Unsere Sicht

Den Wert von Müll erkennen

Müll ist wertvoll. Das müssen Entscheidungsträger verstehen, damit die dringend nötige Umstellung auf eine faire Kreislaufwirtschaft gelingen kann.
Informelle indonesische Müllverwerterin. picture-alliance/EPA/DEDI SINUHAJI Informelle indonesische Müllverwerterin.

Beißender Rauch wabert über Berge von Schrott, Plastikteile, verrottende Lebensmittel, Flaschen und kaputte Elektronik. Vögel mit dreckigem Gefieder und Menschen in bunten Kleidungsschichten staksen dazwischen umher.

Das Bild ist von vielen Orten bekannt, etwa aus Jakarta, Kalkutta, Nairobi, Accra oder Mexico City. Dass man nicht an Berlin, London oder Paris denkt, liegt nicht daran, dass reiche Industrienationen perfektes Abfallmanagement betrieben. Tatsächlich tragen ihre Müllexporte zum Anwachsen der Berge in Ländern mit geringeren Einkommen bei. Nicht nur der EU wird deshalb „Waste colonialism“ vorgeworfen. So landet Müll aus den reichen Ländern auf ohnehin bereits überquellenden Halden. Staaten mit schwacher Infrastruktur schaffen es kaum, die Abfälle ihrer eigenen Bevölkerung zu entsorgen oder gar zu verwerten. Kommunen, oft überfordert von ihrer großen und schnell wachsenden Bevölkerung, werden dann mit der Aufgabe alleingelassen.

Die riesigen Halden sind derweil die Lebensgrundlage einer beträchtlichen Zahl an Menschen. Wie viele informelle Müllsammler*innen es weltweit genau gibt, ist nicht klar. Schätzungen gehen von mindestens 15 Millionen aus.

Menschen, die Müll sammeln, haben etwas Wichtiges begriffen

Sie arbeiten meist informell – ohne Rechte oder soziale Sicherung. Oft kontrollieren kriminelle Organisationen diesen Sektor, die hilflose Menschen hemmungslos ausbeuten. Gesundheitliche Risiken und Diskriminierung tragen zur Ausgrenzung der Familien bei, die von Müllverwertung abhängen.

Dabei haben die informellen Sammler*innen erkannt, was einigen Regierungen und Entscheidungsträgern noch nicht klar genug scheint: Müll ist wertvoll. Von dieser Einsicht hängt die Umstellung auf eine funktionsfähige Kreislaufwirtschaft ab. Die Grundidee ist, dass jeglicher Müll wiederverwendet oder recycelt werden soll – und andernfalls vermieden werden muss. Auf Englisch sprechen Fachleute von den „3R“ für „reduce“, „reuse“ und „recycle“.

Kreislaufwirtschaft würde zur Lösung der Klima- und Biodiversitätskrise beitragen – und gleichzeitig in verschiedenen Branchen zu höherer Effizienz und neuen Umsatzchancen führen. Auch bei der Abfallvermeidung sind Regierungen und Unternehmen gefragt, vernünftige Konzepte zu entwickeln, die Menschen helfen, ihr Verhalten nachhaltig zu ändern. Pfandsysteme, Apps zur Rettung von Lebensmitteln oder Leasing-Modelle sind Schritte in die richtige Richtung.

Das 12. UN-Ziel für nachhaltige Entwicklung (SDG – Sustainable Development Goal) lautet „Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen“. Es mangelt hierfür an ausreichenden Regeln auf kommunaler, nationaler und internationaler Ebene. Bestehende Regulierungen greifen zu kurz und haben zu viele Schlupflöcher. Gleichzeitig fehlen Konzepte zur gesellschaftlichen Inklusion der Menschen, die vom Abfallsammeln leben. Sie brauchen Chancen in einer formalisierten Abfallwirtschaft. Es wäre sicherlich auch klug, ihr Wissen hinsichtlich Ressourcenverwertung systematisch bei ebenjener Formalisierung des Sektors zu nutzen.

Katharina Wilhelm Otieno ist Redakteurin bei E+Z/D+C.
euz.editor@dandc.eu