Staatseinnahmen

Herbe Verluste

Durch Steuerflucht von Konzernen und Privatpersonen gehen Entwicklungs­län­­dern jedes Jahr Staatseinnahmen in Höhe von rund 100 Milliarden Dollar ver­lo­ren. Weil Steueroasen durch ihre In­trans­parenz zur Finanzkrise beige­tra­­gen hätten, sagte ihnen die G20 vori­ges Jahr in London den Kampf an. Noch gibt es aber keinen durchschlagenden Erfolg.

„Die Ära des Bankgeheimnisses ist vorüber“, hieß es im April 2009 in der Abschlusserklärung des G20-Gipfels von London. Auf unkooperative Länder wurde damals mit einer schwarzen Liste Druck gemacht, in der die OECD Steueroasen benannt hatte.

Die Kosten von Kapitalflucht und Steuerhinterziehung sind vor allem für Entwick­lungsländer enorm. Die US-Organisation Global Financial Integrity (GFI) schätzt, dass jedes Jahr fast 1000 Milliarden Dollar aus Entwicklungsländern in Steueroasen fließen. Davon sollen 854 Milliarden allein aus afrikanischen Ländern stammen. GFI zufolge tätigen große Konzerne zwei Drittel der Überweisungen auf Konten in Steueroasen. Inzwischen werden laut OECD rund 60 Prozent des Welthandels innerhalb von Konzerngruppen abgewickelt. Genau weiß man das aber nicht, weil nirgendwo alle Tochtergesellschaften von Konzernen registriert sind.

„Entwicklungsländern gehen so jedes Jahr ungefähr 100 Milliarden Dollar Steuern verloren“, sagt Georg Stoll von Misereor, der auch Vorstandsmitglied des Tax Justice Network ist. „Und der Verlust steigt von Jahr zu Jahr.“ 2002 seien es 64 Milliarden Dollar gewesen, 2006 schon 125 Milliarden. Zum Vergleich: Das Gesamtvolumen der öffentlichen Entwicklungshilfe betrug im vergangenen Jahr knapp 120 Milliarden Dollar.

Die meisten Steuern gehen weltweit verloren, weil Unternehmen geschickt Steuersysteme gegeneinander ausspielen. Dabei hilft ihnen vor allem die Manipulation von Preisen im firmeninternen internationalen Handel. Sie schalten eine Tochterfirma zwischen Verkäufer und Einkäufer und legen die Transferpreise so an, dass in dem Land, das höhere Steuern erhebt, möglichst Verluste anfallen und im Niedrigsteuerland die Gewinne. Ein Fertighaus kann da schon mal 1,60 Dollar kosten oder ein Haartrockner 3 800 Dollar. Einer Studie zufolge, die der US-Kongress 2008 erstellen ließ, haben 83 der 100 größten börsennotierten US-Unternehmen Tochterfirmen in Steuer­oasen.

Für Entwicklungsländer war die Kampfansage der G20 an Steueroasen also eine gute Nachricht. Doch was ist bisher daraus geworden? Schon kurz nach dem Gipfel Anfang April 2009 war die schwarze OECD-Liste leer. Die aufgeführten Länder hatten der OECD Kooperationsbereitschaft signalisiert und rutschten so auf die graue Liste. „Dafür reicht ein einfacher Brief“, weiß Jens Martens vom Global Policy Forum Europe.

Inzwischen ist aber auch die graue Liste leer. Um davon gestrichen zu werden, muss ein Land mit mindestens zwölf anderen Staaten Abkommen zum Informationsaustausch in Steuersachen schließen. Seit dem G20-Gipfel in Washington Ende 2008 bis Ende Mai 2010 ist die Zahl solcher Abkommen von 44 auf 505 gestiegen. Aber: Viele Steueroasen schließen mit anderen Steueroasen Vereinbarungen ab wie etwa Luxemburg mit Bahrein oder Liechtenstein mit Monaco. So erfüllen sie die formalen OECD-Kriterien, ändern aber nichts.

Um mehr Transparenz zu erreichen, fordern Nichtregierungsorganisationen eine verpflichtende länderbezogene Rechnungslegung. „Bisher müssen Konzerne nur Gesamtzahlen vorlegen. Konzerninterne Verschiebungen lassen sich so nicht überprüfen“, argumentiert Stoll. Eine länderbezogene Rechnungslegung sei in der Tat ein Hilfsmittel, um die Debatte zu versachlichen, meint Astrid Kraus, die als Steuerexpertin in einem Konzern arbeitet und sich bei Attac engagiert.

Jens Martens meint, den verschiedenen Gremien bei der G20 gehe es mehr um die Stabilisierung des globalen Finanzsystems als um die Interessen der Entwicklungsländer. Eine positive Entwicklung sieht er darin, dass Entwicklungs- und Steuerfragen zunehmend miteinander verknüpft würden. So haben sich beispielsweise die OECD-Ausschüsse für Entwicklung (DAC) und Steuerfragen (CFA) im Januar erstmals getroffen. In Zukunft soll sich eine gemeinsame Arbeitsgruppe um die Themen Informationsaustausch, Transferpreise und länderbezogene Rechnungslegung kümmern. Das nächste Treffen ist für November anberaumt.

Auch bei der Europäischen Kommission haben sich Mitarbeiter der Generaldirektionen für Entwicklung und Steuern zusammengesetzt und erstmals ein gemeinsames Papier geschrieben. Martens lobt auch die Arbeit des International Tax Compact, den das deutsche Entwicklungsministerium unterstützt. Diese noch junge Initiative setzt darauf, die entwicklungspolitische Zusammenarbeit gegen Steuerhinterziehung zu verstärken.

Langfristig wären multilaterale Ansätze die beste Lösung, meinen Experten. Ein Ansatz dafür, erläutert Martens, sei das UN-Expertenkomitee für Internationale Kooperation in Steuerfragen, das dem Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen unterstellt ist. (cir)