Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Misslungene Strategie

Abstieg in die Hölle

In Afrika haben der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank keinen guten Ruf. Sie und andere Internationale Finanzinstitutionen (IFI) haben in den 80er und 90er Jahren auf Strukturanpassungsprogrammen mit harten Einschnitten bestanden. Deshalb sehen viele Afrikaner sie als Verantwortliche für Elend, Armut und soziale Not.
Informelle Beschäftigung ist gängig in Tansania: mobiler CD-Shop in Moshi. BAO/Lineair Informelle Beschäftigung ist gängig in Tansania: mobiler CD-Shop in Moshi.

Die Geschichte beginnt in den 1970er Jahren. Nach den Ölschocks von 1973 und 1979 waren die Ölpreise hoch, ölexportierende Länder konnten beachtliche Rücklagen bei westlichen Privatbanken machen.

Träge westliche Volkswirtschaften waren jedoch nicht in der Lage, die „Petrodollar“ zu absorbieren, und so ermutigten die Banken die Entwicklungsländer, Kredite aufzunehmen. Die afrikanischen Regierungen sahen darin eine Chance – sie mussten ja auch Entwicklung finanzieren. Da sie Rohstoffe zu soliden Preisen exportierten, schien die Schuldenlast tragbar.

In den 1980er Jahren fielen die Rohstoffpreise jedoch – zugleich stiegen Zinsen und der Wechselkurs des Dollars. Der schlimmstmögliche Fall war eingetreten. Die Auslandsverschuldung belastete viele Länder erheblich; ihre Zahlungsbilanz verschlechterte sich, und als sie ihre Schulden kaum noch bedienen konnten, mussten sie die IFI um Notfallkredite und Umschuldung bitten.

Bei den IFI ist der IWF für kurzfristige, makroökonomische Stabilisierung zuständig. Er besteht grundsätzlich auf zweierlei:

  • „Sanierung“ der öffentlichen Finanzen durch Kürzung der Staatsausgaben (Abbau von Subventionen und Beschäftigung im öffentlichen Sektor, Senkung der Sozialausgaben usw.) und
  • geldpolitischen Maßnahmen, inklusive der Abwertung der nationalen Währung zur Förderung von Exporten und höheren Zinssätzen zur Inflationsabwehr.

Mittel- und langfristige Entwicklung hingegen steuert die Weltbank durch „Strukturmaßnahmen“ wie:

  • einseitige Handelsliberalisierung – vor allem Senkung der Zölle und Kontingente zum Schutz bestimmter Sektoren und
  • Privatisierung öffentlicher Unternehmen, um sie effizienter zu machen.

Dieses von IWF und Weltbank geforderte Maßnahmenpaket wird als „Struktur­anpassungsprogramm“ bezeichnet. Der damalige US-Präsident Ronald Reagan und die britische Premierministerin Margaret Thatcher setzten in ihren Ländern auf ähnliche Strategien. „Sparsamkeit“ war das Motto, und Thatcher behauptete: „Es gibt keine Alternative.“ Ihre Opposition stellte dies allerdings in Frage.

Afrikanische Regierungen kamen in Bedrängnis: Sie waren abhängig von Geld in Währungen, über die sie keine Kontrolle hatten – und hatten damit tatsächlich keinen Ausweg. Sie kürzten Investitionen und Sozialausgaben, besonders für Bildung und Gesundheit in der Hoffnung, so ihre Budgets zu „konsolidieren“. Außerdem überließen sie ihre Volkswirtschaften mehr dem globalen Wettbewerb.

Die vollen Auswirkungen der Strukturanpassung sind umstritten und schwer greifbar. Anders sähe es aus, wenn dieser spezielle Maßnahmenmix nicht in Entwicklungsländern umgesetzt worden wäre. Es fehlt der empirische Beweis dafür, was andere Maßnahmen bewirkt haben könnten. Die wettbewerbsfreundlichen IFI haben ein Monopol auf Politik durchgesetzt.

