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Geldhäuser

Zu geringe Bandbreite

Damit Unternehmen und Wirtschaft gedeihen können, brauchen Entwicklungsländer eine breite Vielfalt an Finanzinstitutionen. Die weltweite Standardisierung dieses Sektors dient ihnen nicht, sondern bremst ihren ökonomische Fortschritt.
Banken für ländliche Entwicklung benötigen andere Regeln als multinationale Investmentbanken: Bauernmarkt in den peruanischen Anden. Dembowski Banken für ländliche Entwicklung benötigen andere Regeln als multinationale Investmentbanken: Bauernmarkt in den peruanischen Anden.

Viele meinen, Entwicklungsländer – insbesondere einige der großen Schwellenländer – hätten die globale Finanzkrise gut überstanden. Tatsächlich gibt es Hinweise, dass die Krise die Industrieländer – zunächst die USA und dann Europa – geschwächt hat, während einige Entwicklungsländer ihre wirtschaftlichen Erfolge ausbauen konnten und so die globale Verschiebung der ökonomischen Kräfteverhältnisse beschleunigt haben.

Dennoch ist diese Sicht allzu einfach. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass Schwellenländer sich ökonomisch nicht von den reichen Industrienationen abkoppeln konnten. Entwicklungsländer – und dies gilt auch für Wirtschaftsriesen wie China – sind weder immun gegen die Stürme, die auf den Finanzmärkten der Industrieländer toben, noch gegen die Auswirkungen der Rezession im Herzen des Kapitalismus.

In den vergangenen Jahren gab es ein bemerkenswertes Maß an globaler Synchronizität bei den Wachstumsraten. Rezessive Tendenzen übertragen sich dabei auf mehreren Wegen. Relevant sind Veränderungen

  • des Exports von Gütern und Dienstleistungen,
  • der internationalen Kapitalflüsse,
  • der Migrationsmuster und Heimatüberweisungen ("Remittances") und
  • der Weltmarktpreise für Güter des täglichen Bedarfs wie Öl und Nahrungsmittel.

 

Nutzlose Volatilität

Schwankende Kapitalflüsse sind höchst relevant. Die Liberalisierung der vergangenen Jahrzehnte hat schnelle Bewegung hochmobilen Finanzkapitals ermöglicht. Der globale Süden implementierte eine recht homogene Politik, was zur stärkeren Integration der Kapitalmärkte führte. Dabei entstanden aber fast überall neue und ähnliche Formen finanzieller Fragilität.

Heute kann jeder neue globale Trend Finanzströme in ein Entwicklungsland hinein oder aus ihm heraus bewirken, selbst wenn sich an den realen Grundlagen dieses Landes gar nichts ändert2009 haben nicht etwa die Aktienmärkte im Epizentrum der Krise – den Industrieländern – am schlechtesten abgeschnitten, sondern die in Schwellenländer wie China, Brasilien und Indien. Dabei waren deren Eckdaten sehr viel vorteilhafter als etwa die der USA.

Offensichtlich spiegelt der Abzug international mobilen Finanzkapitals aus den Entwicklungsländern heraus hin zum hoch entwickelten Zentrum des Kapitalismus in Phasen globaler Turbulenzen nicht unbedingt eine objektive Bewertung der jeweiligen aktuellen und künftigen Aussichten wieder. Er zeigt vielmehr, wie unvollkommen und ineffizient die globalen Kapitalmärkte sein können und in welchem Maße die Flucht in sichere Anlageformen von Kriterien geleitet ist, die nicht ökonomischer Natur sind.

 

Turbulente Rohstoffmärkte

Die zunehmende Finanzspekulation auf Rohstoffmärkten belastet die Entwicklungsländer ebenfalls. Deregulierung hat dazu geführt, dass eine wachsende Zahl von Akteuren grenzenlos an den Rohstoffbörsen aktiv werden kann und dass die Spekulation dramatisch zugenommen hat. Als Konsequenz haben Preise auf dem Weltmarkt in den vergangenen Jahren exzessiv geschwankt.

Nicht nur die Getreide- und andere Nahrungsmittelpreise änderten sich deutlich, auch Erdöl und mineralische Ressourcen wurden erheblich teurer. Ursache dieser Volatilität ist eindeutig spekulatives Verhalten. Dessen Auswirkungen sind jedoch nicht auf die Finanzmärkte beschränkt, sondern betreffen auch die Realwirtschaft der Entwicklungsländer.

Alle Entwicklungsländer spüren diese Kräfte, ihre Wirkung ist aber nicht überall gleich. Der Grad der Ansteckungsgefahr und die Wahrscheinlichkeit lokaler Finanzkrisen hängen vor allem davon ab, in welchem Maß das jeweilige Land seinen Finanzsektor liberalisiert hat. Länder mit Leistungsbilanzdefiziten und hoher Auslandsverschuldung stehen vor besonderen Problemen.

Diejenigen Entwicklungsländer, die ihre Finanzmärkte nach US-Vorbild besonders weitgehend dereguliert haben – Indonesien zum Beispiel –, stehen unter dem größten Druck. Ihnen drohen heimische Finanzkrisen.

Dagegen ist China, dessen Banken noch immer größtenteils staatlich gesteuert werden, vor Ansteckung relativ geschützt – und zwar trotz des explosiven Wachstums des chinesischen Schattenbanksystems. Die Volksrepublik hat viele der „Finanzinnovationen“, die zu den aktuellen globalen Verwerfungen geführt haben, nie zugelassen.

