Globalisierung

Wachsende Ungleichheit und Umweltgefahren

Der Hype der Globalisierung der 1990er Jahre endete mit der Finanzkrise 2008. Heute fürchten sich viele Menschen vor den negativen Auswirkungen der Globalisierung, und populistische Bewegungen schüren diese Ängste. Wachsende Ungleichheit und globale Umweltgefahren stellen große Herausforderungen dar.
Viele Unternehmen profitieren von der Globalisierung: Tiefkühlpizza von Dr. Oetker in einem Supermarkt in Shanghai. Kalker/picture-alliance Viele Unternehmen profitieren von der Globalisierung: Tiefkühlpizza von Dr. Oetker in einem Supermarkt in Shanghai.

Die erste Welle der Globalisierung endete im Ersten Weltkrieg. Die zweite wurde als Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg eingeleitet, der auch eine Konsequenz der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre war. Die Säulen der neuen Weltordnung waren die UNO, das Bretton-Woods-System als internationale Finanz- und Währungsordnung, das multilaterale Zoll- und Handelsabkommen GATT, aus dem die Welthandelsorganisation (WTO) hervorging, sowie die wirtschaftliche Integration Westeuropas. Die Sowjetunion trat lediglich der UNO bei und zog einen „Eisernen Vorhang“ durch Europa, dessen sichtbarster Ausdruck 1961 die Berliner Mauer wurde.

Nach dem Mauerfall 1989, dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Auflösung des Ostblocks begann die jüngste Welle der Globalisierung. Sie erfasste nicht nur die ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts, sondern auch China und Indien, die ihre weltwirtschaftliche Bedeutung vor der Kolonialzeit zurückerlangen wollen. Ebenso wie die anderen Schwellenländer verdanken beide Länder ihre wirtschaftliche Dynamik seit den 1980er bzw. den 1990er Jahren der Integration in die Weltmärkte.

Allerdings hat sich der Kapitalismus seit den 1970er Jahren grundlegend gewandelt. Das Bretton-Woods-System fester Wechselkurse und eingeschränkter internationaler Kapitalmobilität wurde 1971 aufgegeben und der Finanzsektor schrittweise dereguliert. Dadurch kam es zu einer zunehmenden „Finanzialisierung“ der deregulierten Volkswirtschaften, das heißt zu einem wachsenden Anteil der Banken und ihrer Finanzdienstleistungen am Bruttoinlandsprodukt, zur Zunahme öffentlicher und privater Schulden sowie zu vermehrten kurzfristigen Spekulationen.

Das zunehmend rücksichtslose Verhalten von Großbanken und Finanzspekulanten wirkt sich doppelt nachteilig aus: Zum einen wird die zunehmende Einkommensungleichheit zum größten Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung und die politische Stabilität der betroffenen Länder, andererseits vergrößert die Volatilität der international verflochtenen Finanzmärkte das Risiko von Finanz- und daraus folgenden Weltwirtschaftskrisen.                                                                                                

Schon die Asienkrise von 1997 brachte die inhärente Instabilität des global entfesselten Kapitalismus in Erinnerung, und die unerwartet tiefe Finanzkrise von 2008 setzte dem Globalisierungshype der 1990er Jahre ein jähes Ende. Um eine erneute Weltwirtschaftskrise mit anschließender Depression zu verhindern, kehrten Regierungen und Zentralbanken zu einer aktiven Finanz- und Geldpolitik zurück und gaben damit den Lehren von John Maynard Keynes recht, die in den 1980er und 1990er Jahren von der neoliberalen Marktideologie verdrängt worden waren.


Europa in der Krise

Die Finanzkrise von 2008 begann in den USA, die sich davon schneller erholten als die EU: Während die mutigen Konjunkturprogramme vor allem der Obama-Regierung relativ nachhaltig Wirkung zeigten, ist der Spielraum für aktive Konjunkturpolitik in der Eurozone eingeschränkt. Exportförderung und Importbegrenzung durch Abwertung der nationalen Währung ist nicht mehr möglich, ohne die gemeinsame Währung aufzugeben. Und die Sparauflagen der Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) lassen keine staatliche Nachfragebelebung zu, wenn die Verschuldung den vorgegebenen Rahmen sprengt.

In diesem Dilemma versucht die Europäische Zentralbank (EZB), die Notlage der defizitären Länder durch Senkung der Zinssätze bis gegen null und durch den Ankauf von Staatsanleihen zu lindern. Doch eine lockere Geldpolitik ist riskant, weil sie neue Spekulationsblasen und dadurch neue Krisen auslösen kann. Außerdem kann Geldpolitik allein die Probleme nicht lösen, solange die Bundesregierung und andere nordeuropäische Regierungen keine Veranlassung sehen, zugunsten einer nachhaltigen Erholung in der gesamten Eurozone von ihrer Austeritätspolitik abzurücken.