Da kontrafaktische Beweise fehlen, lassen sich die Folgen der Strukturanpassung am ehesten bewerten, indem man betrachtet, was sie bewirken sollten. Die IFI versprachen, die Marktkräfte zu entfalten, damit afrikanische Länder international wettbewerbsfähig würden und schnell zu Wohlstand kämen. Es kam jedoch anders, und so wurden die 1980er und 1990er Jahre für die meisten betroffenen Länder zum Abstieg in die Hölle.

Das Wirtschaftswachstum sank unter das der vergangenen Jahrzehnte. Die Landwirtschaft litt unter dem radikalen Wegfall der staatlichen Unterstützung – in Westafrika hat sie sich seither nie mehr richtig erholt. Nach der Unabhängigkeit in den 1960er Jahren hatte mancherorts eine vielversprechende Industrialisierung eingesetzt. Diese wurde zunichte gemacht, denn eine unüberlegte Handelsliberalisierung schadet aufstrebenden Industrien. Durch die Geldabwertung verteuerte sich Importware. Zugleich kürzten Regierungen ihre Ausgaben, und auch Strom, Treibstoff oder Wasser verteuerten sich.


Ausgebremstes Wachstum

1980 war die Pro-Kopf-Produktivität von sieben afrikanischen Ländern ähnlich der Thailands. Zwei Jahrzehnte später lagen alle bis auf Mauritius weit hinter Thailand zurück, wie die UN Conference on Trade and Development (UNCTAD) in einem Bericht 2005 schrieb. Sie kam zu dem Schluss, dass es mit der Strukturanpassung „nicht gelungen ist, ein investitions- und beschäftigungsfreundliches Wirtschaftsklima wiederherzustellen“. In einem Warnruf forderte das UN-Kinderhilfswerk (UNICEF) 1987 eine „Strukturanpassung mit menschlichem Gesicht“ (Cornia et al. 1987).

Am drastischsten waren die sozialen Folgen. Nach der Unabhängigkeit afrikanischer Staaten dienten Schulen mehr oder weniger dem sozialen Aufstieg. Doch durch die Strukturanpassung verschlechterte sich die Qualität der öffentlichen Bildung – von der Grundschule bis zur Universität – dras­tisch. Der Zugang zu Bildung wurde ungleicher, die Armen wurden marginalisiert. Statt die vor allem in den Städten existierende Gesundheitsinfrastruktur aufs Land auszuweiten, kürzten die Regierungen die Budgets und verschärften so die Ungleichheit. Reiche können in teure Privatkliniken gehen oder sich im Ausland behandeln lassen, die Armen aber sind auf informelle Medizin und marode öffentliche Einrichtungen angewiesen.

Es ist zu betonen, dass die Ebola-Krise in Guinea, Liberia und Sierra Leone weniger Todesopfer gefordert hätte, wäre die dortige Gesundheitsinfrastruktur besser gewesen. Da sie das nicht war, breitete sich die Krankheit rasant aus und kostete den konservativen Schätzungen der WHO zufolge etwa 11 000 Menschen das Leben. Mitverantwortlich dafür ist die Strukturanpassung, wobei auch Bürgerkriege ihren Teil beigetragen haben.

Die Strukturanpassungspolitik beschleunigte das Wirtschaftswachstum nicht, sondern bremste es. Ein schnelles Bevölkerungswachstum verschlimmerte die Lage. Es gab kaum noch formelle Beschäftigung, verarmte Bauern versuchten in den Städten ihren Lebensunterhalt zu verdienen, Fabrikarbeiter verloren ihre Jobs. Hausfrauen und jugendliche Schulabbrecher wollten Geld verdienen, um das schwindende Einkommen der Haupternährer auszugleichen. Viele Familien konnten sich Schulgeld und Unterrichtsmaterial nicht mehr leisten. Ganze Gruppen junger Mädchen in armen Nachbarschaften prostituierten sich, um das für eine Mahlzeit oder für Hygieneartikel nötige Geld zu verdienen.

