere verdanken den Besuchern ihren Job. Der Sektor bietet Unternehmern Chancen und hilft anderen Branchen zu wachsen.
 

Rückschläge

In den vergangenen Jahren hatte der Tourismus jedoch schwer zu kämpfen. Die Besucherzahlen sanken zunächst 1990 im Zuge des Golfkriegs, dann noch einmal nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Negative Auswirkungen hatten auch der Bombenanschlag auf eine Synagoge auf der Urlaubsinsel Djerba und der 2003 begonnene Irakkrieg. Der Tourismus schaffte es jedoch immer wieder, sich zu erholen. Hoffentlich wird das auch jetzt nach dem Anschlag auf das Bardo Museum in Tunis wieder bals so sein.

Als schwerwiegend erwies sich die Revolution im Jahr 2011. Nach dem Volksaufstand und dem Fall von Diktator Zine el-Abidine Ben Ali sprachen einige ausländische Regierungen Reisewarnungen aus. Veranstalter stornierten bereits gebuchte Reisen und legten ihren Kunden andere Reiseziele nahe. Die Hotels in den Touristen-Hochburgen waren kaum ausgelastet, kleine Unternehmen verloren ihre gesamten oder einen Großteil ihrer Einkünfte.

Nach Ben Alis Flucht nach Saudi-Arabien verließen allein in der letzten Januarwoche 210 000 Touristen das Land, der Umsatz sank um 178 Millionen Dollar. Im gesamten Jahr 2011 wurden insgesamt lediglich 4,7 Millionen Touristen in Tunesien registriert – ein Drittel der Anzahl des Vorjahrs.

Nachdem einige Reisewarnungen aufgehoben worden waren, begann sich der Tourismus ab April 2011 langsam zu erholen. Dann aber machte ein Anschlag auf die US-Botschaft und eine amerikanische Schule in Tunis im September 2012 alles wieder zunichte. Terrorismus und islamistische Agitation haben dem Land stark geschadet.

Hinzu kam die politische Instabilität. Das Ministerium für Tourismus war nicht in der Lage, auf die negativen Schlagzeilen nach den Terroranschlägen zu reagieren. Immer wieder wechselte das Kabinett. Seit Januar 2011 gab es sechs verschiedene Tourismusminister. Unter diesen Umständen war es unmöglich, eine PR-Strategie zu entwickeln. Das Ministerium bekam die Dinge erst im vergangenen Jahr langsam wieder in den Griff.

Heute beschäftigt die Branche rund 22 000 Menschen weniger als noch im Frühjahr 2011. Insbesondere Saisonarbeiter sind von den Kürzungen betroffen.


Eine bessere Zukunft

Aber es geht bergauf. Anders als Ägypten und Libyen bewegt sich Tunesien Richtung Demokratie. Das Land hat eine neue Verfassung, auf deren Grundlage das neue Parlament und der neue Präsident gewählt wurden. Dank des erfolgreichen Übergangs zu einer neuen Ordnung interessiert sich das Ausland wieder mehr für Tunesien.

Das Land kann sich nun als „Start-up-Demokratie“ vermarkten. Diesen Begriff prägte Amal Karboul, tunesische Tourismusministerin von Anfang 2014 bis Anfang 2015. Karboul entwickelte eine Marketing-Strategie, die den Fortschritt des Landes hervorhob. Ihr Social-Media-Ansatz war beliebt, ihre Leidenschaft für Selfies kam in der Öffentlichkeit gut an. Social Media sei eine günstige Alternative zur herkömmlichen Werbung, betonte sie.

Auch sonst unternahm sie Schritte in die richtige Richtung. In enger Zusammenarbeit organisierten die Ministerien für Tourismus und Kultur im vergangenen Jahr das Electronic Dunes Music Festival – und zwar an einem ehemaligen Star Wars-Drehort. Dem folgte das Electronic Revolution Festival am Strand von Korbous. Im Februar kamen bereits 8000 zahlende Gäste aus Tunesien und Europa zur zweiten Ausgabe von Electronic Dunes.

Natürlich sind nicht nur die Sahara, die Küstengebiete und archäologische Stätten touristisch interessant. Auch Städte im Landesinneren, wo es an Jobs, aber nicht an Attraktionen fehlt, könnten von Besuchern profitieren. Bisher ist Kulturtourismus jedoch nicht systematisch aufgezogen worden. Die Regierung wäre gut beraten, eine Strategie zu entwickeln, um die Städte im Landesinneren besser zu vermarkten.

Es gibt viel ungenutztes Potenzial. Das Volk der Capsier etwa ließ sich vor 12 000 Jahren in der heutigen Stadt Gasfa nieder. Sie waren die ersten Menschen, die sich in Tunesien ansiedelten. Die Region verfügt über ein reiches kulturelles Erbe, aber wie viele andere Städte im Zentrum und Süden des Landes ist sie wirtschaftlich und sozial marginalisiert. Der Tourismus könnte das verändern.

Außerdem sollte Tunesien so etwas wie einen Revolutionstourismus anstreben. Viele Menschen sind wütend, weil der Sturz der Diktatur nicht richtig dokumentiert wurde. Mit Museen, Ausstellungen und Veranstaltungen zur jüngsten Geschichte des Landes könnte man viele Besucher anlocken.

Etwa 12 Prozent aller Jobs sind dem Tourismus zu verdanken. Er spielt eine entscheidende Rolle für die wirtschaftliche Erholung – und leidet, wenn Reisende Sicherheitsbedenken haben. Daher braucht es gute Strategien für die Branche und zügige Umsetzung. Seit Bildung der neuen Regierung verzögert sich die Verabschiedung eines neuen, dringend benötigten Terrorgesetzes. Terror wie jüngst in Tunis darf sich nicht wiederholen.

Zudem benötigt die gesamte tunesische Wirtschaft eine Generalüberholung und eine umfassende Vision. Mehr Touristen ins Land zu holen ist Teil der Lösung – aber keine Lösung an sich. Tunesien braucht ein solides Budget, eine gute makroökonomische Verwaltung und politische Strategien zur Investitionsförderung.

Regierung, Medien, Unternehmer und auch die tunesischen Bürger sind dafür verantwortlich, das Beste aus dem Tourismus herauszuholen. Es gilt, sich als Land mit reicher Geschichte, tollen Landschaften und kultureller Vielfalt zu präsentieren. Gut wäre es auch, wenn die Europäer verstünden, dass sie als Touristen in Tunesien zur Stabilisierung der ersten konstitutionellen Demokratie in der arabischen Welt beitragen.

Beitrag wurde am 19.3.2015 aktualisiert .

 


Die in diesem Essay genannten Zahlen stammen vom tunesischen Statistikamt.


 

Aya Chebbi ist tunesische Bloggerin.
Blog: Proudly Tunisian.
http://aya-chebbi.blogspot.com/