Die Gründerväter des Euros hatten erwartet, dass die Währungsunion allmählich zu wirtschaftlicher Konvergenz zwischen den reicheren und den ärmeren Ländern führen werde. Tatsächlich nimmt jedoch die Divergenz zu. Der Eurozone fehlen wichtige Mechanismen, etwa eine gemeinsame Einlagensicherung und Transfermechanismen zum Ausgleich zwischen Überschuss- und Defizitländern. Während frühere Krisen die EU jeweils zur Vertiefung der Integration und der Zusammenarbeit zwangen, erscheinen heute weitere Integrationsfortschritte angesichts des Erstarkens nationalistischer und populistischer Parteien politisch kaum noch durchsetzbar. Obendrein verstärkt der Zustrom von Flüchtlingen den Teufelskreis der europäischen Desintegration.


Deglobalisierung oder mehr Zusammenarbeit?

Dank fortbestehender Beschränkungen des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs haben China und Indien die Finanzkrise überraschend gut überstanden. Einige Jahre lang waren sie die Wachstumsmotoren der Weltwirtschaft. Ihre Nachfrage nach Rohstoffen belebte die Wirtschaft rohstoffexportierender Staaten, auch in Subsahara-Afrika. In jüngster Zeit schwächt sich allerdings die wirtschaftliche Dynamik der Schwellenländer ab. Wie in den alten Industrieländern sind die zunehmende Einkommensungleichheit und die dadurch gebremste Kaufkraft dafür mitverantwortlich.

Die wachsende Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen ist eine der größten Herausforderungen der heutigen Zeit. In Europa und den USA machen populistische Politiker die Globalisierung dafür verantwortlich und schüren Fremdenfeindlichkeit.

Der Brexit und die Agenda von US-Präsident Donald Trump stellen die bisherige Welt(wirtschafts)ordnung zunehmender Handelsintegration und internationaler Zusammenarbeit in Frage. Trump und andere Populisten halten auch die Warnungen vor dem Klimawandel für übertrieben oder für eine Verschwörung der chinesischen Konkurrenz. Die Welt steht am Beginn einer neuen Epoche nationaler Alleingänge autoritärer Regierungen und noch nicht absehbarer Folgen der Aufkündigung internationaler Handelsabkommen.

Schon vor der aktuellen politischen Wende gegen wirtschaftliche Globalisierung lassen die Welthandelsstatistiken der letzten Jahre einen technologisch bedingten Trend zur Deglobalisierung erkennen. Automatisierung, künstliche Intelligenz und 3-D-Drucker entwickeln sich rasant, die Digitalisierung der Büroarbeit schreitet voran. Dadurch dürften Entwicklungsländer ihre Vorteile gegenüber Industrieländern in arbeitsintensiven Branchen und bei Bürodienstleistungen verlieren.

Multinationale Unternehmen gehen bereits daran, Produktionsstätten aus Entwicklungsländern zurück nach Nordamerika, Europa und Japan zu verlagern. Die dort entstehenden neuen Arbeitsplätze werden aber den Trend zunehmender sozialer Ungleichheit kaum aufhalten, denn die neuen Industrie- und Dienstleistungsbetriebe werden eher weniger, dafür hochqualifizierte und gutbezahlte Arbeiter und Angestellte beschäftigen. 

Offenbar steht die Menschheit am Beginn einer Epoche, in der sich entscheiden wird, ob und wie die gewaltigen sozialen und ökologischen Herausforderungen konstruktiv angenommen werden – oder ob Länder von weltwirtschaftlichem Gewicht sich internationaler Zusammenarbeit auf der Grundlage internationaler Abkommen verschließen und Zuflucht nehmen zu Protektionismus, Handelskriegen und Abschottung gegen Zuwanderung.

Seit einem Vierteljahrhundert steht die Suche nach besserer und effektiverer Global Governance auf der Tagesordnung der Weltpolitik. Der Gipfel von Rio de Janeiro hat 1992 das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung gesetzt und Aktionspläne für Regierungen, Unternehmen, Wissenschaftler und die Zivilgesellschaft verabschiedet: die Agenda 21. Mit Blick auf die Finanzkrise von 2008 haben das UN-Umweltprogramm (UNEP) und andere UN-Organisationen einen „Global Green New Deal“ für Klima, Energie sowie die wirtschaftliche und soziale Entwicklung propagiert. Die Idee war, die Schaffung von Arbeitsplätzen mit dem Kampf gegen die Erderwärmung zu verknüpfen.

International koordinierte staatliche Investitionsprogramme für erneuerbare Energien und die damit verbundene Infrastruktur hätten diesem Zweck gedient. Doch bislang

haben die meisten Regierungen eher Lippenbekenntnisse zum Ziel nachhaltiger Entwicklung abgelegt, als konkrete Schritte dahin zu unternehmen. Es bleibt abzuwarten, ob die Verabschiedung der Sustainable Development Goals (SDGs) und das Pariser Klimaabkommen der Suche nach einer gerechteren und nachhaltigen Weltwirtschaft durch weltweit abgestimmtes Handeln gegen den Klimawandel neuen Schub geben werden.

 

Jürgen Wiemann ist Vice President von EADI (European Association of Development Research and Training Institutes), deren 15. Generalkonferenz unter dem Titel „Globalisation at the Crossroads“ gemeinsam mit der Nordic Conference on Development Research vom 21. bis 23. August 2017 im norwegischen Bergen veranstaltet wird.
http://eadi-nordic2017.org
juergen.wiemann@die-gdi.de

 

 

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.