Armut, Gesetzlosigkeit und Ausbeutung waren Wegbereiter für Korruption. Stagnierende Einkommen im öffentlichen Sektor verführten Beschäftigte jeglicher Position zu unethischem Handeln. Polizisten strichen Bestechungsgelder von Autofahrern ein, Bürokraten verlangten Geld für eigentlich kostenlose Dienstleistungen, wie etwa das Ausstellen von Ausweisen. Lehrer und Professoren tricksten bei Prüfungen und verdienten viel Geld durch Privatunterricht.


Abwärtsspirale

Leider war all das Leid komplett vergeblich. Statt die finanziellen Probleme zu lösen, verschlimmerte die Strukturanpassung sie eher. Dem Committee for the Cancella­tion of Third World Debt zufolge entsprach die Schuldenrückzahlungen des globalen Südens an den globalen Norden zwischen 1980 bis 2000 umgerechnet 52 Marshallplänen. Diese enormen Summen wurden weitgehend vergeudet und verursachten eine Abwärtsspirale, bei der immer mehr Schulden immer neu umgeschichtet wurden.

Angesichts dessen entstand eine globale Bewegung, die einen Schuldenerlass forderte. Ende der 90er Jahre gaben die etablierten Wirtschaftsmächte der G8 endlich zu, dass die Strukturanpassung gescheitert war. Ihr Kölner Gipfel initiierte 1999 den multilateralen Schuldenerlass mit der Heavily Indebted Poor Countries (HIPC)-Initiative (siehe Kasten).

Anfang des neuen Jahrtausends begann die afrikanische Wirtschaft wieder zu wachsen, angetrieben durch

  • relative politische Ruhe,
  • steigende Rohstoffpreise sowie
  • Schuldenerlass.

Das hohe Wachstum schuf jedoch kaum formale Arbeitsplätze. Es gab keine neuen Jobs durch Industrie oder einer höheren Produktivität in der Landwirtschaft, und so sind weiterhin viele Menschen vom informellen Sektor abhängig, der durch niedrige Löhne, mangelnden Sozialschutz und permanente Unsicherheit charakterisiert ist (siehe meinen Aufsatz in E+Z/D+C e-Paper 2017/10, S. 24).

Leider hat Afrika ein Wachstum erlebt, das keine neuen Jobs schuf. Zudem entsprach die durchschnittliche Wachstumsrate von etwa fünf Prozent in den ersten zehn Jahren des neuen Millenniums genau dem Anteil des Bruttoinlandprodukts, der außer Landes transferiert wurde (rückgeführte Gewinne, Kreditzinsen und Ex-Pat-Einkommen). Afrika blüht definitiv nicht auf.

Die Strukturanpassung war ein dunk­les Kapitel in der postkolonialen Geschichte Afrikas. Dennoch ist der IWF nach wie vor Hauptverwalter der Währungen der schwächsten afrikanischen Volkswirtschaften. Ohne Zustimmung des IWF können diese auf den internationalen Märkten keine Kredite aufnehmen.

Zudem steigt die Verschuldung der Länder wieder stark an, während die Zinsen und der Wechselkurs des Dollars ebenfalls steigen. Es sieht so aus, als wiederholte sich das Szenario, das zu den Strukturanpassungen geführt hat. Bleibt zu hoffen, dass sich nicht auch die Fehler wiederholen.

Ndongo Samba Sylla ist Programm- und Forschungsleiter im Büro der Linkspartei-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung in Dakar.
ndongo.sylla@rosalux.org


Literatur

UNCTAD, 2005: Economic development in Africa. Rethinking the role of foreign direct investment. New York and Geneva: UN.
Cornia, G. A., Jolly, R., Stewart, F., 1987: Adjustment with a human face: Protecting the vulnerable and promoting growth. Oxford: Clarendon Press, 1987.