Makroökonomie

Die Last des starken Dollars

Der Dollar wertet derzeit schnell auf. Das stellt viele Entwicklungs- und Schwellenländer vor Probleme, insbesondere vor dem Hintergrund der Auswirkungen von Covid-19-­Lockdowns und der russischen Invasion in der Ukraine. Die Zentralbanken der Länder mit hohem Einkommen schenken den globalen Auswirkungen ihrer Entscheidungen wenig Beachtung.
Wechselstube in Rio de Janeiro im Oktober. Wechselstube in Rio de Janeiro im Oktober.

Die Wechselkurse sind zuletzt immer volatiler geworden. Angesichts der Inflation hat die Fed (Federal Reserve – die Zentralbank der USA) die Leitzinsen mehrmals erhöht. Zu Jahresbeginn lagen sie fast bei null und bewegten sich Ende Oktober zwischen drei und 3,25 Prozent. Das Bemühen, steigende Preise zu kontrollieren, erhöht das Risiko einer Rezession nicht nur in den USA, sondern auch weltweit.

Die Pandemie und der Krieg haben Unsicherheiten erhöht, Investoren sind daher risikoscheuer geworden. Höhere Zinsen verteuern zudem realwirtschaftliche Investitionen, die für Wachstum wichtig sind. Solche Investitionen werden üblicherweise zumindest teils mit Krediten finanziert. Hohe Zinssätze wirken daher grundsätzlich wachstumshemmend. Das gilt für alle Volkswirtschaften, auch die USA.

Leider haben die von Zentralbanken bestimmten Leitzinsen aber nur sehr geringe Auswirkungen auf Energie- und Lebensmittelpreise, die derzeit die Haupttreiber der Inflation sind. Hohe Zinsen verteuern jedoch Investitionen in erneuerbare Energien, die Importe fossiler Brennstoffe verringern könnten und Volkswirtschaften der Nachhaltigkeit näherbringen.

Internationale Konsequenzen

Die Zinspolitik der Fed hat auch international Auswirkungen: Höhere Zinsen machen den Dollar, der vielen Anlegern als sicherer Hafen gilt, noch attraktiver. Also steigt der Dollarkurs im Verhältnis zu anderen wichtigen Währungen. Dabei schadet der starke Dollar Entwicklungsländern besonders, und zwar in mehrfacher Hinsicht:

  • Viele von ihnen bekommen keine Kredite in ihrer eigenen Währung, sondern in Dollar. Sie müssen also sowohl Rück- als auch Zinszahlungen (zusammen „Schuldendienst“ genannt) in Dollar leisten. Die Aufwertung des Dollars verteuert also Kredite, gemessen in der Landeswährung. Die Schuldenlast – in vielen Ländern bereits ein großes Problem – wird so immer schwerer.
  • Um eine Abwertung ihrer eigenen Währungen zu verhindern, müssen die Zentralbanken anderer Länder dem Beispiel der Fed folgen und ihre Zinsen anheben. In vielen Entwicklungs- und Schwellenländern sind diese bereits recht hoch. Das hilft zwar, die Kapitalflucht in sicherere Finanzanlagen in den USA einzudämmen, macht aber zugleich realwirtschaftliche Investitionen noch unattraktiver.
  • Sollte ein Dollar-Kredit refinanziert werden müssen, werden die Bedingungen für einen neuen Kredit nicht nur einem höheren Wechselkurs Rechnung tragen, sondern auch zu einem höheren Zinssatz vergeben.

Die Situation ist vertrackt. Einerseits wollen die Zentralbanken der Entwicklungsländer ausländische Investoren anlocken. Andererseits verteuern steigende Zinssätze die inländische Kreditaufnahme und bremsen das Wachstum aus. Längerfristig reduziert geringeres Wachstum auch die Staatseinnahmen, was Schuldenprobleme zuspitzt.

Auswirkungen auf den Handel

Der stärkere Dollar wirkt sich auch auf den Außenhandel aus, zumal die US-Währung bei internationalen Transaktionen dominiert. Selbst Unternehmen außerhalb von Dollar-Volkswirtschaften verwenden ihn, um Geschäfte abzuwickeln. Insbesondere der Rohstoffhandel bedient sich des Dollars. Rohstoffexportierende Länder können deshalb in gewissem Maße vom starken Dollar profitieren.

