Journalismus

Mutige Nobelpreisträgerin kämpft für die Wahrheit

Die unabhängige Website Rappler ist zu einer unverzichtbaren Informationsquelle auf den Philippinen geworden. Ihre Beziehung zum Social-Media-Giganten Facebook ist kompliziert.
Maria Ressa mit einem Rappler-T-Shirt bei der Nobelpreisverlosung in Oslo im Dezember 2021. picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Alexander Zemlianichenko Maria Ressa mit einem Rappler-T-Shirt bei der Nobelpreisverlosung in Oslo im Dezember 2021.

Maria Ressa ist eine mutige Journalistin, die es wagt, den Mächtigen die Wahrheit zu sagen. Ihre Nachrichtenseite Rappler ist international bekannt, und im Dezember wurde sie mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Das Nobelpreiskomitee würdigte sie und den russischen Journalisten Dmitri Muratow von der Zeitung Nowaja Gaseta für ihre demokratiefördernde Arbeit, weil sie das Recht auf freie Meinungsäußerung ausleben und sich nicht den autoritären Tendenzen ihrer Regierungen beugen.

Ressa kämpft regelmäßig mit Widrigkeiten. „In weniger als zwei Jahren hat die philippinische Regierung zehn Haftbefehle gegen mich erlassen. Ich musste zehnmal eine Kaution hinterlegen, nur um meine Arbeit machen zu können“, sagt sie. Einmal wurden sie und ein ehemaliger Kollege für einen Artikel wegen Verleumdung im Internet verurteilt, den sie veröffentlicht hatten, bevor dieser Straftatbestand überhaupt Gesetz war. „Zusammengerechnet könnten mich die drohenden Anklagepunkte für etwa 100 Jahre ins Gefängnis bringen“, schätzt Ressa.

Internationale Aufmerksamkeit

Dennoch schätzt sie sich glücklich, weil ihr internationale Anwälte und Menschenrechtsgruppen Schutz bieten. Ein Beispiel ist die #HoldTheLine Coalition – ein globales Kollektiv von 78 unabhängigen Organisationen. Ressa weiß, dass viele verfolgte Journalisten viel weniger Aufmerksamkeit bekommen, während „Regierungen ungestraft den Druck erhöhen“.

Zwischen Juni 2016, als der Rechtspopulist Rodrigo Duterte mit knapp 40 Prozent der Stimmen Präsident wurde, und der Nobelpreisverleihung im Dezember 2021 in Oslo, wurden laut Ressa 22 Journalisten auf den Philippinen ermordet. Duterte hat insgesamt eine miserable Menschenrechtsbilanz (siehe Kasten).

Duterte verdankt seinen Aufstieg in großem Maße einer Desinformationskampagne in Social Media. Ressa befürchtet, dass Netzwerke, die Falschinformationen in den sozialen Medien streuen, auch die Präsidentschaftswahlen im Mai beeinflussen könnten (siehe Alan Robles auf www.dandc.eu). Ihre News-Seite Rappler berichtete darüber, wie digitale Plattformen zur Verbreitung von Fake News und zur Manipulation der öffentlichen Meinung genutzt werden. Daraufhin entfernten Facebook und Twitter einige gefälschte Konten. Die Lage bleibt aber problematisch. „Wie kann man die Integrität der Wahlen gewährleisten ohne eine Integrität der Fakten?“, fragt Ressa rhetorisch.

Facebooks großer Einfluss 

Ressas hat gemischte Erfahrungen mit Facebook gemacht. Einerseits war das multinationale Unternehmen aus dem Silicon Valley manchmal ein wertvoller Partner, andererseits erleichtert es Propaganda und Lügen.

Mehr als 70 Millionen Menschen nutzen Facebook auf den Philippinen. Laut dem philippinischen Social Weather Survey nutzten im ersten Quartal 2019 rund 14 Millionen Erwachsene die Plattform als tägliche Nachrichtenquelle.

Auch Rappler begann 2011 auf Facebook – als eine Community-Seite namens MovePH. Sie entwickelte sich zu einer multimedialen News-Website. Die Facebook-Präsenz von Rappler führte in den ersten Jahren zu einem großen Publikumswachstum. MovePH verfolgt nach wie vor den Zweck, Bürgerinnen und Bürger dazu zu ermutigen, sich für den Schutz der Menschenrechte, Bürgerrechte und der Umwelt einzusetzen.

Facebook hat jedoch auch eine viel dunklere Seite. Social-Media-Plattformen verhalfen Duterte zu einem knappen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen 2016. Laut einer Studie der Universität Oxford überschwemmten gefälschte Nutzerkonten Social Media mit Falschnachrichten und trieben die Zahl der Likes und Shares in die Höhe. Laut den Autoren wurden Trolle angeheuert, um Propaganda zu verbreiten und Dutertes Gegner anzugreifen. Infolgedessen schien Duterte beliebter zu sein, als er tatsächlich war.

