Kommentar

Exportvorwand Hunger

Die gemeinsame Agrarpolitik der EU verzerrt nach wie vor den Welthandel. Die Billigkonkurrenz aus Europa verschärft die Armut vieler Bauern in Entwicklungsländern.


[ Von Armin Paasch ]

Über die europäische Agrarpolitik wird in den nächsten Monaten hitzig debattiert werden, denn zum Jahresende will die Europäische Kommission ihren Vorschlag zur Reform der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU für die Zeit nach 2013 vorlegen. Parallel dazu steht die Aufstellung des Haushaltsrahmens für 2014 bis 2020 auf der Tagesordnung. Was sich aus deutscher Sicht ändern soll, hat die Bundesregierung auf der Basis von Vorschlägen aus dem Landwirtschaftsministerium in einem Positionspapier vom 31. März deutlich gemacht: am besten nichts. Der Tenor des Dokuments ist, das europäische Landwirtschaftsmodell habe sich bewährt.

Das Positionspapier erwähnt die Welternährung als ein wichtiges Ziel der Agrarpolitik. Leider dienen aber Hunger und Bevölkerungswachstum nur als Alibi für eine Strategie der Produktions- und Exportsteigerung. Genau diese Politik ist aber seit langem Teil des Problems, nicht der Lösung.

Viele afrikanische und asiatische ­Milch-, Tomaten- und Geflügelbauern können davon ein trauriges Lied singen. Sie sind der Konkurrenz europäischer Billigimporte nicht gewachsen. Ihre Einkommen reichen deshalb nicht mehr zur angemessenen Ernährung ihrer Familien aus. Die sinkende heimische Nahrungsproduktion steigert zugleich die Abhängigkeit von Importen. Das ist angesichts stark schwankender Weltmarktpreise auch für urbane Verbaucher problematisch, wie die Hungerkrise 2007 und 2008 offenbarte.

Die EU greift immer noch zum skandalösen Mittel der Exportsubvention. Allein für die Ausfuhr von Milchprodukten wendete sie 2009 über 300 Millionen Euro auf. Die subventionierte Menge entsprach beinahe einem Fünftel des Weltmarktes. Fast 70 Prozent der Milchexporte landen in Ent­wick­lungsländern – und zwar zu Preisen, die nur die Hälfte der europäischen Produktionskosten abdecken.

Auch die internen Agrarsubventionen der EU haben zu diesem Dumping beigetragen, obwohl sie mittlerweile WTO-konform weitgehend von den Produktionsmengen abgekoppelt wurden und stattdessen vor allem von der Betriebsfläche abhängen. Denn wenn die Geschäftsführer von Europas Schlachthöfen und Molkereien die Erzeugerpreise nach unten treiben, wissen sie, dass die Einbußen der Bauern zumindest teilweise von staatlichen Zuschüssen ausgeglichen werden. Im Wirtschaftsjahr 2006/07 stiegen die internen Agrarsubventionen erstmals über 90 Milliarden Euro.

Der Europäische Rechnungshof hat die EU im vorigen Jahr aufgefordert, „die Milcherzeugung vorrangig auf die Bedarfsdeckung des europäischen Binnenmarkts“ auszurichten. Nur Käse und andere Hochpreisprodukte seien ohne staatliche Hilfe exportfähig. Das gilt bekanntermaßen ähnlich zwar auch für andere Agrarprodukte, aber die Landwirtschaftspolitiker beherzigen solche Empfehlungen nicht.

Priorität genießen in der deutschen wie der europäischen Agrarpolitik stattdessen möglichst niedrige Preise, damit die heimische Ernährungswirtschaft weltmarktfähig bleibt. In dieser Hinsicht war die GAP in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich. Lagen die Erzeugerpreise in der EU 1986/88 noch um 76 Prozent über den Weltmarktpreisen, so ist der Abstand inzwischen auf 15 Prozent geschrumpft. Mit einem Weltmarktanteil von 17 Prozent ist die europäische Landwirtschaft seit 2003 auch Exportwelt­meister.

Den europäischen Bauern dient diese Politik nicht. Rund die Hälfte aller Höfe hat den Strukturwandel seit 1992 nicht überlebt. Auch die europäischen Konsumenten profitierten nur bedingt. Zwar sind zum Beispiel die Erzeugerpreise für Milch seit 2000 um 17 Prozent gefallen – die Endverbraucherpreise stiegen aber um sechs Prozent. Die großen Gewinner der GAP sind Industrie und Handel.

Das deutsche Positionspapier lehnt in der EU die Angebotssteuerung zur Preisstabilisierung ebenso ab, wie striktere Umweltauflagen oder die gerechtere Verteilung der Subventionen zwischen den Betrieben. Selbst die Exportsubventionen sollen nur dann abgeschafft werden, wenn die WTO sich auf neue Handelsregeln einigt. Das ist derzeit recht unwahrscheinlich. Im Rahmen der FAO setzt sich die Bundesregierung vorbildlich für das Recht auf Nahrung ein. Ihre Agrarpolitik läuft diesem Ziel leider zuwider.