Infrastrukturen
„Wir müssen belastbare Strukturen schaffen“
Warum ist es wichtig, die globale Erwärmung – wie in Paris vereinbart – auf zwei Grad zu begrenzen?
Je höher die Temperaturen steigen, umso chaotischer werden die Folgen. Bei einem Anstieg bis zu zwei Grad muss sich die Menschheit auf häufigere extreme Wetterereignisse einstellen, auf Fluten, Stürme und Dürren. Das ist eine große Herausforderung, ist aber mit großen Anstrengungen zu schaffen. Wenn die Temperaturen aber noch höher steigen, stoßen wir Kipppunkte des Erdsystems an. Das wären beispielsweise der Ausfall des Monsuns, das Abschmelzen des Grönlandeises oder das Ende des Golfstroms. Die Konsequenz wären unbeherrschbare Dynamiken. Der Klimaforschung zufolge ist das Abschmelzen des Grönlandeises bereits bei einem Temperaturanstieg von um die 2,5 Grad sehr wahrscheinlich. Die Folge wäre ein Anstieg des Meeresspiegels um sieben Meter.
Bisher bewegen sich unsere realen Erfahrungen meist am bedrohlicheren Rand der wissenschaftlichen Szenarien. Könnte es also sein, dass das Grönlandeis auch schon bei einem 1,8- bis 2,3-Grad-Anstieg abschmilzt?
Das kann sein. Modellrechnungen beruhen auf spezifischen Annahmen und helfen uns, Wahrscheinlichkeiten abzuschätzen. Ab einem 2,5-Grad-Anstieg wird es für den Grönlandeisschild kritisch, von 3,5 Grad an gibt es nahezu keine Chance mehr, den Eisschild zu stabilisieren. Richtig ist auch, dass die Warnungen aus der Klimaforschung bislang meist schneller wahr geworden sind als erwartet – und dabei wurde ihnen oft Panikmache vorgeworfen.
Ist es denn noch möglich, den Temperaturanstieg auf zwei Grad zu beschränken?
Ja, aber wir müssen uns anstrengen. Bis 2050 muss die Weltwirtschaft weitestgehend dekarbonisiert werden. Die Technologien dafür sind vorhanden oder in der Entwicklung; sie müssen nun schnell und in großem Umfang genutzt werden. Im nächsten Jahrzehnt müssen die Weichen für die Umsteuerung gestellt und im Jahrzehnt darauf die Infrastrukturen flächendeckend ausgebaut werden. Dann kann bis 2050 die Verwendung fossiler Treibstoffe tatsächlich auslaufen.
Laut WBGU sind weltweit drei große Transformationen nötig, um den Klimawandel einzudämmen. Sie betreffen Energie, Städtebau und Landnutzung. Wie steht es um die globale Energiewende?
Was die erneuerbaren Energien angeht, passiert sehr viel. Die Preise fallen rasant. Neuinvestitionen fließen zum Beispiel in Europa überwiegend in diese innovativen Technologien. Die Wende ist nicht nur technologisch möglich, sondern mittlerweile auch ökonomisch attraktiv. Leider kommt aber der Kohleausstieg nur schleppend voran. Das ist nicht nur in Deutschland so, sondern auch in China, Indonesien, Südafrika und vielen anderen Ländern. Gut ist wiederum, dass in den vergangenen Monaten Schwung in die internationale Mobilitätsdebatte gekommen ist. Der britische Economist hat kürzlich auf seiner Titelseite den Verbrennungsmotor sogar schon als „Verkehrstoten“ bezeichnet. Der Diesel-Skandal erweist sich nun als Chance, schnell zu nachhaltigeren Mobilitätssystemen überzugehen.
Wie sieht es bei der Stadtentwicklung aus – hilft das Schlagwort „Smart cities“?
„Smart cities“ ist bislang vor allem ein interessantes Versprechen, Informationstechnik zu nutzen, um mit cleverer Datenverarbeitung Infrastrukturen effizienter zu gestalten. Dezentralisierung und Digitalisierung sind sicherlich sinnvoll. Große Sorgen macht mir aber, dass es hinsichtlich der Bautätigkeit und der Baumaterialien kaum Fortschritt gibt. Wenn die Menschheit weiter im selben Tempo Beton, Stahl und Aluminium in Städten verbaut, wird sie allein dadurch einen Großteil des Treibhausgasbudgets verbrauchen, das zur Erwärmung von 1,5 Grad führt. Wenn dieser Trend anhält, können wir die Zwei-Grad-Leitplanke nicht halten. Leider wird darüber international kaum diskutiert.
Wie steht es um die Landnutzung?
Was den Stopp der Entwaldung angeht, gibt es Fortschritt. Es wäre möglich, bis 2030 die Abholzung zu stoppen. Wir bewegen uns in die richtige Richtung, leider gibt es aber auch Rückschläge – beispielsweise im Rahmen der aktuellen Staatskrise in Brasilien. In Bezug auf eine klimaverträgliche Agrarwende herrscht leider weiterhin Stillstand. An der CO2-Intensität der weltweiten Landwirtschaft hat sich kaum etwas geändert.
Reicht denn der politische Wille aus, um Wandel auf allen Feldern voranzubringen?