Natürlich bestreiten Dutertes Leute derartige Anschuldigungen. Zahlreiche Berichte zeigen jedoch, dass gut organisierte und koordinierte Social-Media-Kampagnen Duterte zum Präsidentschaftssieg verholfen haben (siehe Alan Robles auf www.dandc.eu). Einer seiner Wahlkampfmanager sagte gegenüber Rappler, dass „Influencer“ mit vielen Followern auf Social Media für sein Team arbeiteten.

Journalisten unter Beschuss

Als Duterte Präsident wurde, machten die Trolle weiter. Neben vielen anderen wurde auch Rappler angegriffen. Patricia Evangelista, eine Reporterin für Rappler, erinnert sich: „Wir wurden als ‚Lügner‘ und ‚Fake News‘ beschimpft. Unsere Lizenz war in Gefahr. Wir verloren viele Anzeigenkunden.“ Rappler-Mitarbeiter wurden aus dem Präsidentenpalast verbannt, und man schikanierte sie und andere Kolleginnen: „Weil wir Frauen sind, drohte man uns unter anderem mit Vergewaltigung.“ Besonders schlimm wurde es immer dann, wenn Rappler lange investigative Artikel veröffentlichte, etwa über außergerichtliche Hinrichtungen.

Evangelista lobt die Haltung ihrer Chefin Maria Ressa: „Sie hat große persönliche Opfer gebracht und ist nicht weggelaufen, hat sich nicht versteckt und keine Kompromisse gemacht.“ Sie ermutigte ihr Team, die Wahrheit herauszufinden.

Ein Stück weit ist sich Facebook der Probleme mittlerweile mehr bewusst. So ist Rappler jetzt ein Partner von Facebook bei Faktenchecks, um die Verbreitung von Falschnachrichten zu verhindern.

Die Marcos-Familie kehrt zurück

Hintergrund sind Rappler-Veröffentlichungen, die 2019 aufdeckten, dass die Marcos-Familie ihr Image durch Desinformationskampagnen aufbessern wollte. Ferdinand Marcos war der Diktator, der im Exil starb, nachdem er 1986 von der People’s-Power-Bewegung gestürzt worden war. Sein Sohn Ferdinand „Bongbong“ Marcos Jr. kandidiert derzeit für das Präsidentenamt. Rappler deckte auf, wie Propaganda auf Facebook und YouTube den Ruf der Familie aufpolieren sollte. Einschlägige Beiträge leugneten systematisch die massive Korruption und die brutalen Menschenrechtsverletzungen durch Ferdinand Marcos.

Auf die Berichterstattung von Rappler hin löschten Facebook und Twitter Konten, die die Marcos-Familie unterstützten. Die Familie selbst bestritt jegliche Beteiligung. Die Desinformation folgt wohlbekannten Mustern, sie ähnelt den Aktionen der Duterte-Trolle. Beobachter nehmen an, dass es sich zu einem großen Teil um dieselben Akteure handelt. Immerhin kandidiert Sara Duterte-Carpio, die Tochter des derzeitigen Staatschefs, aktuell als Vizepräsidentin.

Einige gefälschte Konten wurden gesperrt, aber es ist leicht, neue zu erstellen. Desinformation und Propaganda gehen weiter. Ende Januar enthüllte ein weiterer Rappler-Artikel, dass einige Facebook-Seiten und -Konten sowohl die Marcos-Familie als auch die Duterte-Regierung unterstützten. Darin hieß es, falsche Behauptungen seien in der zweiten Hälfte des Jahres 2021 „aggressiver“ verbreitet worden und sollten die „Glaubwürdigkeit der Medien untergraben“.

Koalition gegen Desinformation

Um die Situation zu verbessern, hat sich Rappler mit Partnern wie der National Union of Journalists of the Philippines (NUJP) zusammengetan. Ende Januar riefen sie #FactsFirstPH ins Leben. Der Koalition gehören mehr als 100 Gruppen an, unter anderem aus Kirche, Jurisprudenz, Medien und Zivilgesellschaft. Sie wollen zur Integrität der Wahlen beitragen, indem sie die Integrität der Fakten sicherstellen. Dies soll mit Instrumenten wie Faktenchecks und Kampagnen gegen Falschbehauptungen erreicht werden, um für die Bedeutung von Fakten zu sensibilisieren. Zudem wollen sie Online-Lügner rechtlich verfolgen.

Der Gesetzgeber könnte sie dabei unterstützen. Ressa fordert ein Gesetz, das Unternehmen bestraft, die die Verbreitung von Lügen und Desinformationen auf ihren Plattformen zulassen. Sie möchte, dass digitale Plattformen als Verlage eingestuft werden, die für den Inhalt ihrer Websites verantwortlich sind.

Solche Regeln wären auch international sinnvoll. Ein großes Problem ist, dass Social-Media-Plattformen nach US-Recht nicht für nutzergenerierte Inhalte haftbar sind. Da die wichtigsten Unternehmen in den USA sitzen, hat das weltweite Auswirkungen, vor allem in Form von Desinformation.


Emmalyn Liwag Kotte ist freiberufliche Journalistin und lebt in Deutschland.
emmalyn320@hotmail.com