Globale Umwelt
Grundlegende Überlebensfragen
Die meisten Länder haben die UN-Konvention über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity – CDB) unterzeichnet. 1992 auf dem Erdgipfel in Rio de Janeiro beschlossen, trat sie Ende 1993 in Kraft, nachdem 60 Staaten es ratifiziert hatten.
Die CBD ist eine Anerkennung des Wertes der biologischen Vielfalt auf der Erde sowie ihrer Bedeutung für die Menschheit. Ziele des Übereinkommens sind Schutz, Erhalt und Wiederherstellung der Artenvielfalt. Dazu zählen Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen. Nicht nur die Diversität zwischen den Arten ist wichtig, sondern auch die genetische Vielfalt innerhalb der Arten. Wie überlebensfähig die Erde ist, hängt von der Biodiversität ab – nicht nur, weil Artensterben und Klimakrise zusammenhängen (siehe Kasten nächste Seite). Eine weitere ungebremste Abnahme der biologischen Vielfalt führt die Menschheit in eine Katastrophe. Es gäbe mehr Hunger, und es würde noch schwieriger, die ersten beiden UN-Nachhaltigkeitsentwicklungsziele (keine Armut, keinen Hunger) zu erreichen.
Wie die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (Food and Agriculture Organization – FAO) schätzt, litten 2020 fast zehn Prozent der Weltbevölkerung unter Hunger und 12 Prozent unter massiver Ernährungsunsicherheit. Gravierend sind auch Unter- und Fehlernährung. Nährstoffmangel schwächt die Gesundheit, es kommt zu Unterentwicklung (stunting/zu klein für das Alter) – aktuell bei 22 Prozent aller Kinder unter fünf Jahren weltweit – und Auszehrung (wasting/zu leicht für die jeweilige Größe) bei sieben Prozent. Die Corona-Pandemie hat die Probleme verschärft und dazu geführt, dass 2020 mehr Menschen hungerten als 2019.
Insofern ist es wichtig zu verstehen, wie Artenvielfalt und Ernährungssicherheit zusammenhängen. Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei sind von Biodiversität abhängig. Artenschwund und Abnahme genetischer Vielfalt innerhalb der Arten mindert die Produktivität und kann etablierte landwirtschaftliche Praktiken unrentabel machen.
Dienstleistungen von Ökosystemen
Die CBD definiert Ökosystemdienstleistungen als „Nutzen, den die Menschen aus Ökosystemen ziehen“. Sie basieren auf Biodiversität. Ihr Hauptnutzen ist, dass sie Nahrungsproduktion ermöglichen. In Entwicklungsländern ernähren sich viele Menschen von wild gewachsenen Lebensmitteln wie Früchten, Gemüse, Knollen, Fisch und erlegten Tieren. Aber auch reiche Länder nutzen solche Nahrungsquellen. Die weltweit konsumierten Fische und Meeresfrüchte stammen überwiegend aus natürlichen Ressourcen, nicht aus Aquakulturen.
Jedoch brauchen auch kultivierte Feldfrüchte Ökosystemdienste, vor allem für Bestäubung, Bodengesundheit und Schockbeständigkeit. Ökosystemdienste beeinflussen zudem Mikroklima, Wasserversorgung und Luftqualität. Bienen sind die wichtigsten Bestäuber. Nachweislich wird die Bestäubung durch Bienen besser, je mehr es auch andere Insektenpopulationen gibt. Der globale Schwund von Bienen und anderen Insekten beeinträchtigt aktuellen Studien zufolge die Ernten. Tatsächlich dienen auch andere Insekten und sogar Fledermäuse und Vögel als Bestäuber.
Laut Studien im Auftrag der UN sind Landinsektenbestände in den vergangenen 40 Jahren jährlich um ein bis zwei Prozent geschrumpft. Zugleich waren tierabhängige Kulturen um 13 Prozent weniger ertragreich als andere. Einer Publikation für den UN-Gipfel für Ernährungssysteme zufolge werden 75 Prozent aller Kulturpflanzen – darunter Früchte, Gemüse und Nutzpflanzen – von Tieren bestäubt.