 

Verlorene Vielfalt

Der Erfahrung zeigt, dass die globale Homogenisierung des Finanzsektors in den vergangenen Jahrzehnten schädlich war. Die Regeln, die sich weltweit herausbildeten, haben zu konformistischem Verhalten der Banken geführt – und deshalb sind diese Institutionen jetzt weniger robust und anfälliger für Ansteckungen.

Weder die gegenwärtige Regulierungspraxis noch die verbreiteten Reformvorschläge erkennen das Problem der "Über-Homogenisierung" an. Dieser Trend muss aber umgedreht werden. Sämtliche Banken dieselben Geschäftsmodelle anwenden zu lassen und sie denselben Regeln zu unterwerfen, führt in eine Sackgasse (siehe Kasten). Herdenverhalten verschlimmert nämlich Exzesse. Das gilt sowohl für irrationalen Überschwang in Boomjahren als auch für die hektische Reduktion der Bilanzsummen, die derzeit stattfindet.

Weniger Vielfalt bedeutet auch in der Finanzwirtschaft weniger Widerstandsfähigkeit. In den Entwicklungsländern hat der Verlust and Diversität noch weitere Konsequenzen. Vor allem sinkt ihre Fähigkeit, heimische Spareinlagen in Investitionen zu lenken. Typischerweise sind Banken nunmehr weniger bereit, kleine und mittlere Unternehmen, Genossenschaften und kleine Gewerbetreibende mit Kredit zu versorgen. Solche Klienten treiben zwar die lokale Wirtschaftsentwicklung voran, aber sie sind wegen relativ kleiner Geschäftsvolumina für Banken kaum attraktiv.

Historisch operierten Kleinunternehmer stets jenseits des formalen Finanzsektors, und jüngst ist für sie der Zugang zu günstigen Krediten wieder schwieriger geworden.  Sie brauchen aber solide Finanzdienstleistungen. Das Mikrofinanzwesen reicht nicht, denn es ist zu teuer und zu kurzfristig aufgestellt. Um KMU zu fördern, können auch Subventionen nötig sein.

Jedenfalls sollten Zentralbanken und Aufsichtsbehörden kreativ und flexibel agieren. Sie müssen sicherstellen, dass unterschiedliche Arten von Finanzinstitutionen (von lokalen Genossenschaften bis hin zu staatlichen Entwicklungsbanken) traditionell marginalisierte Wirtschaftsakteure bedienen: kleine und mittlere Unternehmen, Selbständige, Bauern, Frauen und Landlose ohne pfändbare Sicherheiten.

Entwicklungsländer benötigen eine breite Palette an Finanzinstitutionen. Die weltweite Vereinheitlichung dieses Sektors und die zunehmend standardisierte Regulierung schränkt aber die Bandbreite für das Entstehen und Überleben verschiedener Banktypen ein. Die Vielfalt, die im globalen Süden Finanzdienstleistungen voranbringen muss, schwindet.

Die Regeln, die für multinationale Investmentbanken oder landesweit agierende Geschäftsbanken gelten, dürfen nicht auch staatlichen Entwicklungsbanken, lokalen Sparkassen und Genossenschaftsbanken auferlegt werden. Stattdessen muss die Vielfalt des Finanzwesens auf unterschiedlichen Ebenen und mit unterschiedlichen Mitteln gefördert werden. Zentralbanken und Regulierungsbehörden sollten

  • Finanzinstitute ermutigen oder sogar zwingen, sich auf spezifische Felder zu spezialisieren,
  • sich der Vereinheitlichung des Risikomanagements in verschiedenen Banken entgegenstellen und stattdessen auf die Diversität von Risikomodellierung entsprechend unterschiedlicher Leistungsportfolios achten, 
  • die Gründung und den Ausbau staatlicher Entwicklungsbanken unterstützen, für die andere Regeln gelten müssen als für Geschäftsbanken,
  • das nationale Netzwerk aus öffentlichen Entwicklungsbanken stärken, deren Finanzdienstleistungen unzureichend versorgten Gemeinschaften nutzen, und dabei Synergien ermöglichen, und
  • gewährleisten, dass branchen- und kundenspezifische Institute Regeln unterliegen, die ihrer jeweiligen Aufgabe (Agrarbank oder Genossenschaftsbank etwa) gerecht werden.

Wenn die G20 (Gruppe der 20 wichtigsten Volkswirtschaften) die Bedürfnisse der Mehrheit der Weltbevölkerung angemessen repräsentieren will, muss sie die hier genannten Argumente bedenken. Es geht darum, eine internationale Finanzarchitektur zu schaffen, die die Notwendigkeit der Bankendiversität anerkennt, weil diese institutioneller Instabilität und Marktvolatilität vorbeugt oder diese Phänomene zumindest reduziert.

Bislang hat sich die G20 dieser Herausforderung nicht gestellt. Es ist zu früh, um die Gründe dafür zu analysieren. Möglicherweise liegt es an der Struktur dieses informellen Global-Governance-Gremiums. Vielleicht blockiert auch Interessenspolitik in großen Mitgliedstaaten das Vorankommen. Seit Ausbruch der Krise 2007/08 scheinen globale Entscheidungsträger jedenfalls den Interessen des Finanzkapitals Vorrang vor den Interessen ihrer Bürger gegeben zu haben.

 

Jayati Ghosh ist Ökonomieprofessorin an der Jawaharlal Nehru Universität in Delhi.

jayatijnu@gmail.com