Allerdings verzeichnen auch andere Volkswirtschaften oft einen Anstieg ihrer Ausfuhren. Das liegt daran, dass der hohe Dollarkurs ihre Waren für ausländische Käufer relativ billig macht. Zugleich verteuern sich aber in der jeweiligen Landeswährung die Einfuhren. Das gilt sowohl für Konsumgüter – einschließlich Lebensmittel, auf die einige Länder angewiesen sind – als auch für Zwischenprodukte zur Herstellung anderer Güter. Infolgedessen können inländische Unternehmen gezwungen sein, ihre Investitionen und/oder ihre Produktion zu verringern.

Wichtig ist auch, dass die meisten Entwicklungsländer sogenannte Preisnehmer sind: Sie können Weltmarktpreise nicht beeinflussen. Sie müssen ihre Waren zu den gerade geltenden Preisen verkaufen. Folglich leiden die meisten Volkswirtschaften unter dem hohen Dollar, selbst wenn ihre Exportsektoren vom starken Dollar profitieren mögen.

Volatilität von Wechselkursen

Die hohe Volatilität eines Wechselkurses ist außerdem per se ein Problem. Schnelle und unvorhersehbare Schwankungen tragen zu einem allgemeinen Gefühl der Unsicherheit bei. Am schnellsten veränderte sich in diesem Jahr bisher der Wechselkurs des russischen Rubels (hauptsächlich wegen des Krieges), gefolgt von der türkischen Lira und dem brasilianischen Real. Solche heftigen Schwankungen sind für die Realwirtschaft kontraproduktiv, da sie zu abrupten Umkehrungen der Kapitalströme führen und Planung erschweren. Die Schwelle, ab der sich die Volatilität des Wechselkurses negativ auf die Realwirtschaft auswirkt, ist in kleinen Volkswirtschaften in der Regel niedriger als in großen.

Schließlich hat eine übermäßige Volatilität auch Auswirkungen auf die Geldpolitik. Sie kann die Geldpolitik ineffektiv machen, insbesondere wenn es Unstimmigkeiten zwischen der Politik der Zentralbanken und der Finanz- und Wirtschaftsminister gibt. Anhaltende Interventionen der Zentralbanken, um Wechselkurse zu stabilisieren, können darüber hinaus hohe Kosten verursachen, etwa in Form von schwindenden Währungsreserven und/oder dem Kauf von Vermögenswerten von zweifelhaftem Wert durch die Zentralbank.

Schwere Zeiten

Der steigende Dollar verschärft derzeit vielerorts wirtschaftliche Probleme. Die Politik der Fed bedeutet härtere Zeiten für die meisten ärmeren Länder. In geringerem, aber dennoch wichtigem Maße ist auch die Politik der Europäische Zentralbank (EZB) problematisch. Sie erhöht ebenfalls ihre Zinssätze, wenn auch langsamer.

Die Zentralbanken von Ländern mit hohen Einkommen nehmen kaum Rücksicht darauf, welche Auswirkungen ihre Entscheidungen auf ärmere Weltregionen haben. Die Menschen in den Entwicklungs- und Schwellenländern kennen das. Westliche Länder appellieren an das globale Gemeinwohl, wenn es ihnen passt, verfolgen ansonsten aber gern nationale Sonderinteressen.

Leider haben Entwicklungsländer kaum Möglichkeiten, die Herausforderungen schwacher Währungen und hoher Kursvolatilität zu anzugehen. Nötig wäre präventives Handeln. Generell sollten die Regierungen der Entwicklungsländer eine nachhaltige Kreditpolitik und solide Staatseinnahmen im Inland anstreben.

Selbst in schwierigen Zeiten muss die Politik jedoch ihr Bestes tun, um das Wirtschaftswachstum mit Investitionsanreizen anzukurbeln und gleichzeitig die Staatsfinanzen zu entlasten. Die internationale Gemeinschaft wiederum muss mehr tun, um die Umstrukturierung der Schulden zu beschleunigen. Dies wird entscheidend sein, um die Entwicklungsländer wieder auf einen nachhaltigeren finanzpolitischen Pfad zu bringen (siehe Kathrin Berensmann auf www.dandc.eu).


André de Mello e Souza ist Wirtschaftswissenschaftler bei Ipea (Instituto de Pesquisa Econômica Aplicada), einer staatlichen Denkfabrik in Brasilien.
andre.demelloesouza@alumni.stanford.edu

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