Biodiversität in Böden macht Äcker ertragreicher. Gesunde Böden ermöglichen größere Ernten. Die Bodenqualität hängt von Mikroorganismen, Insekten und kleinen Tieren ab, die dabei helfen, Materie in wesentliche Nährstoffe zu zersetzen und dafür sorgen, dass Böden nährstoffreich bleiben. Mikroorganismen sind zentral für Stickstoff- und andere Nährstoffzyklen. Bakterien binden atmosphärischen Stickstoff und bauen Proteine in abgestorbenen organischen Stoffen ab, wobei die Verbindungen das Pflanzenwachstum fördern. Regenwürmer verbessen die Beschaffenheit der Erde. Viele Organismen sind symbiotisch miteinander verbunden.
Auch landwirtschaftliche Schockbeständigkeit hängt von der Vielfalt ihrer Pflanzen und Tiere ab. Je größer die Diversität, desto unwahrscheinlicher sind Schäden durch Extremwetter oder neue Krankheiten.
Hängt die menschliche Lebensmittelversorgung von einer einzigen Nutzpflanze ab, kann das zur Katastrophe führen - wie in den 1840er Jahren in Irland, als die Kartoffelfäule eine Hungersnot auslöste. Genetische Vielfalt kultivierter Arten hilft zudem dabei, dass die Anbausysteme Trockenheit, Hitze oder übermäßigem Regen eher standhalten. Daher empfiehlt die FAO Bauern in Äthiopien und der Sahelzone den systematischen Anbau verschiedener Arten. Da Schocks dann nicht alle Pflanzen gleichermaßen betreffen, lassen sich so verheerende Ernteausfälle verhindern. Umweltschützer betonen seit Jahrzehnten, wie wichtig traditionelle Landrassen sind (siehe Interview mit Melaku Worede in E+Z/D+C 2012/03, S. 102).
Zuweilen wird behauptet, Hightech-Landwirtschaft mit hybridem Saatgut, neuartigen Pestiziden und üppiger Düngung werde die Menschheit retten. Das ist ein Irrtum. Monokulturen sind extrem anfällig, Pestizide giftig und Dünger in der Herstellung energieaufwändig. Tatsächlich sind solche Lebensmittelproduktionssysteme starke Treiber für den Verlust von Biodiversität. Sie reduzieren Genpools, die es erleichtern Sorten zu züchten, die gegen diverse Arten von Schocks resistent sind.
Forscher schlagen Alarm
Die Wissenschaft erfasst immer besser, wie landwirtschaftliche Produktivität und biologische Vielfalt zusammenhängen. Doch aktuelle Trends sind alarmierend. Der Weltbiodiversitätsrat (Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services – IPBES) errechnete 2019, dass rund eine Million Pflanzen- und Tierarten vom Aussterben bedroht sind. Vermeintlich „moderne“ Agrar-Praktiken sind Teil des Problems. Mit Sitz in Bon ist die IPBES ein Äquivalent des Weltklimarats (IPCC); beide Institutionen veröffentlichen regelmäßig Berichte.
Die Menschheit hat zu lange gebraucht, die ökonomische Bedeutung von Ökosystemen voll zu erfassen. Da diese Systeme kostenlos erhältlich sind, setzten „ökonomische“ Modelle sie als selbstverständlich und gratis voraus. Das muss korrigiert werden, wie eine eindringliche, im Auftrag der britischen Regierung erstellte Studie fordert. Hauptautor des Berichts war Partha Dasgupta von der Universität Cambridge (siehe Katja Dombrowski in der Rubrik Magazin des E+Z/D+C e-Papers 2021/04). Unsere Zukunft hängt von einem schnellen und entschiedenen Einsatz gegen den Schwund der Artenvielfalt ab.
Sundus Saleemi ist Wissenschaftlerin am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn. Sie arbeitete kürzlich mit der unabhängigen Forschungsgruppe zusammen, die den UN-Gipfel für Ernährungssysteme im September 2021 beriet.
sundus.saleemi@gmail.com
Korrektur 15.Oktober: Die deutsche Übersetzung ist nochmal überholt worden. In der ursprünglichen Version gab es einige Mängel - beispielsweise wurden Ernährungssicherheit (die zuverlässig ausreichende Versorgung von Menschen mit Nahrung) mit Lebensmittelsicherheit (die Garantie der Verzehrtauglichkeit von Nahrungsmitteln) verwechselt. Die Redaktion bittet um Entschuldigung.