Das Paris-Abkommen bietet zumindest einen geeigneten Rahmen, und bisher hält er. Als US-Präsident Donald Trump den Austritt der USA ankündigte, hatte ich die Sorge, er könne einen Dominoeffekt auslösen. Das wäre beispielsweise passiert, wenn sich zwei oder drei Länder ihm beim G20-Gipfel angeschlossen hätten. Für Russland und Saudi-Arabien hätte das beispielsweise attraktiv aussehen können. Trump hat aber keinen Bündnispartner gefunden, und das ist ein gutes Zeichen. Er ist glücklicherweise kein Experte für die Bildung von Allianzen.
Was ist mit China und Indien? Sie sind heute in absoluten Zahlen der größte und der drittgrößte Klimagas-Verursacher weltweit.
Trumps Verweigerungshaltung hat einen nützlichen Seiteneffekt: Die Chinesen sehen die Chance, eine weltweite Führungsrolle zu übernehmen. Das entspricht ihrem geostrategischen Anspruch und ihrem exportwirtschaftlichen Ehrgeiz. Es entspricht aber selbstverständlich auch ihrer Einsicht, dass ein ungebremster Treibhauseffekt in der Volksrepublik enorme Schäden anrichten würde. China wird sicherlich viel tun, um die internationale Klimapolitik voranzubringen. Doch auch hier – wie in Deutschland – muss der Ausstieg aus der Kohle forciert werden, damit die Zwei-Grad-Leitplanke hält.
Und Indien?
Seit dem Gipfel in Paris vor zwei Jahren hat sich die Diskussion dort stark zum Besseren gewandelt. Früher hieß es in Delhi im Prinzip: Wir sind arm, wir sind die Opfer des Klimawandels und wir können uns nicht auch noch um Klimaschutz kümmern. Das wurde als Aufgabe der reichen Welt gesehen. Diese Haltung gibt es nicht mehr. Indien akzeptiert seine klimapolitische Verantwortung und nutzt nun die Chancen der erneuerbaren Energien.
Wenn die USA nicht mitmachen, wird es den anderen reichen Nationen aber noch schwerer fallen, das Geld zu mobilisieren, das sie versprochen haben. Beim Klimagipfel in Kopenhagen wurde 2009 vereinbart, dass ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar für Klimaschutz und -anpassung in Entwicklungs- und Schwellenländer fließen soll. Wie das geschehen soll, ist unklar.
Diese Diskussion muss bei der nächsten Vertragsstaatenkonferenz im November in Bonn geführt werden. Die Mitwirkung der Entwicklungs- und Schwellenländer an der Klimapolitik hängt davon ab, dass das Geld wie versprochen bereitgestellt wird. Es gibt dazu bisher aber keine klaren Vorschläge. Wir brauchen Konzepte – zum Beispiel dafür, wie viel Geld verlässlich von staatlichen Stellen aufgebracht wird und wie viel aus privatwirtschaftlichen Quellen fließt. Wieder aufgenommen werden sollte die Debatte um verursacherorientierte Steuern auf Aktivitäten, die das Erd- und Klimasystem belasten.
Wichtig ist zudem, dass die reichen Nationen ihre Leistungen zur globalen Umweltpolitik zusätzlich zu ihrer Entwicklungshilfe (official development assistance – ODA) erbringen sollen. Dieses Prinzip gilt seit dem Erdgipfel der UN in Rio de Janeiro 1992. Es scheint aber, dass Entwicklungspolitik immer stärker klimapolitischen Zielen dient.
Die weltweiten ODA-Aufwendungen der Geberländer lagen 2016 bei 140 Milliarden Dollar. Bisher geht die Klimapolitik nicht zu ihren Lasten. Es ist aber wichtig, dass die 100 Milliarden Dollar für die Klimafinanzierung zusätzlich fließen, damit das Vertrauen der verwundbaren Länder nicht unterhöhlt wird. Inhaltlich lassen sich Klimapolitik und Entwicklungspolitik allerdings längst nicht mehr trennen. Wenn konkrete Maßnahmen Armut zu Lasten des Klimas reduzieren, sind sie offensichtlich nicht nachhaltig. Umgekehrt gilt auch: Das Klima zu Lasten der Armen zu schützen, untergräbt die Kernidee nachhaltiger Entwicklung.
Die Klimamodelle zeigen für Großregionen, was passieren wird, geben aber keinen Aufschluss darüber, was genau an welchem Ort passiert. Wie ist Anpassung möglich, wenn das nicht klar ist?
Es geht darum, schockresistente Strukturen zu schaffen. Bauern brauchen zum Beispiel Saatgut und Pflanzen, die eine größere Bandbreite von Wetter aushalten. Die Wasserinfrastruktur braucht Rückhaltebassins, um Regenwasser aufzufangen und Fluten zu minimieren – und solche Reservoirs erweisen sich dann auch bei Dürren als nützlich. Wir müssen also belastbarere (Infra-)Strukturen schaffen – die Experten sprechen von Resilienz. Was den Anstieg des Meeresspiegels angeht, haben wir aber zum Beispiel auch deutlich klarere Informationen, und entsprechend gilt es Schutzmaßnahmen zu entwickeln.
Dirk Messner ist Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik und Ko-Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen (WBGU) der Bundesregierung.
dirk.messner@die-gdi.de